Gewaltige Segel sollen künftig die Emissionen im Schiffsverkehr reduzieren.

Foto: Mauric

Seit mehr als 5.000 Jahren gibt es Segelboote wohl bereits, seit die alten Ägypter damit den Nil befuhren. Erst mit der Globalisierung und Industrialisierung wurden sie beim Warenverkehr zunehmend von dieselbetriebenen Schiffen abgelöst. Heute transportieren rund 93.000 Schiffe weltweit Öl, Gas, Waren und andere Rohstoffe über die Meere und sind für rund 80 Prozent der weltweiten Fracht zuständig. Gleichzeitig verursacht die kommerzielle Schifffahrt rund drei Prozent der weltweiten Emissionen – in etwa so viel wie ganz Deutschland. Ohne weitere Maßnahmen könnten diese bis 2050 sogar noch um 50 bis 250 Prozent steigen, heißt es in einer Studie.

Um die Schifffahrt grüner zu machen, wollen sich einige Hersteller nun auf ihre Ursprünge besinnen – und Containerschiffe wieder mit Wind und Segeln antreiben. Allerdings gleichen die modernen Segel kaum jenen aus der Vergangenheit: Stattdessen sind sie weit größer und effizienter als ihre Vorgänger, aufblasbar und flexibel oder auch stabil wie Flugzeug-Tragflächen.

Aufblasbare Segel

Ein Unternehmen, das mit neuen Frachtschiffsegeln experimentiert und mit der Schifffahrt bisher eher weniger zu tun hatte, ist der französische Reifenhersteller Michelin. Gemeinsam mit zwei Schweizer Ingenieuren entwickelte das Unternehmen riesige weiße Segel, die sich per Knopfdruck aufblasen lassen. Mithilfe von Sensoren sollen diese messen, aus welcher Richtung der Wind bläst und sich automatisch danach ausrichten.

Laut dem Unternehmen sollen sich die Segel auf bestehenden Frachtschiffen montieren lassen und das Schiff gemeinsam mit dem bereits installierten Motoren fortbewegen. Damit sollen sich zehn bis zwanzig Prozent des Dieselverbrauchs eines Schiffes einsparen lassen. Besonders bei älteren Frachtschiffen, die auch einen höheren Emissionsausstoß haben, gebe es großes Potenzial.

Indem sich die Segel automatisch aufblasen, soll keine extra Segelcrew dafür notwendig sein.
Foto: Michelin/Wisamo

Allerdings sind die Segel noch weit von einem großflächigen Einsatz entfernt. Eine kleinere Version des Designs wurde bisher auf einer Schweizer Yacht getestet. Im kommenden Jahr wolle man die Segel dann auch auf Frachtern testen, heißt es von dem Unternehmen.

Segel wie Flugzeugtragflächen

Ähnliche Pläne verfolgt die britische Forschungs- und Beratungsstelle für Schiffstechnologien Bar Technologies. Die dort designten "Wind Wings" sind 45 Meter hoch und sollen ebenfalls auf bestehenden Frachtern montiert werden und dadurch 25 bis 30 Prozent des Treibstoffes einsparen. Dafür arbeite man bereits mit dem US-Handelsriesen Cargill zusammen. Anders als die Michelin-Segel bestehen die Wind Wings allerdings aus Stahl und würden ähnlich wie eine Flugzeug-Tragfläche funktionieren.

Bei Bedarf, etwa wenn das Schiff unter einer Brücke hindurch fahren muss, sollen sich die Segel flach herunterklappen lassen. Auf ein ähnliches Design setzt auch die Oceanbird des schwedischen Schiffsbauers Wallenius Marine, das 2024 erstmals in See stechen soll.

So sollen die "Wind Wings" funktionieren.
Yara Marine Technologies

90 Prozent weniger Emissionen

Und auch der kleine französische Schiffshersteller Trans Oceanic Wind Transport (TOWT) will gleich fertige Segelfrachter bauen. Schon jetzt transportiert das Unternehmen mit kleineren Segelschiffen hunderte Tonnen Fracht im Jahr. Ab kommendem Jahr sollen dann auch vier größere Segelfrachter verkehren und je 1.100 Tonnen Waren transportieren. Jedes Schiff soll mit 700 Quadratmeter großen Segeln ausgestattet sein und nur in speziellen Fällen den eingebauten Dieselmotor nutzen. Laut Unternehmen sollen sich so 90 Prozent der Emissionen im Vergleich zur herkömmlichen Schiffsfahrt einsparen lassen. Jedes Schiff hat zudem Platz für zwölf Passagiere, die die Fahrt mitfinanzieren sollen.

Noch einen Schritt weiter geht ein kleines Team in Costa Rica. Dort baut das Unternehmen Sail Cargo an einem Segelboot aus Holz, das ab nächstem Jahr 250 Tonnen Fracht zwischen Nord- und Südamerika transportieren soll. Das 46 Meter lange Boot ist zudem mit einem Elektromotor ausgestattet, der bei Windflauten zusätzlichen Antrieb bieten soll.

Das Schiff Ceiba von Sail Cargo soll zum größten Teil aus Holz bestehen und werde laut dem Unternehmen nach Fertigstellung das größte nachhaltige Frachtschiff auf dem Meer sein.
Foto: Sailcargo

Viele Hürden

Noch sind Segelfrachter allerdings eine Nischentechnologie. Nur etwas mehr als ein Dutzend von ihnen ist derzeit weltweit unterwegs – bei mehr als 90.000 konventionellen Frachtschiffen fällt das kaum ins Gewicht. Besonders Segelfrachter, die beinahe zu 100 Prozent auf Wind setzen, seien für viele kommerzielle Schiffsrouten nicht geeignet, wo der Wind unregelmäßig bläst und strikte Lieferzeiten eingehalten werden müssen, sagen Experten.

Ein Video von Sail Cargo, das den Bau des Holzfrachter Ceiba zeigt.
SAILCARGO INC.

Aber auch die Aufrüstung bestehender Frachter mit Segeln, wie sie Michelin oder Bar Technologies planen, geht nur schleppend voran. Solange das Mehr an Treibstoffen billiger ist als die Umrüstung auf Segel – was es derzeit in den meisten Fällen ist – wird sich an der Fortbewegung der meisten kommerziellen Schiffe wenig ändern, sagen Expertinnen.

Von Emissionshandel noch ausgenommen

Eine zusätzliche Schwierigkeit liegt laut Experten darin, dass in den meisten Fällen nicht der Schiffshersteller, sondern der Charterer für den Treibstoff zahlt. Für die Eigentümer besteht also wenig Anreiz, eine emissionsärmere Antriebstechnologie zu integrieren. Zudem ist die Schifffahrt derzeit vom Emissionshandel der EU ausgenommen. Das soll sich allerdings bald ändern: Ab 2023 soll die Schifffahrt schrittweise Teil des Emissionshandels werden. Bis 2050 sollen so die Emissionen in der Branche um 50 Prozent im Vergleich zu 2008 sinken, so das Ziel.

Es sind vor allem jene regulatorischen Änderungen, auf die auch die Segelentwickler hoffen. Gäbe es eine globale CO2-Steuer, die hoch genug ist, würden sich die Umrüstung schnell rentieren, glauben einige von ihnen. Ebenso könnte eine Umstellung auf teurere, emissionsärmere Treibstoffe wie beispielsweise Wasserstoff oder Gas den Einsatz von Segeln attraktiver machen. Bis es wirklich so weit ist, könnte es allerdings noch einige Zeit dauern. (Jakob Pallinger, 22.11.2021)