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Das gesetzliche Erbrecht zielt vor allem auf die üblichen Bedürfnisse traditioneller Familienverbände ab – die von jenen von Patchworkfamilien stark abweichen können.

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Bei immer mehr Menschen ist die erste Ehe nicht die letzte. Man versucht im zweiten Anlauf ein neues Glück. Bringt zumindest einer der Ehepartner Kinder in die neue Beziehung mit, spricht man von einer Patchworkfamilie. Derzeit fallen 8,2 Prozent aller Familien darunter – also lebt etwa jede zwölfte Familie in Österreich im Patchwork-System, Tendenz kontinuierlich steigend.

"Das ist ein Thema, das in den nächsten zehn bis 15 Jahren an Bedeutung gewinnen wird", sagt Guido Küsters vom Verband Financial Planners, der sich mit den besonderen finanziellen Herausforderungen von Patchworkfamilien auseinandergesetzt hat.

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"Schon jede zwölfte Familie lebt im Patchwork-System."
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Wie regelt man in diesen Fällen die Finanzen und vor allem den Nachlass, ohne dass diese Fragen zur Belastung für den familiären Fleckerlteppich werden? "Es ist vor allem ein Thema der Kommunikation in den Familien", sagt Küsters.

Wer wohnt beim anderen, wer zahlt wie viel Miete oder Unterhaltsverpflichtungen sind oft heikle Themen in Patchworkfamilien, die unter allen Beteiligten in Gesprächen geklärt gehören. "Sonst entfacht sich oft Streit aus solchen Gründen", gibt der Finanzexperte zu bedenken.

Die größten Fallstricke kommen jedoch erst beim Ableben eines der Ehepartner zu tragen, da das Erbrecht in Österreich nicht auf Patchworkfamilien abzielt, sondern auf das klassische Modell einer Kernfamilie mit gemeinsamen Kindern. Oft bringen aber nicht nur die Ehepartner Kinder aus früheren Verbindungen in die Patchworkfamilie mit, sondern haben in weiterer Folge auch gemeinsamen Nachwuchs. "Dann hat man wirklich eine sehr bunte Mischung", sagt Küsters.

Oft Zank um Nachlass

Zunächst gilt für Patchworkfamilien auch das, was sonst ebenfalls gemacht werden sollte: nämlich sich mit dem Nachlass rechtzeitig auseinanderzusetzen. Schließlich können Menschen jederzeit unerwartet durch einen Unfall oder eine plötzliche Erkrankung aus dem Leben gerissen werden.

Ein Testament zu verfassen kann eine unbequeme Angelegenheit sein, man muss sich nicht nur mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen, sondern auch mit manchmal schwierigen Familienverhältnissen. Erbstreitigkeiten sind jedoch keine Seltenheit, besonders bei sogenannten Folgeehen mit mitgebrachten Kindern, also Patchworkfamilien.

Grundsätzlich gilt: Der bestehende Ehepartner erhält ein Drittel des Erbes, den eigenen Kindern, egal aus welcher Verbindung, stehen zwei Drittel zu. Stiefkinder wie die Töchter und Söhne des Ehepartners gehen leer aus. Wer etwas daran ändern möchte, muss ein Testament verfassen – und auch dann sind die Spielräume eingeschränkt.

Denn der zuvor beschriebene Pflichtteil des Ehepartners und der eigenen Kinder lässt sich auch testamentarisch nicht ausschließen, sondern nur auf die Hälfte beschränken – also auf ein Sechstel für den hinterbliebenen Ehepartner, ein Drittel für den eigenen Nachwuchs.

Pflichtanteilsverzicht

Geht es also nach der gesetzlichen Erbfolge, gilt es folgende Besonderheit bei Patchworkfamilien zu beachten: Ein Teil des Nachlasses des zuerst verstorbenen Ehepartners wird in weiterer Folge an die Kinder des anderen, also die Stiefkinder, weitervererbt. "Meistens sind die Männer vermögender, aber die Frauen leben länger", beschreibt Küsters die am häufigsten auftretende Konstellation.

Dies kann natürlich auch so gewollt sein. Aber kann man es auch ausschließen? "Ja", sagt Norbert Prenner, der bei der Schoellerbank den Bereich Wealth Planning leitet. "Es gibt die Möglichkeit des formellen Pflichtanteilsverzichts beim Notar", sagt er.

