Nico Hülkenberg (links) und Andreas Gröbl führen die Servus-TV-Zuseher durch die Formel-1-Saison und den WM-Kampf zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton.

Foto: Servus TV/Neumayr Lo

Seit heuer überträgt Servus TV, abwechselnd mit dem ORF, die Formel 1. Das Timing könnte nicht besser sein, liefern sich doch Max Verstappen (Red Bull Racing) und Lewis Hamilton (Mercedes) das spannendste WM-Rennen seit langem. Ihr Zweikampf in Brasilien könnte sogar noch ein Nachspiel haben: Mercedes legte Protest gegen die Entscheidung der Rennkommissare ein, die Verstappens Abwehrmanöver als legitim einstuften. Am Freitag wird eine Entscheidung erwartet. Aber wie sieht das Kommentatorenduo beim Privatsender, das zuletzt von Mathias Lauda ergänzt wurde, das Duell um die WM? TV-Journalist Andreas Gröbl und Ex-Formel-1-Fahrer Nico Hülkenberg sprechen vor dem Großen Preis von Katar am Sonntag (15 Uhr, live auf Servus TV und Sky) darüber sowie über Saisonlehren und Zuseherkritik.

STANDARD: Wer wird Weltmeister?

Hülkenberg: Das ist seriös nicht vorhersehbar. Mein Gefühl ist 50:50. Es bleibt bis zum Ende eine Wundertüte.

Gröbl: In den letzten drei Rennen genügt es Max, wenn er Lewis einmal schlägt. Dann ist er, wenn alles gutgeht, Weltmeister.

Hülkenberg: Das ist aber alles theoretisch. Ein schlechter Start, ein schlechter Boxenstopp oder ein ruinierter Frontflügel, und die ganze Zahlenkalkulation hat sich erledigt.

STANDARD: Oder ein Reifenschaden wie bei Verstappen in Baku.

Hülkenberg: Und in Ungarn wurde er rausgekegelt. Eigentlich müsste Max mit 30 Punkten führen. Aber diese bitteren Rückschläge gehören dazu. Max hat im Sommer drei Rennen in Folge gewonnen. So ein Momentum zieht sich niemals über die ganze Saison.

Gröbl: Dafür hat Mercedes mehrere grobe Strategiefehler gemacht, die Hamilton Punkte gekostet haben. Denken wir an Budapest: Da wurde er allein draußen gelassen, während sich der Rest des Feldes die richtigen Reifen geholt hat. Also, man muss differenzieren. Verstappens größter Vorsprung waren 32 Punkte. Aber das ist nur ein bisschen mehr als ein Sieg und wurde oft verzerrt dargestellt.

Bilder für die Ewigkeit: Hamilton alleine am Start in Budapest.

STANDARD: Was spricht für Hamilton?

Hülkenberg: Seine und Mercedes’ sieben WM-Titel. Das Team ist hungrig zu beweisen, dass es auch so einen Nahkampf gewinnen kann. Sie werden bis zur letzten Kurve kämpfen. Das Auto ist mit jenem von Red Bull mindestens auf Augenhöhe. Es hängt von den Reifen und der Strecke ab.

STANDARD: Wem liegen denn die letzten drei Strecken mehr? Der neue Hamilton-Motor soll Verstappen auf der Start-Ziel-Geraden rund 20 km/h abgenommen haben.

Gröbl: In Katar war die Formel 1 noch nie. Da sehe ich nicht unbedingt einen Vorteil bei Mercedes, in Saudi-Arabien schon. Beim Finale in Abu Dhabi kann alles passieren, da war Red Bull zuletzt auch nicht so schlecht.

Hülkenberg: In Brasilien half Hamiltons Motor bei der Bergaufpassage doppelt. Die Strecken in Katar und Saudi-Arabien sind eher flach. Da wird der Motorenvorteil nicht mehr so krass sein. Man kann nicht erwarten, dass Lewis da nochmals so durchmarschiert.

Gröbl: Und es geht ja nicht immer nur um die Geraden. Es bringt mir gar nichts, wenn ich dort sechs Zehntel aufhole wie in Aserbaidschan, aber der Asphalt so rau ist, dass er den Hinterreifen komplett auffrisst und beim anderen nicht. Es entscheiden Kleinigkeiten. Deshalb ist die Saison so unvorhersehbar.

Hülkenberg: Im Grunde geht es darum, wer an den letzten neun Tagen den weniger schlechten hat. Es reicht schon, wenn du am Freitag schlecht drauf bist und das Setup in die falsche Richtung entwickelst.

