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Bandenchef Jimmy "Barbecue" Cherizier gibt mittlerweile Presseführungen durch das von seinem Bandenzusammenschluss kontrollierte Gebiet.

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Nach der Entführung der 17 Menschen vor rund einem Monat kam es zu Ausschreitungen auf den Straßen.

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Vor den Tankstellen kam es zu chaotischen Szenen, nachdem der Treibstoff knapp geworden war.

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Eine Woche lang gibt es wieder Treibstoff in Haiti. Möglich macht das Bandenchef Jimmy Cherizier, der seine Gangmitglieder angewiesen hat, eine Blockade von Treibstofftrucks aufzuheben. Wenige Tage können so die Menschen wieder zum Varreux-Treibstoff-Terminal nahe der Hauptstadt Port-au-Prince gelangen. Nur kurz haben sie – und auch Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und Geschäftslokale – Zeit, um Vorräte anzulegen.

Auch Projekte des Roten Kreuzes waren betroffen, doch sie konnten durch entsprechende Vorbereitungen am Laufen gehalten werden. Der Diesel für die Generatoren wird auch weiterhin benötigt werden. "Wir hoffen auf eine baldige Besserung der Situation", sagt der Wiener Stefan Pankl, der für das Rote Kreuz vor Ort ist, in einer Stellungnahme via E-Mail zum STANDARD.

Doch nach dem Tag der "Schlacht von Vertières" am Donnerstag ist wieder Schluss mit der Durchfahrtserlaubnis für die Tanker.

Angst vor Blutvergießen

Dann werden die Bewaffneten der mächtigen Gang G9, die Cherizier anführt, die Sperren wieder installieren. Außer Premierminister Ariel Henry tritt zurück. Sollte das nicht geschehen, kündigt der Bandenchef mit dem Spitznamen "Barbecue" weitere Maßnahmen an. Ohne ins Detail zu gehen.

Doch klar ist, dass diese mit Blutvergießen und Gewalt verbunden sind. Denn die Mitglieder von G9 – die große Teile der Hauptstadt kontrollieren – sind dafür bekannt, dass sie nicht zimperlich agieren. Cherizier steht auf der Sanktionsliste des US-Finanzministeriums, weil er vermutlich am La-Saline-Massaker im Jahr 2018 beteiligt war. Damals noch ein Polizist, soll er an der Ermordung von bis zu zwei Dutzend Menschen in den Slums von Port-au-Prince beteiligt gewesen sein.

Auftreten bei Gedenkfeier

Heute gibt sich Cherizier staatsmännisch. Bei seinen Auftritten, von denen Videos in sozialen Netzwerken zirkulieren, erhebt er Führungsanspruch in Haiti. Die G9 stehen im Verdacht, der Partei "Parti Haitien Tet Kal" des getöteten Präsidenten Jovenel Moïse nahezustehen. Nach dem Mord am Staatschef demonstrieren die Gangs noch offensichtlicher ihre Macht.

Am offensivsten stellte Cherizier seine Macht zur Schau, als er im weißen Anzug die jährliche Zeremonie zum Gedenken an einen der Gründerväter in der Hauptstadt anführte. Dabei erinnern sich die Haitianerinnen und Haitianer an die Ermordung von Jean-Jacques Dessalines im Jahr 1806 – nachdem dieser die Armee Napoleons besiegt hatte. Premier Henry war von bewaffneten Gangmitgliedern an der Teilnahme an der Veranstaltung gehindert worden.

Zweiter Mächtiger

Nur einen Tag davor hatte eine andere mächtige Bande – die 400 Mawozo – 17 ausländische Missionare entführt: einen Kanadier und 16 US-Bürger. Sie fordern noch immer eine Million US-Dollar Lösegeld. Pro Person. Geleitet werden die Mawozo, was so viel wie "Die vom Land kommen" bedeutet, von Wilson Joseph. Dieser drohte bei einer Beerdigungszeremonie für fünf seiner Bandenmitglieder, dass er die Geiseln töten werde.

Gekleidet als Voodoo-Totenherrscher Bawon Samdi, forderte er unter anderem von Premier Henry und dem haitianischen Polizeichef, dass sie "ihre Schulden begleichen". Der Polizeichef trat daraufhin zurück. Anfang November sollen die USA zuletzt ein Lebenszeichen der Geiseln erhalten haben.

Not an der US-Südgrenze

Aufgrund der zunehmenden Gewalt und der Not nach dem schweren Erdbeben im August versuchen zahlreiche Menschen, aus Haiti zu fliehen. Die tausenden Geflüchteten, die im September an der US-Südgrenze aufgetaucht sind, sind aber teilweise seit Jahren auf der Flucht. Viele von ihnen waren zuvor in anderen lateinamerikanischen Ländern und versuchen nun, in den Vereinigten Staaten Schutz zu erhalten. Doch unter der sogenannten Titel-42-Regelung werden die Migranten ohne Chance auf ein Asylverfahren an der Grenze zurückgeschoben. Ein US-Richter hat zumindest zwischenzeitlich verboten, dass Familien unter der Regelung zurückgedrängt werden.

Die Nachricht, dass die Behörden der Vereinigten Staaten Kreolisch sprechende Personen für eine Flüchtlingsunterkunft auf Guantánamo suchen, ließ Menschenrechtler aufhören. Zwar hieß es kurz darauf aus dem Weißen Haus, dass keine Haitianer auf die Insel gebracht werden, doch kamen Erinnerungen an die frühen 1990er-Jahre auf. Damals ließen die USA rund 40.000 Geflüchtete aus Haiti in Guantánamo einsperren. Sie waren mit Booten nach dem Sturz von Präsident Jean-Bertrand Aristide geflohen.

Warnung vor überhasteten Wahlen

Einen schnellen Ausweg aus der aktuellen Krise gibt es für Haiti wohl nicht. Die Wahlen – Parlaments- und Präsidentenabstimmungen – wurden bereits auf kommendes Jahr verschoben. Aber der Boden für faire Abstimmungen und ein sicheres Abstimmungsumfeld müsse zuerst geschaffen werden, sagt Franciscka Lucien, Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation "Institut für Gerechtigkeit und Demokratie in Haiti" zum STANDARD: "Denn überhastete Wahlen können zur Instabilität im Land beitragen." Und das sei in den vergangenen Jahren viel zu oft geschehen. (Bianca Blei, 18.11.2021)