Eines ist unumstritten: Die Entwicklung eines eigene Smartphone-Chips ("System on a Chip" – SoC) ist ein gleichermaßen komplexes wie kostspieliges Unterfangen. Insofern ist es kein Wunder, dass die meisten Hersteller lieber bei Firmen wie Qualcomm oder Mediatek die entsprechenden Komponenten zukaufen, anstatt sich diesen Aufwand anzutun. Umso überraschender kam denn für manche Beobachter vor einigen Monaten die Ankündigung Googles, dass man unter dem Namen Tensor einen eigenen SoC entwickelt hat. Mag doch Google als Android-Entwickler eine zentrale Rolle im Smartphone-Geschäft einnehmen, bei den Hardware-Verkäufen spielt man hingegen eine untergeordnete Rolle.

Aus dieser Ankündigung ist mittlerweile Realität geworden. Seit einigen Wochen gibt es mit dem Pixel 6 und Pixel 6 Pro die ersten Geräte mit einem Tensor-Chip. Damit ist es auch möglich, eine erste Bilanz zu ziehen, also der Frage nachzuspüren, ob sich der Aufwand rentiert hat. Die Antwort darauf ist – Achtung, Spoiler – ein ganz klares Ja. Aber der Reihe nach.

Ein echter Google-Chip? Wirklich?

Zunächst muss einmal klargestellt werden, was das eigentlich heißt – ein "Google-Chip". Denn natürlich hat auch Google das Rad nicht neu erfunden, man bedient sich an vielen Orten der Entwicklungen anderer Hersteller. Das beginnt bei der zugrundeliegenden ARM-Architektur und geht über zur Nutzung der Prozessor- und Grafikkerne desselben Unternehmens. Das ist freilich nicht ungewöhnlich, jenseits von Apple verwendet heutzutage kaum ein Hersteller eigene Kerndesigns für die CPU. Diese Mali-GPU ist ebenfalls weitverbreitet – auch wenn Qualcomm mit Adreno in diesem Bereich einen eigenen Ersatz hat.

Was ist eigentlich ein SoC?

Bei Tensor geht die externe Hilfe aber noch weiter, wie "Anandtech" nachrecherchiert hat. Um das zu erklären, muss zunächst einmal ausgeholt werden, und zwar mit einer Erklärung, was ein SoC eigentlich ist. Eigentlich verrät der Name schon vieles, im Gegensatz zu klassischen PCs werden hier die zentralen Komponenten eines Systems auf einen einzelnen Chip gepackt. Dort findet sich dann neben CPU und Grafikeinheit also noch eine Fülle an anderen Bestandteilen – darunter KI-Beschleuniger, diverse Multimediakomponenten und oft auch ein Modem oder gar der Systemspeicher. Diese hohe Integration hat vor allem in Hinblick auf die Effizienz gewisse Vorteile, weshalb solche Designs bis vor nicht allzu langer Zeit vor allem im mobilen Bereich zu finden waren, wo dem Stromverbrauch besondere Bedeutung zukommt. Dass solch eine Lösung aber auch im Desktop-Bereich eine sehr gute Leistung bringen kann, demonstriert Apple seit dem Vorjahr mit der M1-Reihe eindrücklich.

Der SoC ist der wichtigste Bestandteil eines Smartphones, ein Wechsel entsprechend von großer Relevanz.
Grafik: Google

All das muss natürlich irgendwie zusammengehalten werden, es gibt also eine Art umgebenden Rahmen, der sich um so Dinge wie Clock- und Power-Management kümmert. Genau dieser scheint im Falle von Tensor von Samsung zu stammen, jedenfalls gibt es im Quellcode von Google viele Verweise auf die Exynos-Chips des südkoreanischen Herstellers. Gleichzeitig hat Google aber offenbar in vielerlei Hinsicht bestimmt, wie diese Komponenten dann zusammengefügt werden, in Summe ist die Bezeichnung als Google-Chip also durchaus richtig – auch wenn man sich fraglos viel Unterstützung von Samsung geholt hat, das auch als Fertiger auftritt. "Anandtech" bezeichnet Tensor insofern als eine Art semi-eigenes Design von Google.

CPU

Auch wenn so ein SoC wie erwähnt mehr als nur CPU oder Grafik ist, sind das doch die Bereiche, die am leichtesten zu vergleichen sind und entsprechend oft in der Berichterstattung in den Vordergrund gestellt werden. Bei der Betrachtung von Tensor sind genau das aber die langweiligsten Komponenten. Zwar ist der Aufbau der CPU etwas ungewöhnlich – mehr dazu im Test zu Pixel 6 und Pixel 6 Pro –, die daraus resultierende Leistung ist aber im Endeffekt größtenteils auf, zum Teil leicht unter anderen aktuellen High-End-Chips, während die Energieeffizienz ebenfalls etwas niedriger ist. Kann man alles kritisieren, in der Praxis macht es aber für die meisten Nutzer kaum einen Unterschied. Beide Smartphones sind in der Alltagsnutzung extrem flott.