Für den – ob gegen eine Abgeltung oder nicht – verzichtenden Ehepartner sei dies weitreichend, da sich die Vermögensverhältnisse, beispielsweise durch einen Lottogewinn, grundlegend ändern können. "Das ist in der Praxis eine Erwartungshaltung auf das Vermögen des Ehepartners zum Todeszeitpunkt."

Mehr Spielraum

Allerdings bedeute der Verzicht auf den Pflichtanteil nicht, dass dem Ehepartner nicht trotzdem im Testament ein Erbteil zugesprochen werden kann. Generell lasse der Verzicht auf den Pflichtteil des Ehepartners dem Hinterbliebenen mehr Spielraum bei der Gestaltung seines Nachlasses, sagt Prenner.

Da sich aber nicht nur die Vermögensverhältnisse und -strukturen immer wieder ändern können, sondern mitunter auch der persönliche Zugang zu Personen, empfiehlt der Experte generell, das Testament regelmäßig anzusehen. "Das sollte man alle paar Jahre auf Aktualität prüfen", sagt er. Besonders bei Patchworkfamilien, damit die ins Herz geschlossenen Kinder des neuen Ehepartners nicht leer ausgehen – was nach gesetzlicher Erbfolge der Fall wäre.

Er wolle für solche Probleme Bewusstsein schaffen und schärfen, sagt Prenner. Dabei rät der Schoellerbank-Experte dazu, stets einen Notar oder Rechtsanwalt hinzuzuziehen – nicht zuletzt, um alle formalen Erfordernisse des letzten Willens zu erfüllen.

Schenkungen

Dies sollte auch gemacht werden, wenn man bereits mit warmen Händen geben will, also noch zu Lebzeiten Schenkungen von Vermögen vornimmt. Diese können nämlich an den Pflichtteil der Nachkommen bei einer späteren Erbschaft angerechnet werden, wobei leibliche Kinder anders behandelt werden als Stiefkinder. Eine rechtliche Gleichstellung aller Kinder einer Patchworkfamilie kann übrigens durch Adoption erreicht werden.

Besonders oft treten Erbschaftsstreitigkeiten auf, wenn zwei ältere Personen mit jeweils bereits erwachsenen Kindern eine Patchworkfamilie gründen. Der Grund liegt auf der Hand: Die Stiefgeschwister kennen einander oft nur oberflächlich.

Oder, wie es Küsters vom Verband Financiel Planners umgekehrt ausdrückt: "Meistens wachsen Patchwork-Geschwister schon sehr stark zusammen." Sprich, sie betrachten einander auch ohne Blutsverwandtschaft als Schwestern und Brüder – und gönnen einander mehr.

Alle an einen Tisch

"Ich kenne nur wenige Erbfälle, bei denen alle zufrieden und happy sind", sagt Küsters aus der Praxis über Patchworkfamilien. Aber wie kann ich als künftiger Erblasser versuchen, Streitigkeiten um den eigenen Nachlass möglichst zu unterbinden? Miteinander reden, lautet das Zauberwort aus Küsters Sicht. "Man sollte versuchen, alle an einen Tisch zu bekommen und gemeinsam eine Lösung zu finden."

Meist werde zu wenig über dieses Thema kommuniziert, und jeder habe seine eigenen Vorstellungen und Erwartungen an den Erblasser. "Wenn man mit allen redet und ihnen die Motivation erklärt, nehmen sie es vielleicht besser auf", sagt Küsters über den letzten Willen.

Erbrechtlich gelten Lebensgefährten seit 2017 nicht mehr als Fremde, sondern haben seitdem Erbansprüche, allerdings keine Pflichtteilsansprüche. Bevor der Staat als Noterbe einspringt, könnten auch Lebensgefährten als Erben eintreten, sofern dies nicht automatisch erfolge, erklärt Schoellerbank-Experte Prenner. Besser sei es jedoch, dies auch testamentarisch so festzulegen.

Man sollte sich auch Gedanken machen, von wem das Vermögen von minderjährige Erben verwaltet werden soll. Bei Patchworkfamilien könnte dies nämlich der externe Elternteil eines mitgebrachten Kindes sein. Wer dies nicht so will, sollte im Nachlass Vorkehrungen treffen. (Alexander Hahn, Magazin "Portfolio", 29.12.2021)