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Viele von den neuen kleinen Investoren, die die Pandemie auf den Plan gerufen hat, sind komplett unerfahren und machen ihre Hausaufgaben nicht.

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Die Corona-Pandemie hat nicht nur das Online-Glücksspiel beflügelt. Die Zahl der globalen Nutzer von Kryptowährungen hat sich innerhalb eines halben Jahres verdoppelt – von 106 Millionen Nutzern im Jänner auf 221 Millionen im Juni 2021. Das berichtet die Kryptoplattform Crypto.com.

Vor allem in Schwellenländern wie Vietnam, Indien, Pakistan und der Ukraine "verwenden viele Menschen Kryptowährungen, um ihre Ersparnisse angesichts der Währungsabwertung zu bewahren, Überweisungen zu senden und zu empfangen und Geschäftstransaktionen durchzuführen", teilte das Analyseunternehmen Chainalysis in einem Bericht im August mit. Die weltweite Akzeptanz von Kryptoanlagen unter Privatanlegern, so der Bericht der Experten, stieg im Vorjahr um 881 Prozent.

Während der Kryptohandel in Westeuropa im vergangenen Jahr hauptsächlich durch institutionelle Investitionen angetrieben wurde, ist aber auch hier die Zahl der Kleininvestoren stark gewachsen. Charles, 29, ein Student in Berlin, ist einer von vielen kleinen Privatanlegern, die am 19. Mai eine böse Überraschung traf. Damals brach der Kryptomarkt zusammen, nachdem China angekündigt hatte, Finanzinstituten das Anbieten von Kryptodiensten verbieten zu wollen.

"Es passierte, während ich schlief. Ich wachte am nächsten Morgen auf und dachte: ‚Oh, okay‘." Innerhalb weniger Stunden sank der Wert von Bitcoin um rund 30 Prozent und riss andere Kryptowährungen mit, was mal eben so einen Marktwert von etwa 1000 Milliarden US-Dollar vernichtete.

Charles hatte sich mit nur rund 250 Euro eingekauft. "Ich habe in den ersten Monaten bis Ende 2020 rund 40 Prozent verloren. Dann wurde es verrückt. Einige Coins, die ich gekauft hatte, sind über Nacht um 100 Prozent gestiegen. Es war, als würde man Geld drucken."

"Ich bin ein Genie"

Anfang April waren aus den 250 Euro 1600 Euro geworden, viel Geld für den Studenten. "Ich dachte, ich bin ein Genie." Dann fiel der Markt ins Bodenlose. "Mittlerweile hat sich der Wert seines Krypto-Wallets zu etwa 70 Prozent erholt, doch Charles hat seine Lektion gelernt.

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"Einige Coins, die ich gekauft hatte, sind über Nacht um 100 Prozent gestiegen. Es war, als würde man Geld drucken."
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"Dieser Crash hat mich definitiv abgeschreckt. Vorher habe ich vielleicht zwei Stunden pro Tag damit verbracht, auf Trade-Alerts zu reagieren, die diese Investorengruppe viermal täglich gegen eine geringe monatliche Gebühr verschickte. Aber diese Hilflosigkeit, die man spürt, wenn die Kurse weiter fallen, hat mich dazu gebracht, das Daytrader-Dasein weitgehend aufzugeben und eine längerfristige Perspektive einzunehmen."

Auch die Reaktionen der Krypto-Community auf die fallenden Preise hinterließen einen sauren Beigeschmack, so Charles. "Die Leute in dieser Community befinden sich in einem Echoraum, in dem jede Kritik an Krypto einfach als ‚falsch informiert‘ oder ‚zukunftsängstlich‘ niedergeschossen wird."

