Im winterlichen Nischnij Tagil startet an diesem Wochenende die Skisprung-Saison. Der Österreichische Skiverband (ÖSV) will nach einem weitgehend verkorksten Jahr in die Erfolgsspur zurückfinden. Der Olympia-Winter bietet dafür reichlich Möglichkeiten. Die aussichtsreichsten rot-weiß-roten Weitenjäger sind in der zweiten Saison unter Cheftrainer Andreas Widhölzl bekannte Akteure. Ein Überblick vor dem ersten Absprung:


Österreichs Kraft-Lackel: "Ich möchte sicher wieder einer der besten Skispringer sein, auch wenn ich glaube, dass ich dazu noch etwas Zeit brauche", sagte Stefan Kraft (28). Der Leithammel unter den ÖSV-Adlern war froh, "endlich wieder mit Gewichten" die Grundlage für eine kräftezehrende Saison legen zu können. Zwei Kilogramm mehr als im Vorjahr bringt der Weltmeister auf die Waage, der Ski wird dafür zwei Zentimeter länger. "Ich habe sehr viel investiert, dass es mir wieder gut geht und ich über einen langen Zeitraum wieder gut Skispringen kann."

Und doch lief Krafts Vorbereitung fast schon gewohnt unrund. Wieder zwickte der Rücken, vor drei Wochen knöchelte er um. Ein Band war überdehnt, eventuell sogar eingerissen. "Bisserl patschert immer wieder, ein paar sinnlose Wehwehchen", so sein Befund. Dem Sprung in seine neunte volle Weltcup-Saison schaut der ohnehin als Spätstarter bekannte Salzburger gelassen entgegen. "Ich bin dort ganz sicher nicht der Topfavorit. Wenn ich 15. werde, ich das auch okay. Ich weiß, dass ich meistens ein bisserl brauche."

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Hubers Sieg-Traum: Der aktuelle Doppelstaatsmeister Daniel Huber (28) holte im Vorjahr in Nischnij Tagil mit Platz zwei sein bestes Einzelergebnis, ehe er wie drei andere Teamkollegen Corona-Alarm auslöste. Auch seine Saison war fortan unbeständig, als Gesamt-Zwölfter war der Salzburger aber noch der punktebeste Österreicher. "Der erste Weltcup-Sieg und Top Ten im Gesamtweltcup stehen ganz weit oben auf der Liste. Und so in Form zu sein, dass ich bei jedem Großereignis um die Medaillen mitkämpfen kann."

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Aschenwalds Auge: Ähnliches ist vom Potenzial her Philipp Aschenwald (26) zuzutrauen. Der Tiroler verzettelte sich im Vorjahr in einem Wirrwarr aus ausbleibenden Initialzündungen und eigener Erwartungshaltung. "Platzierungstechnisch bin ich immer ein wenig hinten nach gelaufen. Mit ein bissl mehr Ruhe funktioniert es, glaube ich, besser", sucht Aschenwald die Gelassenheit. Sein Sommer war gut und kurzfristig turbulent. Nach einer notwendigen Augen-OP (Keratokonus) visiert er künftig mit Hartlinsen die Kante an.

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Youngster an Bord: Unbekümmert möchte sich der Jüngste, Daniel Tschofenig (19), präsentieren. "Ich fliege mit einem großen Grinser nach Russland und freue mich richtig auf das große Abenteuer", sagte der Kärntner. Das erste ÖSV-Aufgebot nach dem Rücktritt von Gregor Schlierenzauer machen in Abwesenheit von Routinier Michael Hayböck (30/Bandscheibenvorfall) Jan Hörl (23) und zwei andere Routiniers komplett: Manuel Fettner (36) und Markus Schiffner (29). Thomas Diethart legte auf dem eingeschlagenen Comeback-Weg zuletzt wieder eine Pause ein.