STANDARD: Welche Rolle spielen die Nummer-zwei-Fahrer Sergio Pérez (Red Bull) und Valtteri Bottas (Mercedes)?

Gröbl: Pérez kam zum richtigen Moment in Fahrt. Er war dreimal in Folge auf dem Podium. Beinahe ein viertes Mal in Brasilien, hätte Bottas nicht das Glück gehabt, dass das Virtual-Safety-Car ihm einige Sekunden geschenkt hat. Es ist ein Fragezeichen, wie viel Mercedes technisch rauskitzeln kann, dass Bottas mitspielt. Er hat zwar die letzten beiden Pole-Positions geholt, aber im Rennen nichts daraus gemacht.

Bottas und Pérez dürften die schnellste Runde jagen.
Foto: imago images/Motorsport Images/Steve Etherington

Hülkenberg: Eigentlich reden beide Fahrer im Titelkampf gar nicht mit. Sie versuchen es zwar immer, aber ich habe kein konkretes Beispiel im Kopf, wo einer der beiden strategisch gewinnbringend eingesetzt wurde. Sie fahren einfach so weit hinterher, dass sie fast schon irrelevant sind. Es geht nur um den einen Punkt für die schnellste Rennrunde. Den Rest machen sich Max und Lewis aus.

Gröbl: Der beste Nummer-zwei-Fahrer war Mick Schumacher in Austin, weil er Max bei seiner Überrundung DRS ermöglicht hat. Das Niveau von Max und Lewis ist einfach Galaxien von jenem der anderen entfernt. Deshalb erlebten wir heuer auch viele Führungswechsel in der Schlussphase der Rennen.

STANDARD: Sicher auch zur Freude von Servus TV. Wie haben Sie sich auf Ihr erstes Rennen als Kommentatorenduo vorbereitet?

Hülkenberg: Wir haben uns bissl abgesprochen. Mein Part als Experte ist der fahrerische und technische Aspekt. Ich gebe meinen Senf dazu. Andi hat Löwenanteil daran, die ganze Sendung zu füllen.

Gröbl: Wir waren anfangs, in den ersten Rennen, eher defensiv. Natürlich kannst du mit breiter Brust reingehen und sagen: "Wir zerreißen jetzt alles." Damit kommst du bis Runde vier im Grand Prix und stehst dann wie der größte Depp da, weil du vermutlich Dinge vorhergesagt hat, die nicht eingetroffen sind. Ein klassischer Anfängerfehler. Wir wollten demütig an die Aufgabe herangehen. Die Qualität erkennt man an der Lernkurve.

STANDARD: Was haben Sie gelernt?

Gröbl: Ein Schlüsselmoment war für mich unser drittes Rennen. Philipp Brändle, unser Ex-Mercedes-Ingenieur, hat bei einer Onboard-Kamera erkannt, dass Hamilton irgendeinen Knopf gedrückt hat. Und Nico sagt: "Ja, klar, den kenn ich." Es war ein Markerbutton, mit dem der Fahrer ein Problem markieren kann, das er später mit seinem Ingenieur besprechen will. Nico musste erst einmal verstehen, was wir alles nicht wissen. Er weiß ja alles über die Formel 1. Da hat er einen Riesensprung gemacht und schaltet sich mittlerweile öfters aktiv rein.

Hülkenberg: Ich muss selektieren und die Formel-1-Sprache übersetzen. Wir haben keine halbe Stunde Zeit, um ein Thema aufzuarbeiten. Livefernsehen muss kompakt sein. Oft gibt mir Andi Vorlagen.

Gröbl: Wenn ich wissen will, wie sich der Hybridmotor bei 370 km/h anfühlt, ist Nico der richtige Ansprechpartner. Wenn es um Nigel Mansell geht, ist es Mathias, weil er mit seinem Vater sicher mal irgendetwas mit ihm erlebt hat. Wir haben für jedes Thema den passenden Experten. Aber: Im Hintergrund arbeiten hundert andere mit. Es kann sich niemand vorstellen, wie es ist, so viele Menschen am Ohr zu haben, vor allem wenn man wie Nico nicht die österreichische Sprache gewohnt ist. Nach dem ersten Rennen ist er zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob er es gut gemacht hat. Als er im dritten Rennen das erste Mal von einer "gmahden Wiesn" geredet hat, wusste ich, da geht etwas weiter.

STANDARD: Kritiker meinen, dass Sie gerade in den ersten Rennen zu viel geredet haben. Waren Sie anfangs bissl übermotiviert?

