Kein Winter wie damals: Die Branche muss auch heuer um ihr Geschäft bangen.

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In Tourismusbetrieben ist wieder Feuer am Dach. Im vergangenen Winter sind aufgrund diverser Lockdowns mehr als 90 Prozent der zuvor in Österreich verzeichneten Winternächtigungen ausgefallen. Statt 20 Milliarden wie in der Vor-Corona-Zeit setzten Hotels und andere einschlägige Betriebe mit Kurgästen und Geschäftsreisenden – für andere blieben die Türen verschlossen – insgesamt nur an die zwei Milliarden Euro um. Nun droht ein zweiter Winter mit wenig Einnahmen. Die Stornowelle rollt.

STANDARD: Infektionszahlen auf Rekordkurs, Reisewarnungen, Lockdown: Ist die Chance für die heimischen Tourismusbetriebe auf einen halbwegs guten Winter schon dahin?

Reiter: Man muss unterscheiden zwischen Stadt und Land. Für den Städtetourismus ist die augenblickliche Situation noch katastrophaler, als sie es in den vergangenen eineinhalb Jahren ohnehin war. Das Vorweihnachtsgeschäft samt Adventmärkten, Veranstaltungen etc. fällt meiner Ansicht nach flach …

STANDARD: … weil internationale Touristen nun erst recht nicht kommen?

Reiter: Ganz klar. Deutsche, Italiener oder andere Gäste, die eventuell nach Innsbruck, Salzburg oder Wien gekommen wären und übernachtet hätten, werden das großteils nicht tun. Das ist ein gewaltiger Schlag für die Stadthotellerie, die erst im Sommer und Frühherbst eine leichte Besserung festgestellt hat. Für Ferienhotels sieht es auch schlecht aus, die hatten aber im Gegensatz zur Stadthotellerie überwiegend eine Supersommersaison.

STANDARD: Warum dieser Pessimismus?

Der gebürtige Tiroler Andreas Reiter hat viele Jahre Erfahrung im Tourismus und leitet das ZTB Zukunftsbüro in Wien.
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Reiter: Erstens wegen der epidemiologischen Lage. Die ist nicht nur in Österreich schlecht, in Österreich aber besonders. Das animiert wenig zum Reisen. Wir werden sicher wieder ein Verhalten sehen wie im Vorjahr, dass die Leute eher in ihrem Umfeld Urlaub machen.

STANDARD: Und zweitens?

Reiter: Gerade was die Ferienhotellerie im Winter betrifft, hat Österreich jede Menge Mitbewerber – im Alpenraum, aber auch in wärmeren Gefilden. Wer unbedingt Ski fahren will, kann nach Südtirol ausweichen, wo die Situation zumindest derzeit noch nicht so aus dem Ruder zu laufen scheint wie in Westösterreich. Auch Sun & Beach wird nochmals einen Schub erhalten. Sichere Destinationen wie Mallorca, Kanarische Inseln oder Spanien mit Inzidenzen unter 50 – die haben plötzlich ein anderes, ein viel besseres Standing.

STANDARD: Diese Destinationen könnten im Winter verstärkt in Konkurrenz zu Österreich treten?

Reiter: Davon bin ich absolut überzeugt. Die Zielgruppe der Winterurlauber nimmt ohnehin sukzessive ab, das zeigen Trendstudien. Kommt dann noch so etwas dazu, verstärkt sich der Sog.

STANDARD: Für deutsche Urlauber gilt Österreich seit kurzem als Hochrisikoland.

Reiter: Das trifft die Branche besonders hart. Zum einen ist Deutschland der mit Abstand wichtigste Herkunftsmarkt, zum anderen strahlt das aus. Das Image Österreichs als sichere Reisedestination hat massiv gelitten unter der miserablen Pandemiebekämpfung.

STANDARD: Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) will alle Hebel in Bewegung setzen, dass Familien mit Kindern bei der Rückreise nach Deutschland nicht in Quarantäne müssen, auch wenn nur Erwachsene einen 2G-Nachweis erbringen können.

