PURPLE MAGIC Heidi Heistermann und Windhund Brownie. Die Zucht nennt man auch "Violette Magie". Stur sind sie, sagt Frau Heistermann. Und sensibel.

Foto: Christian Fischer / Fischer Foto

In der Halle eins der Messe Tulln haben sich an diesem Sonntag die Sensiblen eingefunden. Windhunde gelten als schüchtern und eher distanziert, zumindest bei Fremden. "Sie können sehr stur sein, wie Katzen", sagt Heidi Heistermann, während sie ihren Afghanischen Windhund bürstet.

Er heißt Brownie, ist fünf Jahre alt und steht gerade auf einem Metalltisch. Heistermann setzt große Hoffnungen in ihn, ein "Top-Rüde" sei der Brownie. In wenigen Minuten wird er sich in der sogenannten Championklasse mit anderen Windhunden messen.

Heistermann, 49 Jahre alt, groß und schlank, trägt einen violetten Hosenanzug. Die Zucht, die sie mit einer Freundin betreibt, heißt "Purple Magic’s", übersetzt "violetter Zauber". Heistermann zieht nervös an ihrer E-Zigarette und blickt hinüber zur Wettkampfzone, die "Ring" heißt, aber so wie beim Boxen ein Viereck ist. Noch sind Brownie und sie nicht dran.

In den anderen Hallen in Tulln spielen sich ähnliche Szenen ab. Hundebesitzer rüsten sich in der niederösterreichischen Messestadt für den Auftritt mit ihrem Tier. In Halle vier werden zum Beispiel Deutsche Doggen ausgestellt, Schulterhöhe 80 Zentimeter, in Halle zehn hingegen sogenannte Gesellschaftshunde wie Malteser und Pekingesen, die in eine Handtasche passen.

Heidi Heistermann und Brownie gehen trotz motivierender Rinderzungen in der Tasche leider leer aus.
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Man sieht in Tulln große Menschen mit kleinen Hunden und kleine Menschen mit großen Hunden, und man ahnt, dass die Wahl des Hundes viel damit zu tun hat, welche Aufgaben man sich für sein Leben aussucht. Auf einer Hundeausstellung kann man viel über Hunde lernen, aber noch mehr über Menschen.

Auf- und weggebürstet

"Afghanen wären mir zu viel Arbeit", hört man in der Windhundehalle öfter. Unter Kennern ist die Rasse schließlich für ihr langes seidiges Fell bekannt. Wer weniger bürsten, trimmen und waschen will, aber Windhunde liebt, entscheidet sich meist für einen Whippet oder Saluki.

Heistermann kann als Afghanenzüchterin darüber nur lächeln. "Das sucht man sich ja auch aus", sagt die gebürtige Deutsche, die in der Nähe von Lilienfeld im Mostviertel wohnt. "Andere gehen oft essen oder ins Kino, ich hab meine Hunde." Heistermann bürstet immer noch, sie bürstet und bürstet. Es wirkt, als wolle sie ihre Nervosität wegbürsten.

Die Tullner Hundeausstellung dauert in diesem Jahr von 12. bis 14. November, wegen pandemiebedingter Verschiebungen länger als sonst. An allen drei Tagen tritt Heidi Heistermann mit ihrem Brownie in der Championklasse an.

Ihr Ziel ist ein sogenanntes Cacib ("Certificat d’Aptitude au Championat International de Beauté"). Dann wäre ihr Brownie bald internationaler Champion. Aber die ersten zwei Tage verliefen ernüchternd. Am Freitag rügte die Richterin sogar, Brownie habe "eine Batterie in der Rute" – er hatte zu viel mit dem Schwanz gewedelt. Heistermann hofft auf diesen Sonntag.

Anreise durch halb Europa

Maximilian Mayer räumt mit seinen vier Whippets bei der Hundeausstellung in Tulln groß ab.
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Insgesamt sind heuer 5000 Rassehunde in Tulln gemeldet worden, obwohl nun nicht nur die Tiere, sondern auch Menschen einen Impfnachweis haben müssen. Vom Österreichischen Kynologenverband (ÖKV), dem Dachverband der Hundezüchter, erfährt man, dass in Österreich wohl 700.000 Hunde leben.

