Ein Mann wird am 30. Oktober vor seiner Wohnung auf offener Straße angegriffen. Zwei Männer prügeln so lange auf ihn ein, bis sein Nasenbein bricht. Stundenlang hätten die Verdächtigen vor seiner Wohnung gewartet, sagt das mutmaßliche Opfer zum Volksblatt: "Einer blieb im Auto, der andere prügelte auf mich ein."

Dabei handelte es sich vermutlich nicht um eine herkömmliche Straßenschlägerei. Das Opfer ist Teil eines der größten Ermittlungsverfahren, die derzeit in Österreich geführt werden – jener Ermittlungen, die am 9. November durch landesweite Razzien unter dem Namen "Operation Luxor" bekannt wurden. Es geht um Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorfinanzierung und Geldwäscherei. Konkret wird dem Mann wie dutzenden anderen vorgeworfen, Teil der islamistischen Muslimbruderschaft zu sein. Doch in einem Punkt unterscheidet er sich wesentlich von den anderen 69 beschuldigten Personen und Vereinen in der Causa: Er lieferte den Ermittlern vermeintliche Informationen zur hiesigen Szene. Die Angaben sollten sich als richtungsweisend für die damals noch geheime Aktion herausstellen. Nun hat aber ausgerechnet der Verfassungsschutz seinen Namen offengelegt.

Am 9. November 2020 fanden landesweit Razzien gegen angebliche Muslimbrüder statt. Innenminister Nehammer verfolgte die "Operation Luxor" per Stream und ließ sich dabei sogar ablichten. Ein Jahr danach ist es um die Ermittlungen ruhig geworden.
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Begonnen hatte alles Mitte Juni 2020, als Ermittler vermutlich davon ausgingen, gerade einen Coup gelandet zu haben. Spätabends belauschten sie ein Telefongespräch des Mannes, der später zur wichtigen Quelle aufsteigen sollte. Nur fünf Tage nach dem Gespräch wurde er einvernommen und packte aus. Er sprach über angebliche Strukturen und Akteure der Muslimbruderschaft in Österreich. Vor allem aber beschrieb er, wer dem inneren Führungszirkel angehören soll.

Die Muslimbruderschaft ist eine islamistische Bewegung, die international agiert. Ein Ableger ist etwa die palästinensische Terrororganisation Hamas. Die Muslimbruderschaft selbst ist weder in der EU noch hierzulande offiziell als Terrororganisation eingestuft, wiewohl ihre Symbole verboten sind. Auch in diesem Verfahren geben die Ermittlungen Aufschluss über das Weltbild vieler Beschuldigter: Teils ist es durchdrungen von antimodernem und antisemitischem Gedankengut; so ist etwa davon die Rede, dass die Scharia als Verfassung anzusehen sei, oder es werden Israel-Fahnen verbrannt. Handfeste Beweise, die gerichtsfähig sind, dürften gegen die allermeisten Beschuldigten bisher nicht vorliegen.

"Kein schutzwürdiges Interesse"

Aber die Infos, die der Hinweisgeber lieferte, waren für die Behörden offenbar vertrauenswürdig: Seine Aussagen landeten nahezu wortgleich in der Anordnung, mit der sich fast tausend Polizeibeamte am 9. November 2020 Zutritt in dutzende Wohnungen, Häuser, aber auch Vereins- und Geschäftslokale verschafft hatten. Gegen circa 70 Personen und Vereine wird seither ermittelt. 200 Terabyte an sichergestelltem Datenmaterial werden ausgewertet. Mehrere Beschuldigte stellen bereits einen Antrag auf die Einstellung des Verfahrens gegen sie – einem wurde bisher vom Landesgericht für Strafsachen Graz (nicht rechtskräftig) stattgegeben. Über die anderen wird vermutlich in den nächsten Wochen entschieden. Das Oberlandesgericht Graz erklärte in neun Fällen die Razzien zudem für rechtswidrig. Wann die Ermittlungen abgeschlossen sein werden, könne man derzeit nicht sagen, heißt es von der Grazer Staatsanwaltschaft.

