Christiane Mitterwallner: "Ob Gottwalds Brief geholfen hat, die Spaltung zu verringern, traue ich mich nicht zu sagen."

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Auch nicht mehr Egoismus als in etlichen anderen Bereichen der Arbeitswelt sieht Christiane Mitterwallner im Spitzensport. Nach der Karriere gebe es die Chance, den Horizont zu erweitern, vielleicht etwas zurückzugeben. "Auch der Felix", spricht sie Felix Gottwald an, der mit Regierungskritik und Impfskepsis auffiel, "auch der Felix wollte etwas zurückgeben."

STANDARD: Djokovic, Kimmich, Thiem, Gottwald – die Liste der Sportstars, die kritisch oder skeptisch zur Corona-Impfung stehen, ließe sich fortsetzen. Felix Gottwald erhielt nicht nur von der FPÖ, sondern auch aus Sportkreisen deshalb viel Zustimmung. Wie erklären Sie sich das?

Mitterwallner: Ich glaube nicht, dass es im Sport mehr Impfgegner gibt als sonst. Der Sport ist da ein Spiegel der Gesellschaft. Aber jemand, der populär ist, ein Star ist, dessen Äußerung wird in der Öffentlichkeit natürlich sehr stark wahrgenommen. Vielleicht sogar mehr als eine Äußerung echter Experten oder auch eine Äußerung von Politikern.

STANDARD: Denken Sie, es war Gottwald bewusst, was er mit seinem offenen Brief, seiner harschen Kritik an der Regierung und seiner offen geäußerten Impfskepsis auslösen wird?

Mitterwallner: Dem Felix Gottwald ist das, im Gegensatz wahrscheinlich zu Dominic Thiem, nicht passiert. Er wollte seine Meinung kundtun. Und das ist ja auch Gott sei Dank nicht verboten. Ich denke, Gottwald spricht mit seiner Impfskepsis eine bestimmte Zielgruppe an, die aber insgesamt nicht die Mehrheit ist. Aber wenn ein Star sich äußert, dann hängen sich viele dazu und trauen sich auch, laut zu sein. Eine öffentliche Person hat da viel Macht und kann sehr viel auslösen. Durch die sozialen Medien wird das, zumindest in den jeweiligen Blasen, noch verstärkt.

STANDARD: Das heißt, auch im Sport gibt es eine Mehrheit, die weniger laut ist?

Mitterwallner: Da haben viele eine andere Sicht auf die Impfung. Ich kenne sehr viele, die geimpft sind. In vielen Spitzensportbereichen gibt es eine De-facto-Impfpflicht. Ungeimpfte können ihren Beruf nicht ausüben, dürfen in Kanada nicht Ski fahren, dürfen in Australien nicht Tennis spielen. Deshalb hat sich ja Dominic Thiem dann doch impfen lassen. Wer ungeimpft ist, kann im Februar nicht an den Winterspielen in Peking teilnehmen.

STANDARD: Macht Leistungssport besonders egoistisch?

Mitterwallner: Da gibt es auch nicht mehr Egoismus als in etlichen anderen Bereichen der Arbeitswelt. Hochleistungssport heißt es nicht umsonst. Da geht es um Leistung. Wer Hochleistungen erbringen muss, der kann zumindest einen gesunden Egoismus gut brauchen. Denn da interessiert es niemanden, ob du am Wettkampftag Kopfweh hast.

STANDARD: Wie weit ist es vom Egoismus zur Unsolidarität?

Mitterwallner: Das ist auf keinen Fall gleichzusetzen, muss auch nicht Hand in Hand gehen. Es gibt auch viele Spitzensportler, die sich in einem anderen, vielleicht privaten Umfeld als sehr solidarisch erweisen. Aber im Leistungssport hast du die Aufgabe, dich täglich selbst zu optimieren. Da kannst du nicht viel nach links oder rechts schauen. Ein Slalomfahrer hat neun oder zehn Rennen in der Saison, das sind nicht viel mehr als 15 Minuten, in denen er zeigen muss, was er kann. 15 Minuten, um Geld zu verdienen. Das ist schon hart. Neben dem Sport geht sich wenig aus. Man ist in einer Blase, zum Beispiel in der ÖSV-Blase. Aber das gibt es nicht nur im Sport, das sieht man etwa auch in vielen Start-ups.

