In Wachs und Wärme sitzt Stefan Kraft bei Madame Tussauds in Wien, in echt sitzt der Weltmeister im tiefwinterlichen Ural auf dem Balken.

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Cheftrainer Andreas Widhölzl will den Nationencup gewinnen.

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Stefan Kraft ist eine Frohnatur, aber das Bonmot, wonach ein Profifußballer knapp vor Saisonbeginn wohl kaum zur Trainingsauflockerung ein wenig Skispringen geht, kostete ihn maximal ein gequältes Lächeln. Der regierende Großschanzenweltmeister überknöchelte wenige Wochen vor den so wichtigen ersten Schneesprüngen des Olympiawinters beim Fußball, weshalb er zwar die Vorfreude auf den Weltcupauftakt am Wochenende in Nizhny Tagil, Russland, "riesig" nennt, sich "bereit" fühlt und froh ist, "dass es endlich losgeht". Er werde "aber ohne allzu große Erwartungen in die Saison starten und nicht gleich sagen, dass ich alles in Grund und Boden springe".

Remember, remember

Die fast schon im asiatischen Teil des Ural liegende Großschanze des Nizhny Tagil Tramplin Stork liegt den Österreichern prinzipiell. 2019 gewann Kraft hier eines der beiden Weltcupspringen, im Vorjahr landete Daniel Huber im ersten Springen auf Rang zwei. Tags darauf befand er sich wie die ebenfalls positiv auf Corona getesteten Kollegen Jan Hörl, Manuel Fettner und Thomas Lackner auf dem Heimflug in einer Sondermaschine. Wenige Tage zuvor hatten Kraft, Michael Hayböck, Gregor Schlierenzauer, Philipp Aschenwald und Cheftrainer Andreas Widhölzl infolge des Weltcupauftakts in Wisla, Polen, positive Tests abgegeben.

Die Cluster hingen Österreichs männlichem Skisprung fast die gesamte Saison über nach. Coach Widhölzl verzeichnete in den ersten Monaten seines Wirkens keinen Weltcupsieg im Einzel, in der Gesamtwertung schloss Huber als Bester seines Teams auf Rang zwölf ab, im Nationencup reichte es nur zu Platz vier, und bei der Vierschanzentournee, die Huber als bester Österreicher auf Rang zehn beendete, gelang kein Podestplatz. Die Erfolge der WM in Oberstdorf – Krafts Gold auf der Großschanze sowie die Silbermedaille für die Mannschaft und Bronze für das Mixed-Team – schönten bei fast letzter Gelegenheit die an sich düstere Bilanz.

Leitvogel

"Ich habe in der vergangenen Saison fast alles erlebt, was ein Trainer erleben kann", sagte Widhölzl vor der Reise in den tiefwinterlichen Ural. Derzeit ist es für den 45-jährigen Mannschaftsolympiasieger von 2006 "das Wichtigste, dass wir auf uns aufpassen und dass alle gesund durch den Winter kommen". Da auch Michael Hayböck nicht gesund in den Winter kommt – der Oberösterreicher beginnt sechs Wochen nach einer Bandscheibenoperation gerade erst mit dem Aufbautraining –, kann Widhölzl nur hoffen, dass Hörl seine Form vom Sommer-Grand-Prix, den er auf Rang drei beendete, auf Schnee mitnehmen kann und zum Beispiel Huber mit derselben Zuversicht, mit der er ins Flugzeug nach Russland stieg, dort auch in die Spur geht.

Der aktuelle Doppelstaatsmeister ist durchaus gewillt, quasi einen Leitvogel zu geben. Dazu fehlten dem 28-jährigen Salzburger bisher die Konstanz und das letzte Quäntchen Glück. "Der erste Weltcupsieg und die Top Ten im Gesamtweltcup stehen ganz weit oben" auf seiner Wunschliste. Darüber hinaus gibt es lohnende Ziele sonder Zahl.

Nach der Vierschanzentournee stehen im Februar die olympischen Springen im nagelneuen Snow Ruyi National Ski Jumping Centre 180 Kilometer nordöstlich von Peking auf dem Programm, weitere Höhepunkte einer besonders üppigen Saison sind die Raw-Air-Tour in Norwegen, die Skiflug-WM Mitte März in Vikersund und die ebenfalls mit einem Skifliegen zu begehende WM-Generalprobe in Planica.

Die Ansage

Coach Widhölzl ist sich bewusst, dass seine Springer unmöglich durchgehend in Form sein können, formulierte aber ein ziemlich ambitioniertes Ziel für die Saison eins nach Gregor Schlierenzauer. "Der Nationencup ist für mich ein persönliches Ziel, ich will ganz am Schluss in Planica stehen, das Gelbe Trikot überstreifen und als Siegernation heimfahren." In der Vorsaison war das Gelbe am Ende genau 1907 Punkte weit weg und in Norwegen.

Die Norweger von Coach Alex Stöckl sind es auch, die aus der üblichen Konkurrenz herausragen könnten. Allen voran Weltcup-Titelverteidiger Halvor Granerud, der den Sommer-Grand-Prix für sich entschied. (Sigi Lützow, 18.11.2021)