Die Inflation im Euroraum steigt. Die EZB sieht dennoch keinen Bedarf für Eingriffe. Sie sieht Preisstabilität bei einer Rate von zwei Prozent.

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Die Inflation steigt und spaltet die Gemüter von Experten. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte aus Sicht von Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing rascher gegen den derzeitigen Inflationsschub angehen, als sie es bisher in Aussicht gestellt hat. Die Dauer der höheren Inflation werde unterschätzt, sagte Sewing beim European Banking Congress in Frankfurt. "Und in dieser Hinsicht denke ich, dass eine Reaktion auch der Zentralbank früher kommen sollte, als wir gerade gehört haben", ergänzte er.

EZB-Chefin Christine Lagarde hatte zuvor nämlich in der Veranstaltung den Markterwartungen einer schnellen Straffung der Geldpolitik durch die EZB bereits eine Absage erteilt. Sie sprach sich erneut gegen eine Zinserhöhung im kommenden Jahr aus. Bundesbankchef Jens Weidmann warnte indes vor einer zu langen Festlegung auf eine sehr lockere Linie.

Steiler Anstieg

Die Inflation ist im Euroraum im Oktober auf 4,1 Prozent geklettert. In Deutschland, der größten Volkswirtschaft im Währungsgebiet, lag sie im vergangenen Monat sogar bei 4,5 Prozent, in Österreich lag die Teuerungsrate bei 3,7 Prozent. Die EZB hatte zuletzt ihr Inflationsziel flexibler formuliert – von "nahe zwei Prozent" auf "mittelfristig zwei Prozent".

Es könne sehr wohl sein, dass die Inflation auf mittlere Sicht nicht wie vorhergesagt unter den EZB-Zielwert von zwei Prozent sinke: "Wir sollten das Risiko einer zu hohen Inflation nicht außer Acht lassen und stattdessen wachsam bleiben", betonte der Bundesbankchef, der Ende 2021 vorzeitig abtritt. Auch aus Sicht von Deutsche Bank-Chef Sewing wird der Teuerungsschub womöglich länger anhalten als die EZB voraussagt. "Und in dieser Hinsicht denke ich, dass eine Reaktion auch der Zentralbank früher kommen sollte, als wir gerade gehört haben", konterte er Lagardes Rede auf dem Kongress. Für Commerzbank-Chef Manfred Knof ist das Thema ebenfalls keine Eintagsfliege. "Wir glauben, dass die Inflation anhalten wird", sagte er. Dies werde eine Herausforderung sein.

Vor dem Hintergrund der rasant steigenden Preise muss die EZB am 16. Dezember den geldpolitischen Kurs für die Zeit nach der akuten Pandemiekrise abstecken. Lagarde machte nun deutlich, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Wirtschaft auch nach dieser Phase stützen wolle. Dies gelte auch mit Blick auf die "angemessene Justierung" der von der EZB betriebenen Anleihenkäufe. "Wir werden unsere Absichten dazu im Dezember mitteilen", sagte sie.

Unterschiedliche Meinung

Die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte jüngst bereits durchblicken lassen, dass die Währungshüter bei der Einschätzung der Inflationsgefahren unterschiedlicher Meinung seien. Es bestehe zwar weitgehend Einigkeit, dass die explodierenden Energiekosten und Basiseffekte aus dem Corona-Jahr 2020 die Preise trieben: Doch es bestehe weniger Einigkeit über die Dauer dieser Preistreiber und was sie für eine angemessene Antwort der Geldpolitik bedeuteten.

Lagarde sagte zwar, dass die Teuerung absehbar bis zum Jahresende weiter ansteigen werde. Doch auf mittlere Sicht sei ein Absinken zu erwarten, womit eine Straffung der Geldpolitik zurzeit nicht sinnvoll sei und womöglich sogar den Aufschwung in Gefahr brächte. Für die EZB gelte es jetzt, ihren Kurs "geduldig und beharrlich" fortzusetzen.

Die EZB hat wegen der Pandemie das Anleihekaufprogramm PEPP aufgelegt, mit dem sie bis zu 1,85 Billionen Euro in die Wirtschaft schleusen will. Nach Signalen Lagardes dürfte das Notprogramm im Frühjahr 2022 ausgedient haben. Die Notenbank könnte das Ende auf der Ratssitzung im Dezember besiegeln. Experten erwarten, dass die Liquiditätsflut dennoch nicht abrupt versiegen wird. Denn das laufende kleinere Anleihenprogramm APP könnte fortgesetzt werden. Die monatlichen Kaufvolumina von 20 Milliarden Euro sind aber deutlich geringer als die des PEPP.

Flexibilität wird gefordert

Angesichts der Inflationsrisiken hatte EZB-Ratsmitglied Klaas Knot mit Blick auf die Zeit nach PEPP geldpolitische Flexibilität angemahnt. Der Niederländer argumentiert ähnlich wie Weidmann, der auch zum Lager der an einer straffen Linie orientierten Währungshüter gezählt wird: Man dürfe sich nicht zu früh festlegen, um nicht Gefahr zu laufen, in Konflikt mit der Inflationsentwicklung zu geraten. Hintergrund: Die Währungshüter haben sich darauf verständigt, dass erst an eine Zinserhöhung zu denken ist, wenn das APP-Programm beendet ist. Selbst wenn die EZB es künftig nur auf Sparflamme ließe, könne dies den Märkten also signalisieren, dass eine Zinserhöhung nicht in Frage komme.

Die Teuerungsrate im Euroraum lag im Oktober mit 4,1 Prozent so hoch wie seit über 13 Jahren nicht mehr. Laut EZB-Direktorin Schnabel ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: Im November sei mit der höchsten Teuerungsrate seit Einführung des Euro 1999 zu rechnen, sagte sie jüngst. Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding erwartet zwar wie die EZB, dass der Preisauftrieb 2022 nachlassen wird. "Dennoch muss die EZB jetzt aufpassen", schrieb er im "Handelsblatt". Denn die Lage ändere sich. Was in der ersten Coronawelle im März 2020 richtig gewesen sei, erscheine heute kaum noch angemessen: "Spätestens wenn die vierte Welle der Pandemie wieder abflaut, solte die EZB die geldpolitische Wende einleiten." (Reuters, red)