1970 erschien Nöstlingers Erstlingswerk "Die feuerrote Friederike". Bis heute ein internationaler Bestseller.

Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik

Das Urmanuskript des Werks mit Schreibmaschinen-Text und Originalzeichnungen von Christine Nöstlinger.

Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik

Nöstlingers Zeichenstil war expressiv und ungewöhnlich für damalige Kinderbücher.

Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik

Das Jahr 1970 markiert einen Wendepunkt in der österreichischen Zeitgeschichte, heißt es oft. Ja, Bruno Kreisky wurde Bundeskanzler und führte das Land auf einen wohlfahrtsstaatlichen Modernisierungspfad, der bis heute nachwirkt. 1970 war aber auch das Jahr, in dem Christine Nöstlinger die Bühne der Öffentlichkeit betrat. Und man kann wohl davon sprechen, dass ihr Werk ähnlich nachhaltig fortwirkt.

Aus einer Arbeiterfamilie in Wien-Hernals stammend, veröffentlichte die studierte Gebrauchsgrafikerin und damals bereits zweifache Mutter 1970 ihr erstes Kinderbuch: Die feuerrote Friederike erzählt von einem korpulenten Mädchen mit roten Haaren, das den Hänseleien und Übergriffen seiner Mitschüler ausgesetzt ist – bis es erfährt, dass seine Haare Zauberkräfte entfalten können. Lange bevor es das Wort Mobbing gab, thematisierte das Buch Ausgrenzung, bis heute ist es ein internationaler Bestseller.

Das Originalmanuskript der 2018 verstorbenen Autorin wurde nun auf einem Dachboden entdeckt und von den Nachlassverwalterinnen – den Töchtern Christiana Nöstlinger und Barbara Waldschütz – dem Karikaturmuseum Krems zur erstmaligen öffentlichen Präsentation überlassen. Das 29-seitige Manuskript, teils getippt mit Schreibmaschine, teils handschriftlich verfasst, ist vor allem deswegen besonders interessant, weil Christine Nöstlinger es damals noch selbst illustrierte: Expressiv ist ihr Strich, keineswegs lieblich, sondern nach Ausdruck lechzend.

Schon rein optisch zeigt das Manuskript, dass es Nöstlinger von Anfang an um mehr ging, als nur um eine Befreiung der Pädagogik von den Nachkriegszwängen, es ging ihr um die gesamte Gesellschaft. So werden auch ihre bis ins hohe Alter verfassten Dialektgedichte in der Kremser Ausstellung behandelt: Sie strotzen vor politischer Beobachtungsgabe, sprachlich schlagen sie Brücken von der feinen Klinge zum derben Dreschflegel, vom Wiener Schmäh bis zum blanken Zynismus.

Desillusioniert, nicht verbittert

"Verbittert war sie dennoch nicht", sagt ihre Tochter Christiana Nöstlinger zum STANDARD, "ich würde es desillusioniert nennen. Sie hat gedacht, dass die Welt immer gerechter werden würde, das war dann nicht ganz so der Fall." Dass ihre Mutter Kinder gar nicht so sehr mochte, wie man es von Kinderbuchautorinnen erwartet, sei mehr öffentliche Pose als Tatsache gewesen, sagt Christiana. "Sie hatte Kinder sehr wohl sehr gerne, aber sie plädierte immer für einen realistischen Blick auf diese. Da ist nicht immer alles zuckersüß. Das wollte sie in ihren Büchern zeigen."

Christiana, heute Psychologin, und ihre Schwester, die Illustratorin Barbara Waldschütz, sind beide mit eigenen Zeichnungen in der Kremser Ausstellung vertreten. Während die eine als 13-Jährige ihrer Mutter bei der Illustration von Achtung! Vranek sieht ganz harmlos aus! (1974) zur Hand ging, steuerte die andere Tochter später professionelle Zeichnungen bei. Die Nachlassverwertung der 150 publizierten Bücher ihrer Mutter regeln die Töchter über die 2018 gegründete GmbH Buchstabenfabrik: Aus Tantiemen sollen etwa Schulprojekte finanziert werden.

Die Ausstellung, die noch viele weitere Beiträge, etwa von einer aktuellen Friederike-Zeichnerin, bereithält, ist auch nach dem Lockdown noch zu sehen, bis 6. März 2022.

(Stefan Weiss, 20.11.2021)