Als Rassehunde beim ÖKV offiziell eingetragen sind nur rund 60.000 davon. Ein paar Hundert österreichische Hundebesitzer wiederum, häufig Züchter, messen sich bei Hundeausstellungen. Viele davon reisen dafür durch halb Europa.

Der Ablauf ist überall ähnlich: Der Hundebesitzer bekommt eine Startnummer und wird mit seinem Tier in den Ring gerufen. Beurteilt wird das Erscheinungsbild von einem geprüften Formwertrichter, der am Schluss eine Note vergibt und begründet. Zunächst wird im Kreis gelaufen, als optimales Tempo gilt "ein flotter Trab".

Dann präsentiert der Teilnehmer seinen Hund dem Richter in stehender Position. Der Richter greift ins Fell, stellt Fragen, prüft das Gebiss und bei Rüden auch die Hoden. Dann lässt er Mensch und Tier noch einmal laufen, auf und ab, im Kreis oder im Dreieck. So kann der Richter die Beweglichkeit des Hundes, das sogenannte Gangwerk, begutachten.

Kopffleischexpress-Preis

Beurteilt wird das Erscheinungsbild von einem geprüften Formwertrichter.
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Warum gibt es eigentlich Hundeausstellungen? "Der Grundgedanke war: Ich möchte mir als Hundebesitzer von einem Fachmann meinen Hund beschreiben lassen", erzählt Katja Wolf, Pressesprecherin des ÖKV und selbst Richterin. "So weiß ich, was ein Profi von meinem Hund hält und ob ich mit diesem züchten sollte oder nicht."

Die Idee kommt, wie so viele Wettbewerbe, aus dem England des 19. Jahrhunderts. Der hehre Gedanke der Förderung möglichst fitter und schöner Tiere sei aber bei vielen Besitzern verlorengegangen, glaubt Wolf. Viele würden nur ein "Vorzüglich", also die Bestnote, einheimsen wollen und sich über ein schlechteres Urteil beschweren. "Österreich hat neun Millionen Fußballnationaltrainer und somit auch 60.000 Hunderichter", sagt Wolf.

In Tulln werden die Wettbewerbe der 250 vertretenen Hunderassen von Messeständen umrahmt. Die meisten werben für Hundefutter, die Firmen tragen klingende Namen wie Winner Plus oder Kopffleisch express. Aber man sehe heuer weniger Messestände als noch vor der Pandemie, erzählen Hundebesitzer. So schwirrt das Odeur von getrockneten Schweineohren und Rinderpansen nur dezent durch die Luft.

Herr und Hund

Die Messe heißt übrigens "Du und das Tier", ein ziemlich treffender Name. Wenn man Aussteller über die Gefühlslage ihrer Hunde befragt, erzählen sie irgendwie auch immer etwas über sich selbst. Der Krankenpfleger Siegfried Bina aus Böheimkirchen weiß über seinen Collie zu berichten: "Sie ist im falschen Körper geboren. Sie glaubt, sie ist ein Windhund."

Eine andere Ausstellerin attestiert ihrem Rüden "ein Model-Gen", weil er mit "arrogantem Blick" vor die Richter trete. Auch Heidi Heistermann macht sich ihren Reim auf Brownies mäßige Stimmung an diesem Sonntag: "Eine Ausstellung ist für den Hund anstrengend. Der rennt lieber und springt über Zäune, aber er macht es mir zuliebe."

Drei Tage zuvor sitzt Heistermann auf der Terrasse ihrer Windhunderanch, die Mostviertler Sonne scheint. Sie wirkt zuversichtlich. "Der Brownie, der ist wirklich gut", sagt sie vor den Tullner Schaukämpfen. Heistermann wohnt mit einem befreundeten Ehepaar in einem Einfamilienhaus im kleinen Ort Hohenberg.

Neben ihrem irischen Wolfshund wirkt
die Besitzerin fast ein wenig verloren.
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Mitbewohner sind auch mehrere Afghanische Windhunde, die genaue Zahl will Heistermann nicht verraten. Vor dem Haus erstreckt sich ein zwei Hektar großer Rasen, der als Rennbahn genutzt wird. Es gebe also genügend Platz für viele Hunde, sagt Heistermann.