Grafik

Bei der GPU wird es dann schon eine Spur interessanter, da diese zwar mit dem Mali G78 ebenfalls einen bekannten Chip benutzt, aber eine geradezu verblüffend hochgezüchtete Konfiguration gewählt wurde. Das zeigt sich auch in Benchmarks. Beim Grafiktest von Geekbench lässt das Pixel 6 denn auch andere aktuelle Android-Smartphones deutlich hinter sich. Das liegt an zwei Dingen: der Nutzung einer Variante des Mali G78 mit 20 Kernen – Samsungs aktuellster Topchip verwendet nur 14 an der Zahl – sowie daran, dass Google als erster Hersteller ein neues Feature dieser GPU nutzt: Shader und Tiler laufen nämlich mit unterschiedlichen Frequenzen, und zwar mit 848 bzw. 996 MHz. Und diese sind auch im Vergleich zu anderen aktuellen Smartphone-SoCs sehr hoch gewählt.

Fragt sich natürlich: Warum macht das sonst niemand so? Die Antwort darauf liefern Belastungstests. Eine dermaßen dick aufgetragene GPU verbraucht natürlich ordentlich Strom und erzeugt entsprechende Abwärme, was wiederum heißt, dass die Leistung schon recht bald nach unten geregelt werden muss, um ein Überhitzen zu verhindern. Lange gibt es diese Topgeschwindigkeiten also nicht. Und doch heißt das nicht, dass sich Google falsch entschieden hat, ganz im Gegenteil zeigt sich hier ein erster Vorteil eines eigenen SoC-Designs: Das Unternehmen hat dabei einfach kurze Burst-Belastungen – etwa für diverse Kamera-Features – in den Vordergrund gestellt.

Ein ISP-Hybrid

Grafik: Google

Genau solche auf spezifische Aufgaben ausgerichteten Design-Entscheidungen sind es, die man bei Tensor allerorten findet – und zwar vor allem jenseits von CPU und GPU. Die nächste Komponente von Interesse ist der Image Signal Processor (ISP): Hier handelt es sich dann schon um einen echten Hybrid aus Samsung- und Google-Entwicklungen. Die Basis stammt zwar von Samsung, Google hat aber umfassende Anpassungen vorgenommen. So wurden etwa die Komponenten für Autofokus, Weiß- und Helligkeitsabgleich der Kamera von Google selbst entwickelt. Vor allem aber beinhaltet der ISP eigene Hardware zur Beschleunigung einzelner Maschinenlernaufgaben – und damit der "Computational Photography" – der Google-Kamera. Jenes "HDRNet", mit dem Videos beim Pixel 6 automatisch und in Echtzeit bei der Aufnahme optimiert werden, zählt etwa dazu.

Tensor Processing Unit

Apropos Maschinenlernen: Genau dafür hat Google nämlich einen Bestandteil wirklich von Grund auf neu entwickelt. Und schon dessen Name verdeutlicht, dass hier eine zentrale Motivation für die Entwicklung von Tensor zu finden ist – steht die Abkürzung TPU doch für Tensor Processing Unit, also irgendwas mit Tensor auf Tensor quasi. Jenseits solcher Späßchen muss betont werden, dass Googles TPU natürlich nicht der erste KI-Beschleuniger in einem Smartphone ist. So etwa gehört mittlerweile zur Standardausstattung aktueller SoCs. Nun zeigen generisch KI-Benchmarks zwar, dass sich Tensor – vor allem bei der Effizienz – im Vergleich zu anderen solchen Komponenten tatsächlich hervorragend schlägt, aber auch hier liegt die wirkliche Stärke bei spezifischen Optimierung für einzelne Smartphone-Aufgaben. Bei der Verarbeitung von Spracheingabe ist die TPU nämlich gleich fünfmal so schnell wie etwa Apples aktueller A15-Chip. Genau hier hebt sich das Pixel 6 denn auch deutlich vom Mitbewerb ab, und das eben dank solcher spezifischen Optimierungen, die sich in generischen Benchmarks nur schwer abbilden lassen.

Video

Ebenfalls von Google selbst entwickelt wurde eine eigene Komponente ("Big Ocean") für Hardware-gestütztes Decoding von mit dem AV1-Codec kodierten Videos – und zwar bis zu 4K60. In der Praxis bedeutet dies, dass Inhalte von Streaming-Diensten wie Youtube oder Netflix dank der Nutzung des noch sehr neuen und äußerst effizienten Codecs mit geringerem Datenverbrauch und weniger Stromnutzung am Gerät wiedergeben werden können. Auch eine eigene Komponente für Low-Power-Audio-Aufgaben hat Google selbst beigetragen – sowie überhaupt den "Context Hub", der gewisse Tasks stromsparend ohne Aktivierung der eigentlichen CPU abwickeln kann. Dazu kommt noch ein komplett eigener Sicherheitskern, der in Kombination mit Googles ebenfalls selbst entwickeltem Titan-M2-Chip das Smartphone vor allerlei Angriffen absichert und die Nutzerdaten so besser schützt.