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Widhölzls Hoffnung: Der Cheftrainer hofft vor allem, dass das Virus nicht noch einmal "dazwischenfunkt". Das Team sieht sich angesichts Corona gewappnet, der ÖSV-Tross (Springer und Betreuer) ist nahezu vollständig geimpft. Die sportlichen Ziele beschrieb Widhölzl nach einer Saison ohne Einzelsieg im Weltcup, ohne Top-Ten-Platz im Gesamtweltcup und im Nationencup viertplatzierte Mannschaft so: "Wir wollen vorne mitmischen." Gleichzeitig bekundete er Ambitionen auf mehr: "Der Nationencup ist für mich ein persönliches Ziel, ich will ganz am Schluss in Planica stehen, das Gelbe Trikot überstreifen und als Siegernation heimfahren." Im Vorjahr betrug der Abstand auf Sieger Norwegen 1.907 Punkte. Widhölzls Allgemein-Credo: "Geduldig bleiben, es passiert viel im Winter."

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Die Saison-Highlights: Zehn Bewerbe nach Beginn steigt die Vierschanzentournee, traditionell wie immer um den Jahreswechsel. Der Springer-Zirkus macht dieses Mal länger in Österreich Station, in Bischofshofen folgt nach dem Tournee-Finale ein Einzel und Teambewerb. Im Februar wird bei Olympia in Peking von bisher unbekannten Schanzen (Foto) gesprungen, danach findet im europäischen Norden die lukrative Raw-Air-Serie statt, ehe im März Riesen-Weiten erzielt werden: Nach der Skiflug-WM in Vikersund geht es in Oberstdorf und Planica ebenfalls von großen Bakken.

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Die internationale Konkurrenz: Widhölzl rechnete bei aller Ungewissheit vor den ersten ernsthaften Flügen (wieder vor Zuschauern) mit den "üblichen Verdächtigen". Das wären die Polen um den allerdings am Sprunggelenk operierten Kamil Stoch, der offenbar wiedererstarkte Japaner Ryoyu Kobayashi, Deutschlands Karl Geiger und natürlich die Norweger um Titelverteidiger Halvor Granerud (Foto). Der elffache Vorsaison-Sieger hat seine Corona-Infektion vom Frühjahr abgeschüttelt und setzte mit dem Gesamtsieg im Sommer-Grand-Prix ein Statement. "Mein Ziel ist es, die Kugel zu verteidigen."

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Stöckls Club der Routinierten: Flankiert wird Granerud im starken norwegischen Team von Robert Johansson und Marius Lindvik, auch Daniel Andre Tande und Anders Fannemel sind wieder aktiv. Alexander Stöckl (Foto) versammelt jede Menge Routine um sich. "Das gibt uns die nötige Ruhe, uns auf die Olympischen Spiele hinzuarbeiten." Der Tiroler Trainer könnte mit Oscar Westerheim (25), dem Überraschungsmeister Norwegens, ein weiteres Ass im Ärmel haben. Stöckl bescheinigte ihm großes Potenzial. Rückkehr-Tendenzen in die Heimat gibt es bei Stöckl weiter nicht. Vom ÖSV habe er bisher keine Anfrage bekommen.

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Das ist neu: Der Nachfolger des Österreichers Sepp Gratzer als FIS-Materialkontrolleur heißt Mika Jukkara. Dem Finnen eilt ein Ruf als strenger Mann voraus. "Wenn man einen Namen hatte, ist man früher leichter durchgerutscht", sagte Widhölzl. "Ihm ist das egal, er macht keinen Unterschied. Das finde ich gut." Österreichs Chefcoach steht ein neuer Co-Trainer zur Seite. Der frühere Springer Thomas Thurnbichler (32) ist vom Nachwuchs aufgerückt. Als "sehr bereichernd" empfindet Widhölzl die bisherige Zusammenarbeit, "weil er ein junger Trainer ist mit viel Gas, einer der extrem viel bewegen will". Materialrevolutionen blieben aus, betonte man im ÖSV-Lager. Ob das wahr ist, wird die Saison zeigen. (APA, 17.11.2021)

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