Auf dem Trockenen: Mit der Ente im gerade ausgelassenen Zierteich begrüßte der ORF das FM4-Team auf dem Küniglberg.

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Welches Problem hat der ORF eigentlich mit FM4? Wenn ein bekennender FM4-Fan Mitte 50, Name der Redaktion bekannt, diese Frage stellt, dann hat ein Programm für eine junge Zielgruppe eines. FM4 ist ein Anschauungsbeispiel für viele Probleme – heute: Herausforderungen – des öffentlich-rechtlichen ORF.

Ab 2022 sind es Herausforderungen für den neuen ORF-Generaldirektor Roland Weißmann. Und sehr wahrscheinlich muss sich Doroteja Gradištanac, bekannter als Dodo Roščić, diesen Herausforderungen stellen, wenn sie tatsächlich die nächste FM4-Chefin wird. Danach sieht es sehr stark aus für die langjährige TV-Programm-Entwicklerin.

1. Entlastungsgerinne für Ö3

FM4 wurde 1995 als jüngeres ORF-Radioprogramm konzipiert, bewusst abseits des Mainstreams. Ein öffentlich-rechtliches Alternative-Programm – das Ö3 alle Inhalte abnahm, die den Programmmachern und ihren deutschen Beratern zu sperrig schienen. Zu sperrig für ein Ö3, das sich der gerade startenden Privatradiokonkurrenz stellen musste. Ö3 musste sich gegen sie vor allem als eine der wichtigsten kommerziellen Einnahmequellen des ORF behaupten, es liefert mehr als ein Viertel der ORF-Werbeeinnahmen. Sperrig sind manche Inhalte nun auf FM4, zugleich aber öffentlich-rechtliche Signale.

2. Flankenschutz für Ö3

Ö3 hat auch Jahrzehnte nach dem Privatradiostart mehr tägliche Hörerinnen und Hörer (auch unter 50) als alle Privatsender zusammen. Diese gewaltige Breite von Jung bis Alt kann ein Programm kaum abdecken.

Seit vielen Jahren wünscht sich Ö3 Flankenschutz beim jungen Publikum, das vor allem Kronehit als bundesweites Privatradioprogramm sehr erfolgreich bedient. Da gab es Pläne für ein "Ö3X", zunächst für Digitalradio konzipiert – sie scheiterten an gesetzlichen Beschränkungen für ORF-Programme.

Ö3 setzt also seine Hoffnungen auf Flankenschutz in bestehende Programme – da ist man rasch bei FM4, das sich ja jüngeren Zielgruppen widmen soll.

3. Starke, aber spitze Marke

FM4 hat große Fans, die den Sender gerade für sein Alternative-Programm lieben, bewusst abseits des Mainstreams. Diese starke Marke (und wofür sie steht) bei einer eingeschworenen Community zu verbreitern (und damit auch die Hörerinnenschaft), ist eine überaus heikle Aufgabe.

Der nächste ORF-Chef Roland Weißmann befundete in seiner Bewerbung harsch: "In seiner Ausrichtung als Jugendradio verfehlt FM4 sein Mission Statement und ist in der erreichten Zielgruppe zu spitz positioniert."

4. Ewige Jugend

3,4 Prozent der Radiokonsumenten hören den Sender täglich, 5,3 Prozent jener unter 50. Das einst junge Publikum von FM4 ist – wie der Autor und der erwähnte Fan – mit dem Programm gealtert. Der ORF-Kultur- und -Informationssender Ö1 hat 6,6 Prozent Reichweite beim Publikum unter 50.

FM4-Hörer sind im Schnitt laut Radiotest-Umfrage 37,8 Jahre alt. 2014 waren sie noch 33,9, in acht Jahren ist der Publikumsschnitt um vier Jahre gestiegen – beim großen Ö3 um 2,2 Jahre. Das Radiopublikum wurde im Schnitt um 2,5 Jahre älter.

5. Jugend streamt

Der von Radiosendern getragene Radiotest fragt lieber nicht nach Streaming wie Spotify und Co. Radiowerbung bringt Sendern noch einfacher Geld als Onlinewerbung gegen globale Konkurrenz.

Rund 30 Prozent des Audiokonsums bei jüngeren Zielgruppen sollen laut nur internen Umfragen von Sendern auf Streamingdienste abseits der Radioangebote fallen. Manche dieser Umfragen deuten darauf hin, dass Streaming (wie in TV/Video) beim jungen Publikum auch in Österreich schon überholt hat (wie in anderen Märkten). Ein Radiosender für junge Zielgruppen ist ein Match bergauf.

6. Player auf Standby

Mit 1:1-Streaming von Radioprogramm ist es da nicht getan. Eigene, reine Streamingangebote sind dem ORF aber verboten, jedenfalls bis zu einer seit Jahren diskutierten "Digitalnovelle" für den ORF. Standby-Modus für die geplante ORF-Streamingplattform. Ein Problem für den gesamten ORF, wenn er jüngere Zielgruppen erreichen will.

FM4 sollte sich "stark Richtung Soundmodul des ORF-Players entwickeln", sagte Noch-ORF-Chef Alexander Wrabetz, als er die ORF-Strategie bis 2025 präsentierte. Er verneinte damals, FM4 solle im Radio ein "gefälliger Teenie-programmierter Kanal" werden, während man für "die sehr heterogene, sehr junge Szene" streamt. Weißmann schrieb: "Es gilt, FM4 nach 25 Jahren neu zu denken und mit der Entwicklung des ORF-Players und der neuen Social-Media-Strategie zu synchronisieren." Die nächste FM4-Chefin hat gut zu tun. (Harald Fidler, 19.11.2021)