Umstrittenes Modem hat trotzdem Symbolwirkung

Wieder von Samsung kommt dann eine andere Komponente: das Exynos 5123 Modem. Sicherlich eine der umstrittensten Entscheidungen, da dieses noch aus dem Vorjahr stammt und weniger effizient ist als manch aktuelles 5G-Modem. Dieses dürfte übrigens auch der Grund sein, warum die Berichte über die Akkulaufzeit von Pixel 6 und Pixel 6 Pro dermaßen weit auseinandergehen. Gerade bei aktiver Nutzung des – in Europa bisher nicht verwendeten – mm-Wave-Supports scheint der Stromverbrauch sehr hoch sein.

Ein SoC besteht aus vielen Komponenten, hier am Beispiel von Tensor.
Grafik: Google

Insofern ist das sicherlich ein Schwachpunkt, aus einer strategischen Perspektive ist die Wahl des Chips aber trotzdem äußerst interessant, sind Pixel 6 und Pixel 6 Pro doch damit die ersten Smartphones überhaupt, die in den USA mm-Wave-Support ohne ein Modem von Qualcomm anbieten. Auch Apple und – noch interessanter – Samsung selbst greifen in dieser Hinsicht bei ihren aktuellen Geräten zu Qualcomm-Hardware. Im Falle von Samsung liegt das auch daran, dass man bisher – nicht zuletzt aus Angst vor Patentklagen – in den USA immer Qualcomm-Chips statt den eigenen Exynos-SoC für die eigenen Geräte verwendet. Bleibt abzuwarten, ob Samsung durch das Vorpreschen von Google künftig mehr Mut zur Nutzung der eigenen Hardware am wichtigen US-Markt findet.

Ein voller Erfolg

Sieht man sich Tensor einfach mit einem Blick auf ein paar Benchmark-Werte an, dann ist das Ergebnis relativ unspektakulär. Ein fraglos guter SoC mit einzelnen Schwächen, aber auch Stärken. Genau diese oberflächliche Betrachtung geht aber an der Substanz vorbei. Was Tensor nämlich relevant macht, sind all die spezifischen Optimierungen für einzelne Aufgaben, für die Kamera, die Spracherkennung, also genau jene Dinge, bei denen Google besonders gut ist. Das ist ein Level von Hard- und Software-Integration, wie man es sonst nur von Apple kennt.

Insofern darf durchaus mit Interesse verfolgt werden, wie es mit Googles Chips vorangeht. Also welche weiteren Optimierungen in den nächsten Generationen hinzukommen und ob Google auch irgendwann die CPU- und GPU-Entwicklung stärker selbst in die Hand nimmt – immerhin hat selbst Apple einst nicht mit Eigenentwicklungen in diesen Bereichen begonnen. Und natürlich muss sich auch erst zeigen, in welchen Geräten Tensor noch so landen wird, dem Vernehmen nach will sich Google ja nicht auf den Smartphone-Bereich beschränken. Ebenso spannend wird – vor allem kurzfristig – sein, ob Tensor künftig auch bei den Mittelklassegeräten von Google zum Einsatz kommt oder ob man dort erst recht wieder auf SoCs von Qualcomm zurückgreift. Wenn Google tatsächlich auch für diese Geräte Tensor verwendet, muss sich erst zeigen, ob es dann eine abgespeckte Variante gibt – oder nicht.

Vorbildwirkung

Vor allem bleibt abzuwarten, ob Googles Entwicklung eine gewisse Vorbildwirkung entfalten kann. Denn auch wenn man mit der Pixel-Serie bei weitem nicht so viele Geräte wie Samsung, Xiaomi und Co verkauft, so gibt man doch oft Trends in der Android-Welt vor. Ob andere Hersteller diese tiefe Verzahnung zwischen Hardware und Software replizieren können, ist dann noch einmal eine andere Frage, immerhin hat Google durch die Entwicklung des eigentlichen Betriebssystems einen gewissen Startvorteil – und softwareseitig mehr Know-how als irgendein anderer Hersteller.

Klar ist jedenfalls, dass Google bei weitem nicht der einzige Hersteller ist, der künftig auf eigene SoCs setzen will. So ist etwa bekannt, dass auch Microsoft derzeit an eigenen ARM-Chips arbeitet, das nach einer eher begrenzt erfolgreichen Kooperation mit Qualcomm. Und auch von Oppo ist bekannt, dass das Unternehmen derzeit an eigenen SoCs für künftige Smartphones arbeitet. Das ist auch deswegen besonders pikant, weil Oppo sich dazu noch denselben Besitzer mit Oneplus, Vivo und Realme teilt.

Spannende Entwicklung

Rechnet man noch dazu, dass Mediatek gerade angekündigt hat, künftig wieder High-End-SoCs herzustellen, und dabei recht großspurige Versprechungen in Hinblick auf die Performance abgegeben hat, heißt das aber auch, dass die Chip-Zukunft unter Android deutlich diverser und somit auch spannender wird, als es bisher der Fall war. Und das allein ist schon begrüßenswert – also außer natürlich, man ist Qualcomm. (Andreas Proschofsky, 21.11.2021)