STANDARD: Und wie sieht es nach der Karriere aus?

Mitterwallner: Da hat man mehr Zeit und auf jeden Fall die Chance, den eigenen Horizont zu erweitern, die Persönlichkeit zu entwickeln, in eine andere Welt einzutauchen. Vielleicht auch etwas zurückzugeben, sich sozial zu engagieren. Manchen Spitzensportlern, vor allem im Skisport und im Fußball, geht es ja während der Karriere sehr gut. Da bekommt man jede auch individuelle Unterstützung, die man braucht, um erfolgreich zu sein. Als Skifahrer im ÖSV kannst du nicht einmal die Handschuhe verlieren. Wenn du sie liegenlässt, trägt sie dir immer jemand nach. Ich denke, auch der Felix wollte etwas zurückgeben, als er den Posten in der Bundes-Sport GmbH übernommen hat.

STANDARD: Und er hat der Regierung vorgeworfen, sie hetze, spalte und diskriminiere.

Mitterwallner: Ob sein Brief geholfen hat, die Spaltung zu verringern, traue ich mich nicht zu sagen.

STANDARD: Müssen sich Sportler und Sportlerinnen nach ihrem Rücktritt quasi neu erfinden?

Mitterwallner: Das müssen oder wollen viele Menschen. Genau in dem Alter, zwischen dreißig und vierzig, passiert sehr viel. Da denken viele nach, wohin es gehen soll. Viele wollen da ihr Leben erweitern. Das heißt aber auch: Ich muss lernen, etwas zulassen.

STANDARD: Wer im Spitzensport nicht erfolgreich ist, sucht gerne alternative Wege. Erklärt das möglicherweise da und dort einen Hang zur Esoterik und eine gewisse Skepsis gegenüber evidenzbasierter Medizin?

Mitterwallner: Als Spitzensportler bist du von deinem Körper abhängig. Der kommt an erster Stelle, dann kommt der Mentalbereich, dann das Material oder das Umfeld. Du weißt alles von deinem Körper, du spürst dich wahnsinnig gut. Du schaust drauf, was du dir zuführst, was du einwirfst. Da geht es schon um die Gesundheit, das ist die Basis, um Leistung zu optimieren – obwohl der Spitzensport in vielen Fällen ja gar nicht gesund ist.

STANDARD: Oft kommen Verletzungen dazu. Sie wurden 16-mal operiert. Wäre es nicht besonders merkwürdig, wenn just Spitzensportler, die ihrem Körper ja auch einiges antun, mit einer Impfung ein Problem haben?

Mitterwallner: Alternative Wege zu gehen, sich sozusagen breit aufzustellen kann schon etwas bringen im Spitzensport. Aber wenn das Bandl im Knie gerissen ist, dann ist das Bandl gerissen. Das ist im Leistungssport ein Notfall, man muss operieren. Man kann nicht ein halbes Jahr warten, um zu sehen, ob es besser wird. Ohne Kreuzband hält das Knie den Belastungen nicht stand.

STANDARD: Das ist kein schlechtes Bild für die Situation, in der sich Österreich befindet.

Mitterwallner: Man kann auch nicht warten, ob die Pandemie vielleicht in zehn Jahren vorbeigeht.

STANDARD: Ist es nicht verwunderlich, dass es, mit wenigen Ausnahmen, keine Impfkampagnen mit großen Sportstars gab oder gibt?

Mitterwallner: Natürlich hätte man Sportstars und andere Stars dafür gewinnen können, das ist ein politisches Versäumnis. Das hätte sicher einiges bewirkt, vor allem auf dem Land. Ich stamme aus Schladming, aber ich lebe in der Nähe von Wien. Ich nehme schon wahr, dass es zum Thema Impfung ein starkes Stadt-Land-Gefälle gibt. Am Land haben viele gedacht, mir kann eh nichts passieren.

STANDARD: Sich wie Felix Gottwald als "nachweislich Gesunder" zu betrachten, weil man wahrscheinlich regelmäßig testet, reicht nicht?

Mitterwallner: Selbst wenn man keine Familie hätte und in einer vermeintlichen Luxusposition wäre, weil der nächste Nachbar 200 Meter weit weg wohnt, müsste man sich ja auf Dauer völlig abkapseln von der Umwelt, um jedes Risiko für sich und andere ausschließen zu können. (Fritz Neumann, 20.11.2021)