Im Rahmen des Sexismusskandals bei Activision-Blizzard rückt Langzeit-CEO Bobby Kotick immer stärker in den Fokus der Kritik.

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Seit Monaten wird der Videospielkonzern Activision-Blizzard von einem Sexismusskandal erschüttert. Zuletzt schienen die Wogen abzuebben. Firmenchef Robert "Bobby" Kotick gelobte Maßnahmen zur Verbesserung der Firmenkultur. Er wolle für Transparenz sorgen und den Konzern zu einem möglichst inklusiven Arbeitsplatz machen.

Doch nun weitet sich der Skandal aus, und er selbst rückt ins Zentrum der Kritik. Laut einer monatelangen Recherche des "Wall Street Journal" wusste er seit Jahren – entgegen vorherigen Aussagen – von verschiedenen Übergriffen, tat aber nichts dagegen. Nun machen sich seine Angestellten für seinen Abtritt stark.

Vorstand nicht über Vergewaltigungen informiert

Geschildert wird etwa ein Fall von 2018. Da meldete sich der Anwalt einer ehemaligen Mitarbeiterin des Activision-Studios Sledgehammer Games mit schweren Vorwürfen bei Kotick. Die Frau gab an, von einem Vorgesetzten in den Jahren 2016 und 2017 vergewaltigt worden zu sein, nachdem dieser sie zu übermäßigem Alkoholkonsum im Büro und auf einer Firmenveranstaltung gedrängt hatte.

Die Vorfälle hatte die Betroffene auch an Manager und die Personalabteilung direkt bei Sledgehammer gemeldet, die aber untätig geblieben waren, weswegen ihr Anwalt Activision nun mit Klage drohte. Ein Fall war zudem bei der Polizei anhängig. Kotick reagierte und Activison einigte sich letztlich außergerichtlich mit der einstigen Angestellten. Den Vorstand soll Kotick aber weder über die Einigung, noch über die Vorwürfe in Kenntnis gesetzt haben.

Dokumente, die dem "WSJ" vorliegen, sollen zeigen, dass Koticks Verharmlosungen und seine Darstellung, von vielen Vorfällen zuvor noch nie gehört zu haben, nicht stimmen. Demnach sei er gut informiert gewesen über Übergriffsvorwürfe in vielen Teilen des Unternehmens, meldete aber nur einen Teil dem Vorstand – selbst als die Behörden 2018 eine Untersuchung bei Activision starteten. Mehr noch: Angestellte, gegen die Vorwürfe geäußert worden waren, erhielten bei ihrem Abgang noch Lob, während ihre Mitarbeiter aufgefordert wurden, über die Hintergründe zu schweigen.

Mitarbeiterin nahm sich nach Demütigung das Leben

Überrascht war der Vorstand demnach auch, als das California Department of Fair Employment and Housing im Juli gegen Activision vor Gericht zog, weil der Konzern Vorwürfe wegen Belästigung, Übergriffen und Racheakten in einem für Frauen toxischen Arbeitsumfeld schlicht ignoriert haben soll. Laut internen Dokumenten verfasste Kotick daraufhin eine Rundmail, die er eine andere Managerin in ihrem Namen an die Belegschaft ausschicken ließ. Darin wurde erklärt, dass die Vorwürfe ein "verzerrtes und unwahres Bild" des Unternehmens zeichnen würden. Die Managerin entschuldigte sich später für die Mail und trat auf Wunsch der Mitglieder als Leiterin einer internen Frauengruppe zurück. Kotick "bereue" den Vorfall, erklärte Activision dazu.

Die Klage brachte auch eine Reihe an Fällen ans Tageslicht, die bisher noch nicht bekannt waren. So soll eine Mitarbeiterin Suizid begangen haben, nachdem auf einer Firmenfeier ein Foto ihrer Vagina herumgeschickt worden war. Aufgetaucht sind auch Vorwürfe gegen Kotick selbst. In einem davon drohte er 2007 einer Assistentin in einer Sprachnachricht damit, sie töten zu lassen. Der Fall endete in einer außergerichtlichen Einigung.

Der von den kalifornischen Behörden angestrengte Prozess motivierte auch zahlreiche Betroffene, Vorfälle zu melden. Mehr als 500 Berichte derzeitiger und ehemaliger Mitarbeiter sind seitdem eingegangen, sie reichend von ungerechtfertigten Gehaltsunterschieden über Mobbing bis hin zu Belästigung und sexuellen Übergriffen.

Während Activision es nicht gelungen sei sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter sich entsprechend den Erwartungen und Werten des Unternehmens verhalten, sei realistischerweise nicht erwartbar, dass der CEO über alle Personalangelegenheiten im Bilde ist, erklärte eine Sprecherin des Konzerns auf Anfrage des "Wall Street Journal". Der Vorstand sei außerdem "jederzeit über den Stand regulatorischer Vorgänge informiert" gewesen.

Vorstand derzeit gegen Ablöse

Zumindest vorerst stärkt der Vorstand Kotick den Rücken. Unter seiner Führung werde bereits "eine Nulltoleranzpolitik gegen Übergriffe implementiert", zudem wolle man mehr Frauen und nichtbinäre Mitarbeiter einstellen und generell für mehr Diversität im Team sorgen. Man sei "zuversichtlich", dass Kotick mit allen an ihn gemeldeten Vorfällen angemessen umgegangen sei.

Bei vielen Mitarbeitern kamen diese Statements nicht gut an. Die Gruppe "A Better ABK" organisierte am Dienstag eine Arbeitsniederlegung in Form eines "Walk-outs" und forderte den Abtritt von Kotick, der seit 1991 den Konzern leitet und dessen Marktwert in den letzten zehn Jahren von 14 auf 54 Milliarden Dollar fast vervierfachte. Er gehört zu den bestverdienenden Firmenchefs der Branche.

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Doch der Sexismusskandal wirkt sich mittlerweile merklich auf das Anlegervertrauen aus. Der "WSJ"-Bericht ließ den Kurs am Dienstag um über neun Prozent einbrechen. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe und der Klage in Kalifornien ist die Aktie gar um etwa 30 Prozent abgestürzt, nachdem sie im Februar erst ihren bisherigen Höchststand erreicht hatte.

Bei "A Better ABK" gelobt man, dass es auch nicht bei diesem einen Protest bleiben soll. Man will weitermachen, bis Kotick abtritt und die Firmenkultur bei Activision-Blizzard sich nachhaltig zum Besseren verändert habe. (gpi, 17.11.2021)