62 Prozent der heimischen Betriebe leiden aktuell unter (sehr oder eher) starkem Fachkräftemangel. Zu diesem Ergebnis kam der Fachkräfteradar von IBW im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich. Besonders groß ist der Bedarf in der Pflege.

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Um rund fünf Prozent werden ab Jänner die Löhne im Güterbeförderungsgewerbe steigen, darauf haben sich die Sozialpartner Anfang November geeinigt. Der Fachkräftemangel in der Transportbranche beschäftige die Logistikbranche schon länger, die Corona-Pandemie habe die Lage noch einmal verschärft. Der hohe Abschluss solle helfen, Mitarbeiter zu halten und auch neue zu finden, heißt es dazu von den Sozialpartnern. Dieser hohe Lohnabschluss ist aber nur das jüngste Beispiel, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Qualifizierte Mitarbeiter fehlen in vielen Branchen und Berufen. Laut Stimmungsbarometer von Deloitte leiden aktuell zwei Drittel der heimischen Unternehmen am Fachkräftemangel. Die Auswirkungen bekommen Firmenchefs und Mitarbeiter gleichermaßen zu spüren. Bei einer Unternehmensbefragung des Instituts für Berufsbildungsforschung der Wirtschaft (IBW) im September letzten Jahres gaben 81 Prozent der teilnehmenden Unternehmen an, dass sich der Fachkräftemangel in Form von höherer Arbeitsintensität sowie mehr Überstunden (63 Prozent) auswirkt. Der konjunkturelle Aufschwung, die demografische Entwicklung und der schwächere Zuzug aus der EU lassen erwarten, dass der Fachkräftemangel in Zukunft noch größer werden wird, heißt es dazu vom Arbeitsmarktservice (AMS).

Personalsuche

Besonders deutlich vor Augen geführt wird dieser Fachkräftemangel aktuell im Gesundheits- und Pflegebereich. Schon vor Corona waren Pflegekräfte stark nachgefragt, die Bewältigung der Pandemie hat die Situation noch weiter verschärft. Im Bereich der Altenpflege können wegen Personalmangels die Bettenkapazitäten nicht voll ausgeschöpft werden. Die Pflegereform, die auch mehr Menschen für einen Pflegeberuf gewinnen will, befindet sich noch immer in der Ausarbeitung.

Laut IBW-Unternehmensbefragung rechnen viele Unternehmen mit steigendem Aufwand bei der Personalsuche. Besonders schwierig ist die Suche bei technischen Jobprofilen. Laut Stellenandrangliste des AMS – dafür wird das Verhältnis offener Stellen zu qualifizierten Arbeitssuchenden errechnet – ist das Verhältnis bei technischen Berufen, aber auch bei Handwerksberufen am niedrigsten. So gab es beispielsweise Ende Oktober fünfmal so viele offene Stellen für Starkstromtechniker oder Dachdecker wie Arbeitssuchende in diesem Bereich.

Nur geringfügig höher ist das Verhältnis bei Technikern im Bereich der Datenverarbeitung oder im Maschinenbau. Hier gibt es dreimal so viele Stellenangebote wie arbeitssuchende Personen. Die Region wird bei dieser Auswertung nicht berücksichtigt. Gesucht werden sowohl Techniker mit einer höheren Ausbildung (mindestens HTL-Absolventen) als auch Lehrabsolventen. Wenn auf einen Arbeitssuchenden 1,5 offene Stellen kommen, dann könne, so das AMS, bereits von einem Fachkräftemangel gesprochen werden. Da nicht jede offene Stelle auch beim Arbeitsmarktservice gemeldet werde, sei der tatsächliche Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern oft noch höher.

Lange Liste

Mit der Fachkräfteverordnung 2021 wurde die Liste an Mangelberufen überarbeitet. Sie umfasst österreichweit 45 Berufe, in denen auch Personen aus dem Ausland als Fachkräfte zugelassen werden können. Für die einzelnen Bundesländer gibt es regionale Ergänzungen. Mitarbeiter auch im Ausland zu suchen ist nur eine Maßnahme unter vielen.

Unternehmen versuchen ihre Attraktivität zu steigern und ermöglichen beispielsweise flexible Arbeitszeiten, Viertagewoche oder Homeoffice. Das AMS wiederum fördert Ausbildungen in Branchen, in denen der Fachkräftemangel groß ist. Daneben gebe es aber auch strukturelle Maßnahmen, beispielsweise den Ausbau der Kinderbetreuung oder die Verbesserung der Grundausbildung von Jugendlichen. Denn "das Schlechteste für einen Menschen, und auch für den Arbeitsmarkt, ist ein früher Ausstieg aus dem Bildungssystem", sagt AMS-Sprecher Mathieu Völker. (Gudrun Ostermann, 22.11.2021)