Dieser Herr wird umfärben müssen.

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Zugegeben, es braucht viel Fantasie. Aber man stelle sich einmal vor, Alexander Van der Bellen würde sich überlegen, ob er als politisches Statement den weißen Balken in der Nationalflagge hauchgrün einfärben sollte.

Abwegig? Nicht in Frankreich, wo der Präsident die Autorität über die nationalen Symbole hat. Emmanuel Macron hat dieses Vorrecht offenbar schon im Juli 2020 ausgenützt. Und auch wenn Frankreich viele gute Patrioten zählt, kam niemand darauf, dass der Staatschef eine Farbe der blau-weiß-roten Trikolore geändert haben könnte.

Hat er aber. Wie jetzt bekanntgeworden ist, hat Macron vor gut einem Jahr die Weisung herausgegeben, die Flaggen auf den Dächern seines Elysée-Palasts und der Nationalversammlung, dazu auch im Dekor seiner offiziellen Auftritte, mit einem dunkleren Blau zu versehen. Aus der helleren Himmelsfarbe wird ein tieferes Marineblau. Weiß und Rot bleiben gleich.

Still und leise

Das eigentlich Erstaunliche daran ist die Vertraulichkeit, mit der Macron zu Werke gegangen ist. Nicht einmal seine Minister wussten davon, noch weniger die Citoyens, denen die Farbkombination "bleu-blanc-rouge" so heilig ist wie die "Marseillaise".

Wer sich einen Wahlmonarchen im Elysée vorstellt, wie er sinnierend an seinem Büro sitzt und sein Blick auf die Trikolore fällt, worauf er eine Farbeingebung hat, liegt nicht ganz richtig: Die Idee für das "bleu marine" soll von zwei engen Beratern stammen. Aber wenn das Trio so konzertiert und klammheimlich vorgegangen ist, stellt sich umso drängender die Frage: Warum dieser Farbwechsel, und warum diese Geheimniskrämerei?

Die doppelte Frage hat wohl eine Antwort: Macron verfolgte mit der Undercover-Operation, wenn man sie denn so nennen will, ein verdecktes Ziel. Bloß, welches? Jetzt, wo die nicht ganz unerhebliche Nacht-und-Nebel-Aktion landesweit aufgeflogen ist, begründen die Spindoktoren des Elysée sie wie folgt: Das dunklere Blau sei die historische Farbe Frankreichs, benützt in der Französischen Revolution von 1789, dann von den Soldaten des Ersten und der Résistance des Zweiten Weltkriegs.

1976 wurde es heller

Der historische Hinweis ist zutreffend. Erst Präsident Valéry Giscard d’Estaing machte 1976 von seinem ungeschriebenen Vorrecht der Flaggenfarbenveränderung Gebrauch und hellte das Blau der Trikolore leicht auf, um es der europäischen Grundfarbe anzupassen.

Pariser Medienforen fragen sich: Will sich Macron vor dem Präsidentschaftswahlkampf 2022 eine revolutionäre Aura geben? Wie 2017, als er seine erste Kampagne mit seinem – in Wahrheit nicht gerade bahnbrechenden – Bekennerbuch "Révolution" befeuert hatte?

Auch das könnte zutreffen. Auf jeden Fall scheint es, dass Macron ein sublimes patriotisches Zeichen setzen wollte. Auch wenn er so proeuropäisch wie Giscard denkt, will er sich von der unpopulären EU abheben. Und sich angesichts des allgemeinen Rechtsdralls der Wahlkampagne klarer "national" positionieren.

Das das könnte den Farbwechsel erklären. Macron weiß, wie sehr TV-Bilder heute Wahlen entscheiden können. Da will jedes Detail platziert sein. Macrons präsidiale Auftritte, Fotos und Interviews sind bis ins letzte Detail – und nun in Marineblau-Weiß-Rot – geregelt.

Ob die Bürgermeister und Stadtparlamente im Land draußen die neue Farbenlehre sofort oder erst mit der Zeit übernehmen, überlässt ihnen Macron. Das ist bezeichnend. Ihm geht es um seinen Wahlkampf – jetzt schon ein farbiger Wahlkampf. (Stefan Brändle aus Paris, 17.11.2021)