Ein Jahr nach der durchgeführten Operation Luxor befindet sich der Hinweisgeber allerdings in der Bredouille. Zunächst wird er weiterhin als Beschuldigter geführt. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: terroristische Vereinigung, staatsfeindliche Verbindungen, kriminelle Organisation, Terrorfinanzierung und Geldwäscherei. Er selbst bestreitet, etwas mit der Muslimbruderschaft zu tun zu haben. Ein Gericht hielt dem Mann in einer anderen Sache zwar sehr wohl Verbindungen zu der islamistischen Gruppe vor, seit 2015 konnte ihm damals aber kein Naheverhältnis mehr nachgewiesen werden.

Dennoch dürfte er noch länger im Fokus der Behörden stehen. In den Akten heißt es, dass vor dem Frühling beziehungsweise Sommer 2022 nicht mit einem Abschlussbericht über den Beschuldigten zu rechnen sei. Erst dann könnte der Verdacht geklärt werden.

Erschwerend hinzu kommt, dass seine Identität als Hinweisgeber nun nicht mehr länger geheim ist – zumindest für jene, die Akteneinsicht besitzen, das tun alle Beschuldigten. Für ihn bestehe "kein schutzwürdiges Interesse mehr", stellten die Ermittler fest.

Vorfall bei der Staatsanwaltschaft anhängig

Bisher sei aufgrund der Bedeutung seiner Angaben zu befürchten gewesen, dass der Mann "Repressionen der Beschuldigten ausgesetzt wird", hieß es davor. Nun wird er im laufenden Verfahren enttarnt. Deshalb, weil der Anwalt eines anderen Beschuldigten weitere Informationen von der Staatsanwaltschaft verlangte, um "Beweisqualität und Glaubwürdigkeit" des potenziellen Insiders besser beurteilen zu können. Denn auch dem Anwalt entging die "auffallende Nähe" zwischen den Inhalten in der Anordnung zur Razzia und einem Abhörprotokoll nicht. Die Angaben seien "geradezu ident". Wenige Wochen nach der Offenlegung des Hinweisgebers wurde jener Mann laut seiner Anwältin angegriffen. Der Vorfall ist nach Informationen des Justizressorts bei der Staatsanwaltschaft anhängig. Ob die beiden Verfahren zusammenhängen, müsse erst geprüft werden. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich dazu nicht.

Allein da die Beschuldigten in der Causa verdächtigt werden, als angebliche Mitglieder der Muslimbruderschaft Teil einer Terrororganisation zu sein, ist es interessant, dass für den Hinweisgeber aus Sicht der ermittelnden Behörden offenbar kein "schutzwürdiges Interesse" mehr nötig zu sein scheint. Dass die Muslimbruderschaft als solche eine Terrororganisation sein soll, stellte zwar das Oberlandesgericht Graz per Beschluss wegen der "Vielfältigkeit" der internationalen Bewegung bereits infrage, die Staatsanwaltschaft zeigte sich davon aber unbeeindruckt.

Zweifel an den Einschätzungen?

Doch was bedeutet die Preisgabe des Hinweisgebers für das Verfahren? Es hat den Anschein, als würde die Staatsanwaltschaft keine weiteren Informationen mehr aus dieser Quelle beziehen wollen oder erwarten, sonst würde sie wohl weiter geschützt werden. In einer Beschuldigtenvernehmung wollte der Hinweisgeber zuletzt nichts mehr sagen.

Sollte an dessen Hinweisen am Ende doch weniger dran gewesen sein als von den Ermittlern zunächst angenommen, wäre das für die gesamte Operation mit Sicherheit sehr heikel: Er lieferte den Behörden nicht weniger als den mutmaßlichen Führungszirkel der Muslimbruderschaft in Österreich. Neben den Ermittlungen wegen Terrorfinanzierung ist das wohl eines der wesentlichsten Elemente in der Causa. Das Oberlandesgericht Graz bemängelte zumindest im Fall eines Beschuldigten, dass der Hinweisgeber weniger "zugängliche Tatsachenwahrnehmungen", sondern "primär" Einschätzungen geäußert haben dürfte. Die Staatsanwaltschaft antwortet auf Fragen des STANDARD dazu nicht. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 18.11.2021)