Die unter anderem für Tourismus zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) will in Berlin auf eine weniger harte Regelung drängen.
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Reiter: Es ist legitim, dass sie das macht. Ich glaube nur, dass das nichts bringt. Köstinger hat schon im ersten Corona-Winter versucht, spezielle Deals mit anderen Ländern zu machen, was nicht gelungen ist. Österreich hat ein zunehmend schlechtes Image, was das Thema Handling von Krisen, von Pandemie betrifft.

STANDARD: Das rührt noch von Ischgl her?

Reiter: Das hat mit Ischgl im Frühjahr 2020 begonnen und setzt sich fort bis zum heutigen Tag. Die Zahl der Neuinfektionen, die Österreich jetzt hat, sind speziell für ein Tourismusland untragbar. Halb Europa weiß davon, auch dass Vorbereitungen für eine Triage getroffen werden, also eine Selektierung der Menschen, die auf die Intensivstation kommen. Wer möchte da noch Urlaub machen?

STANDARD: Wem muss man Vorwürfe machen?

Reiter: Letztlich der Politik. Es nützt nichts, wenn die Regierung der Österreich Werbung mehr Geld gibt, um eine schöne Winterkampagne zu machen und die eigenen Pandemiepolitik das dann ausgehebelt.

STANDARD: Weihnachten ist wohl verloren?

Reiter: Ich sehe den ganzen Winter in Gefahr, wenn nicht beherzt reagiert wird. Weihnachten sowieso, der Jänner war immer schon ein Problem für die Tourismusbetriebe, der dann durch russische Gäste etwas aufgefettet werden konnte, die jetzt aber auch nicht mehr kommen. Ich sehe eine langsame Erholung erst wieder im Februar, wenn man die Lage bis dorthin in den Griff bekommt, dann ist ein großer Teil des Winters aber schon gelaufen.

STANDARD: Also bleibt aus Ihrer Sicht nichts anderes übrig, als die Betriebe einen zweiten Winter in Folge durchzufüttern?

Auf dem Dach des Leopold-Museums im Wiener Museumsquartier mit dem Kunsthistorisachen Museum und der Spitze des Stephansdoms im Hintergrund: Was fehlt, sind die internationalen Gäste.
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Reiter: Das alles ist Geld der Steuerzahler, die müssen wieder für die Versäumnisse der Politik aufkommen. Hilfen wird es geben müssen. Man sollte aber anders als im vergangenen Winter stark differenzieren, wen man unterstützt und wie man unterstützt. Stadthotels und die Veranstaltungsbranche, die schon bisher gelitten haben und jetzt auch wieder, brauchen mehr Unterstützung als beispielsweise die Ferienhotellerie. In Regionen wie Kärnten oder dem Salzkammergut gab es für viele Betriebe die beste Sommersaison ever. Für die Mitarbeiter aber ist das ein gewaltiges Problem.

STANDARD: Inwiefern?

Reiter: Der Tourismus hatte es wie andere Dienstleistungsbranchen schon vor Corona nicht leicht, Fachkräfte zu finden und zu halten. Mit Corona hat sich das verschärft. Eine gewisse Zeit Kurzarbeit geht noch, aber nicht zwei Winter lang. Viele kehren nicht mehr zurück, weil sie diese Unsicherheit, aber auch die teils schlechten Arbeitsbedingungen und die nicht gerade üppige Bezahlung leid sind.

STANDARD: Was passiert dann?

Reiter: Es wird zu einer noch stärkeren Differenzierung in der Hotellerie kommen. Im Budgetbereich wird man mit noch weniger Personal arbeiten als bisher und auf Automatisierung setzen – Kaffeeautomat statt Kaffee an der Bar inklusive. Und im Prämiumbereich wird man noch mehr Wert auf Qualität legen, sich das aber auch entsprechend bezahlen lassen.

STANDARD: Wie geht es mit dem Tourismus insgesamt weiter?

Reiter: Reisen ist und bleibt ein Grundbedürfnis der Menschen. Daran ändert auch die Pandemie nichts. Sie verschiebt momentan die Gewichte. Die Fernmärkte werden wohl erst 2024 zurückkommen. Das heißt, die Stadthotellerie hat noch eine längere Durststrecke vor sich. (Günther Strobl, 19.11.2021)