Die britische Nationalbank warnte im Dezember Bitcoin-Investoren vor einem Wertverlust der Kryptowährung. Wie funktioniert die Währung eigentlich? Ein Erklärungsversuch.
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Ein einziger Tweet

Charles glaubt, dass viele von unberechenbaren Social-Media-Kommentaren von Leuten wie Elon Musk beeinflusst werden, der kurz vor dem Mai-Crash twitterte, sein Unternehmen werde Bitcoin doch nicht als Zahlungsmittel akzeptieren aufgrund der enormen Umweltbelastung bei der Schürfung der Währung. Ein einziger Tweet von Musk führte zu einem Einbruch des Marktes, und Bitcoin verlor innerhalb von 24 Stunden 15 Prozent an Wert.

"Musk ist so ein seltsames Unkraut, er könnte einen Machtkomplex haben", sagt Charles. "Aber wenn man von Nachrichten über Tesla und China mal absieht und sich auf die reale Integration von Kryptos konzentriert, die derzeit im Gange ist, kann man sehen, dass es sich um eine Technologie handelt, die noch in den Kinderschuhen steckt, und dass es die Zukunft ist." Es sei der Beginn von etwas Neuem, und es bestehe der Wunsch, zu sagen: "Ich war dabei."

"Ich kann auch beobachten, wie sich Menschen mit Zocker-Mentalität in Krypto-Assets verfangen können, zumal die Casinos während der Pandemie geschlossen hatten. Viele Leute sind aus den falschen Gründen dabei, aber ich glaube immer noch, dass meine 250 Euro eines Tages ein Rentenfonds werden könnten, eine ernstzunehmende dauerhafte Geldanlage. Diese Abstürze sind nur ein Teil der Fahrt. Insgesamt ist es aufregend. Bis es in manchen Fällen leider schiefgeht."

Sturzflug

Und das tut es in der Tat – also oft schiefgehen. Viele von den neuen kleinen Investoren, die die Pandemie auf den Plan gerufen hat, sind komplett unerfahren und machen ihre Hausaufgaben nicht. Auf dem Social-News-Aggregator Reddit allein finden sich zahlreiche Threads, in denen schockierte Amateurinvestoren große Verluste nach Krypto-Preisstürzen beklagen.

Oftmals handelt es sich dabei um Opfer von sogenannten Shitcoins oder Meme-Coins – also Krypto-Token, die keinen unmittelbaren oder erkennbaren Zweck haben. Erst Anfang November mussten Investoren, die die dubiose Kryptowährung Squid Game gekauft hatten, feststellen, dass der Wert eines Tokens in wenigen Minuten im Sturzflug von einem Hoch von 2865 Dollar auf fast Null rauschte.

Ein junger Mann aus Schanghai berichtete entsetzt, er habe seine gesamten Ersparnisse von 28.000 Dollar in den Token investiert und auf einen Schlag verloren. Der Schaden, der mit dem Squid-Game-Token angerichtet wurde, geht in die Millionenhöhe. Mittlerweile ist auch klar, dass sich dahinter Betrüger verbergen, die den Hype um die gleichnamige Netflix-Serie ausgenutzt haben. Sie sollen das investierte Geld gestohlen haben. Zweifel hatte es davor schon gegeben, weil man diesen Token zwar kaufen, aber nicht verkaufen konnte.

Eiserne Standhaftigkeit

Bei Krypto-Assets gilt aber auch, was für andere Investmentprodukte gilt: Trotz einer schwindelerregenden Achterbahnfahrt des Kurses ist natürlich zunächst nichts direkt verloren – solange man nicht zu einem niedrigeren Preis verkauft als dem, den man selbst dafür bezahlt hat. Die sogenannte Diamond-Hands-Strategie, wie sie in Kryptokreisen genannt wird, mahnt zu eiserner Standhaftigkeit bei Kurseinbrüchen und warnt davor, panisch Krypto-Assets zu verscherbeln, die über Nacht in den Keller gerasselt sind.