Gröbl: Wenn du 50 Jahre darauf wartest, wie kannst du da nicht übermotiviert sein? Mit Kritik muss man leben, und wenn sie von vielen kommt, ist meistens etwas Wahres dran. Dass es im ersten und zweiten Rennen so war und dann weniger, deckt sich auch mit meiner Empfindung. Wir sind unsere schärfsten Kritiker. Jedes berechtigte Posting tut mir tagelang weh, weil wir kommentieren ja nicht für uns. Ich hoffe, ich konnte seither erreichen, dass die Kritik weniger wurde. Es ist wie in einer Rennfahrerkarriere: Du bist froh, es in die Formel 1 geschafft zu haben, und weißt nicht, was dich erwartet. Dann fährst du den ersten Grand Prix und denkst: "Wow. Der ist aber hoch der Berg." Daraus gilt es zu lernen.

STANDARD: Servus TV teilt sich die Übertragungsrechte mit dem ORF. Orientieren Sie sich am Duo Ernst Hausleitner / Alexander Wurz?

Hülkenberg: Ich empfange keinen ORF.

Gröbl: Es wäre grob fahrlässig, den Mitbewerber nicht zu beobachten. Ich sehe uns als Start-up. Alle erwarten, dass Servus TV im ersten Jahr alles perfekt macht. Aber wir sind noch am Lernen. Unsere größte Herausforderung ist, das 50 Jahre alte Gewohnheitsdenken zu brechen. Die einfachste Möglichkeit wäre, dass wir es genauso wie der ORF machen. Aber wir wollten es anders angehen und haben etwa einen deutschen Co-Kommentator. Mit solchen Stilbrüchen begibst du dich auf dünnes Eis. Aber das Risiko ist es wert. Wir wollen, dass die Zuseher uns lieben lernen. Sie sind immer die Benchmark.

STANDARD: Zurück zum Sportlichen. Abgesehen von den beiden Topteams, wer überraschte Sie heuer positiv?

Hülkenberg: Lando Norris (McLaren) und Pierre Gasly (Alpha Tauri) muss man hervorheben. Die fahren beide Weltklasse und holen das Maximum aus ihren Autos raus.

Gröbl: Der Sieg von Daniel Ricciardo (McLaren) in Monza. Das Rennen war das beste Beispiel dafür, dass Team und Fahrer die eine Chance, die sie hatten, mit dem nötigen Glück genutzt haben.

STANDARD: Und negativ?

Gröbl: Ich hätte wetten können, dass Nico noch ein Rennen fährt.

Hülkenberg: Vielleicht bin ich nochmals Corona-Ersatzmann. Was ein fixes Cockpit angeht, ist die Formel 1 für mich abgeschlossen. Aber ich bin glücklich bei Servus TV. Wie meine Rennfahrerkarrierte weitergeht, wird sich in den nächsten zwei, drei Monaten entscheiden.

Hülkenberg und Gröbl loben das McLaren-Duo Norris und Ricciardo.
Foto: imago images/Motorsport Images/Charles Coates

STANDARD: Was darf man sich vom Grand Prix von Katar erwarten?

Hülkenberg: Es ist eine schnelle Strecke. Flüssig zu fahren, kein Auf und Ab. Die Hauptgerade ist einen guten Kilometer lang. Es wird ein gutes Rennen.

STANDARD: Der Rennkalender wird oft diskutiert. Hätten Sie irgendwelche Änderungswünsche?

Gröbl: Ich wäre für: Weniger ist mehr. Niki Lauda wurde 1975 nach 14 Rennen Weltmeister, und niemanden hat das gestört. Meine Idee wäre zu rotieren. Du brauchst nicht jedes Jahr einen Grand Prix in Ungarn oder Bahrain. Wieso stattdessen nicht alle zwei Jahre ein Rennen in Deutschland? Wenn an Standorten pausiert wird, sind die Fans dort auch hungriger. Zandvoort ist das beste Beispiel. Damit wäre auch die Belastung für das Personal geringer. Beim jetzigen Triple-Header sind alle am Limit. Ich möchte nicht derjenige sein, der irgendwem erklären muss, warum ein Fahrer im Krankenhaus liegt, weil die Mechaniker 15 Tage durchgearbeitet haben.

Hülkenberg: Qualität ist besser als Quantität. So gerät der letzte Rennsieger auch nicht so schnell wieder in Vergessenheit. (Andreas Gstaltmeyr, 19.11.2021)

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