Brownies Vorbrust ...

Zwei Würfe konnte Heistermann mit ihrer Co-Züchterin Sabine Millert bisher vermelden. Bei den Deckakten sei sie auch dabei gewesen, sagt Heistermann: "Man muss schauen, dass der Rüde sein Pulver nicht verschießt." Während sie eine "Ausstellungsfrau" sei, gewinnt ihre Kollegin Millert immer wieder bei sogenannten Coursings, also Wettbewerben, bei denen Hetzjagden simuliert werden. Der Windhund ist ja ein Jagdhund.

In der österreichischen Windhundeszene gibt es Stimmen, die meinen, Heistermanns Hunde seien deshalb bei Ausstellungen recht erfolglos. "Man kann Rennafghanen oder Showafghanen züchten, und Heidis Hunde sind weder Fisch noch Fleisch", sagt eine Ausstellerin hinter vorgehaltener Hand. Heistermann widerspricht entschieden: "Der Brownie ist im Standard, nicht zu groß, hat ein gepflegtes Haarkleid, eine super Vorbrust, ein schönes Gangwerk." Auch dass Brownies Schwester dreifacher internationaler Champion sei, zeige den Zuchterfolg.

Im Brotberuf arbeitet Heistermann in einer Supermarktfiliale in Lilienfeld. Die Woche vor einer Hundeausstellung verlaufe auch nicht anders als sonst, sagt Heistermann. Ihre Hunde könnten schließlich schon alles. Am Tag vor dem Wettbewerb lädt sie in ihr Auto einen Trimmtisch, einen Käfig, Wasserschüsseln, Vorführleinen und andere Utensilien. Am Morgen des ersten Wettkampftags wird Brownie dann noch gebadet.

Maximilian Mayer, ein junger Whippet-Züchter aus Niederösterreich, wird am Wochenende in Tulln mit seinen vier Hunden groß abräumen. Er bleibt bescheiden: "Ich weiß, dass meine Hunde auch Fehler haben, keiner ist perfekt." Und welche? "Das ist Züchtergeheimnis", sagt Mayer und grinst.

Rinderzungen für die Laune

Kommt nach den beiden Enttäuschungen vom Freitag und Samstag nun auch Brownies großer Moment? Vor dem Auftritt greift Heistermann ihrem Hund noch vorsichtig ins Maul, damit er sich ans Zähnezeigen gewöhnt. Sie atmet tief durch und läuft in den Ring. Startnummer 1859. In ihre violette Hose hat Heistermann vorher ein paar Rinderzungen gesteckt, damit sie Brownie notfalls bei Laune halten kann.

Heistermann läuft eine Runde, dann platziert sie Brownie vor Richterin Iris Urschitz. Unter der Woche führt Urschitz in Graz ein Tattoostudio, hier in Tulln aber verströmt sie die Autorität einer Verfassungsrichterin. Urschitz fragt nach dem Alter, fühlt das Fell, schaut ins Maul.

"Eleganter Rüde", "ausreichend Vorbrust", sagt sie, aber auch: "Ich wünschte mir eine sauberere, weniger hohe Frontalaktion." Heistermanns Brownie wird mit "vorzüglich" bewertet, macht aber nur den zweiten Platz. Es reicht wieder nicht für das begehrte Zertifikat Cacib. Brownie ist an diesem Tag schön, aber nicht schön genug.

Heistermann verlässt den Ring. "Logisch ist man enttäuscht", sagt sie. Erst einmal gehe sie nun auf der Messe einkaufen, vielleicht ein neues Shampoo oder einen Conditioner für ihren Hund besorgen. Ob sie es bei der nächsten Hundeshow in Österreich, wann immer diese stattfinden kann, wieder versucht?

"In Österreich trete ich nicht mehr mit Brownie an", verkündet Heistermann. Aber bald hat sie sich wieder gefasst. "Man sollte nicht hinfahren, wenn man nicht verlieren kann", sagt sie. (Lukas Kapeller, 20.11.2021)