Dass die Verteidigung eine Version mit geringerer Auflösung hatte, fiel der Staatsanwaltschaft offenbar erst im Gerichtssaal auf.

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Das Gerichtsverfahren gegen Kyle Rittenhouse in den USA ist wegen technischer Probleme erneut aus dem Ruder gelaufen. Erst vor wenigen Tagen gab es Streit um Apples "Pinch to Zoom"-Feature. Außerdem hatte der Richter Probleme mit der Screenshot-Funktion seines Samsung-Smartphones, die er als Beweis dafür sah, dass das Hineinzoomen Bilder nicht nur vergrößere.

Rittenhouse ist angeklagt, im August 2020 am Rande einer Black-Lives-Matter-Demonstration in Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin zwei Personen ermordet und eine schwer verletzt zu haben.

Seine Verteidigung beantragte nun jedoch einen Prozessabbruch wegen Verfahrensfehlern – weil die Staatsanwaltschaft ihr ein Drohnenvideo per E-Mail geschickt hat, berichtet "The Verge". Beim Versand wurde automatisch die Dateigröße komprimiert und somit die Videoqualität verringert.

Airdrop

Die Anwälte geben an, eine Kopie des Videos erst am 5. November, also nach Verfahrensbeginn, erhalten zu haben. Anstatt der vollen 11,2 MB sei die Datei jedoch nur 3,6 MB groß gewesen. "Das bedeutet, dass das Video, das der Verteidigung zur Verfügung gestellt wurde, nicht so klar war wie das Video, das der Staat aufbewahrt", heißt es im Antrag.

Laut Staatsanwaltschaft ist die qualitativ hochwertigere Version allerdings auch bei den Ermittlern erst nach Verfahrensbeginn eingegangen. Die Person, die das Video aufgenommen hatte, soll es per Airdrop einem Polizisten geschickt haben, der es zu Gericht brachte. Wenige Minuten später soll die Verteidigung informiert worden sein, und der Beamte schickte eine Kopie per E-Mail an Rittenhouses Anwältin Natalie Wisco, weil diese ein Android-Smartphone besitzt. Sie übertrug es anschließend auf den Laptop der Verteidigung.

Absichtlich habe man die Qualität jedoch nicht verschlechtert, beteuerte der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt James Kraus vor Gericht: "Der Wechsel von einem iPhone zu einem Android-Gerät hat anscheinend die Datei irgendwie komprimiert [...] wir wussten nicht, dass das passieren würde", sagte er. Man sei überzeugt davon gewesen, die vollständige Datei weitergegeben zu haben. Dass dem nicht so war, habe man erst bemerkt, als Wisco ihre Version vor Gericht präsentierte.

Die Mail-App des iPhones komprimiert Videodateien im Anhang bei einem Versand automatisch.

Untypischer Vorgang

Beweismittel per Airdrop an die Verteidigung zu schicken sei "höchst untypisch", sagte die Strafverteidigerin Jessa Nicholson Goetz zu "The Verge". Ihr zufolge müssten "alle Beweise, die der Staat bei der Verhandlung zu verwenden beabsichtigt, 'zu einem angemessenen Zeitpunkt vor der Verhandlung' offengelegt werden". Ein Airdrop inmitten der Verhandlung erfülle diese Anforderungen nicht.

Es sei hingegen üblich, Videos auf USB-Sticks oder CDs bzw. DVDs zu übermitteln. Goetz habe außerdem noch nie eine andere oder schlechtere Version des Videobeweises erhalten als das Original.

Rittenhouses Verteidigung beantragte ursprünglich einen Verfahrensabbruch wegen Befangenheit, was eine erneute Verhandlung des Falles verhindert hätte. Inzwischen wurde "wegen Befangenheit" aus dem Antrag gestrichen. Eine Entscheidung des Richters steht aus.

"Pinch to Zoom"

Vor wenigen Tagen sorgte eine bizarre Diskussion über Apples "Pinch to Zoom"-Funktion für Aufsehen. Auslöser war die Wiedergabe eines Videos, auf dem zu sehen ist, wie Rittenhouse auf Demonstranten schießt. Die Geschworenen wollten auf ihren iPads hineinzoomen, um die Geschehnisse besser erkennen zu können – allerdings erhob die Verteidigung sofort Einspruch dagegen.

Sie argumentierte, dass iPads eine "künstliche Intelligenz" in sich tragen würden, die es erlaube, "Dinge dreidimensional und logarithmisch" zu betrachten. Verwende man "Pinch to Zoom", sehe man dementsprechend nicht die Realität, sondern das, was Apple glaube, was passiert sei. (red, 18.11.2021)