Diese Strategie verfolgt auch Steffi*, 28, eine Doktorandin aus Wien. Sie legt seit etwa vier Jahren Geld in Aktien an und versucht sich seit Jänner auch im Kryptogeschäft. "Ich versuche, monatlich 200 bis 300 Euro in Bitcoin zu investieren – momentan bin ich mit circa 3000 Euro dabei. Darauf gekommen bin ich im Lockdown, weil ich genug Zeit hatte, mich mit dem Thema zu beschäftigen."

Ausschlaggebend war für Steffi die sagenhafte Wertsteigerung von Bitcoin: Allein zwischen Anfang 2021 und Mitte April verdoppelte sich der Preis der Währung auf mehr als 63.000 Dollar pro Coin. "Fomo – also das Phänomen ,fear of missing out‘ – hat mich enorm motiviert. Ich würde allerdings nie so weit gehen, wesentliche Bestandteile meines Kapitals in Krypto zu stecken. Das wäre mir zu riskant", sagt Steffi.

Die Kurskorrektur von Krypto im Mai hat Steffi "kaum mitbekommen". "Es hat mich im Wesentlichen gar nicht interessiert, weil ich nicht zu denen gehöre, die täglich den Stand ihres Portfolios checken. Ich habe allerdings gelernt, zum richtigen Zeitpunkt, nach einem Preisabsturz, nachzukaufen und dass sich der Markt recht schnell wieder erholt. Abgeturnt hat mich der Crash in keinster Weise."

Große Hoffnungen

Einen lebensverändernden Betrag mit Krypto zu verdienen, das erwartet Steffi nicht. "Ich erhoffe mir gar nichts Konkretes. Ich glaube, dass es Sinn macht, in einem breit aufgestellten Finanzportfolio auch Krypto zu haben, aber es muss nicht sein." Kurioserweise wünscht sich Steffi, dass Krypto-Coins irgendwann nichts mehr wert sind.

"Ich möchte eigentlich nicht, dass Bitcoin nachhaltig als Zahlungsmittel oder Geldanlage genutzt wird, allein schon wegen des hohen Energieverbrauchs dieser Währung. Und die ganzen Shitcoins, die am Markt umherschwirren, leben nur vom Hype. Das nervt." Steffi hofft, dass die Massen Krypto-Token nicht plötzlich für das neue Gold halten, das jede Oma kaufen möchte. "Das könnte gefährlich werden."

Daniel, ein Anwalt aus London, Mitte 30, investiert seit Februar in Kryptos. Aktuell hat er ein sechsstelliges Portfolio, verteilt auf 30 Kryptowährungen und Tradingplattformen, vor allem Bitcoin und Ethereum. Krypto sei "von Natur aus radikal riskanter als jede traditionelle Anlageform", sagt Daniel. "Ich ging zunächst davon aus, dass Krypto in fünf Jahren entweder um 80 Prozent sinken oder um 1000 Prozent steigen wird, also war es mir eine relativ bescheidene, riskante Wette wert. "Mit der Zeit habe ich eine Reihe verschiedener Strategien entdeckt und entwickelt, die sehr hohe Renditen erzielen und gleichzeitig das Risiko eines Absturzes einzelner Kryptos absichern."

Diese Taktik erlaube es ihm, "dosiert in Hochrisikoprodukte zu investieren, die bis zu 72.000 Prozent effektiven Jahreszins einbringen". "Aktuell verdiene ich pro Tag mehr mit Krypto-Assets als in meinem Beruf."

Mit seiner Anwaltstätigkeit gehört Daniel zu den 0,1 Prozent der bestbezahlten Menschen in England. Wie viele andere hofft auch er, eines Tages den ganz großen Gewinn einzufahren. "Es wäre toll, wenn ich genug machen würde, um meinen Job aufgeben zu können. Aber realistisch ist das nicht, angesichts der Risikoparameter, die ich für mich selbst festgelegt habe. Dennoch – wer weiß!" (Jedidajah Otte, Magazin "Portfolio", 2.12.2021)