Was wollte Jan Marsalek von der mysteriösen Firma DSIRF? Ein E-Mail wirft Fragen auf.

Foto: EPA/Gallup

Die Präsentation, die der damalige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek im August 2018 vom österreichischen Unternehmer S. erhielt, hatte es in sich: Auf 23 Folien beschreibt die österreichische Firma DSIRF ihre Tätigkeitsfelder. Man biete eine "Analyse von Wahlen und Kampagnen" an, "erweiterte Biometrie" wie Gesichtserkennung, außerdem digitale Kriegsführung, konkret "Tools, um sensible und private Daten" abzusaugen. Das hauseigene Programm "Subzero" sei "Cyber Warfare" der nächsten Generation; man könne damit Standorte nachverfolgen, die "volle Kontrolle" über einen Zielrechner übernehmen und alle Daten und Passwörter erlangen.

Der Focus schildert, was in einem Werbevideo des Unternehmens zu sehen ist: Eine Frau schlendert durch ein Einkaufszentrum; "die Konsumentin wird röntgenähnlich durchleuchtet: von Name, Adresse, Größe, Geburtsdatum, Social-Media-Aktivitäten, WhatsApp-Konversationen bis hin zu einem Kauf- und Bewegungsprofil der letzten Shoppingtouren. So erfährt der Verkäufer schnell, dass die Dame auf bunte Stilettos steht, und kann sie ihr direkt anbieten."

Beste Verbindungen nach Russland

Eine derart mächtige Spionagefirma, die mitten in Wien residiert? Das blieb zumindest Medien bislang verborgen. Genauso wie die besten Verbindungen in heimische Politik und Wirtschaft, über die nun Focus und Tagesanzeiger berichteten. Der erste Firmensitz des 2016 gegründeten Unternehmens war offenbar ein Loft im siebten Wiener Gemeindebezirk, das einem prominenten Politiker gehört haben soll: Dem damaligen Kanzler Christian Kern (SPÖ). Als Referenzkunden werden in DSIRFs Präsentation unter anderem Rene Benkos Signa Retail angegeben. Auch "Russian Machines", ein Unternehmen des Oligarchen Oleg Deripaska, soll die Dienste von DSIRF in Anspruch nehmen. Als Vertrauter von Deripaska gilt wiederum der mächtige heimische Unternehmer Siegfried "Sigi" Wolf, der Altkanzler Sebastian Kurz in Wirtschaftsfragen berät.

Wer steckt hinter dieser ominösen Firma? Laut Recherchen von Tagesanzeiger und Focus wurde "Decision Supporting Information Research and Forensic" (DSIRF) von Peter D., einem Berater, der Rewe bei der Russland-Expansion unterstützt hatte, gegründet. Er hatte das Unternehmen bei dessen Expansion nach Russland unterstützt und ist gut vernetzt. Als Geschäftsführer einer Muttergesellschaft taucht Stefan G. auf, der laut seinem LinkedIn-Profil ebenfalls in Russland aktiv war – etwa für Media Markt und Billa. Mittlerweile verliert sich die Spur nach den Eigentümern in Liechtenstein, bei einer Deep Dive AG.

Neos wollen Anfragen stellen

Dass eine Firma mit offenbar besten Verbindungen nach Russland solche mächtigen Spionagetools anbietet, sorgt für Aufsehen. Die österreichische Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper (Neos) kündigte parlamentarische Anfragen an.

Fraglich ist auch, wie Marsalek und der heimische Unternehmer S. an die Präsentation von DSIRF gelangt sind. Die Firma stritt ab, je mit Marsalek oder S. Kontakt gehabt zu haben; der wollte sich gegenüber Focus nicht äußern – ebenso wenig wie Ex-Vermieter Christian Kern auf Anfrage des Tagesanzeigers. DSIRF betonte, dass seine Spionagedienste "durch dazu gesetzlich autorisierte staatliche Einrichtungen" eingesetzt würden. Signa Retail gab an, dass DSIRF bei einem Cybersicherheitscheck der Wirtschaftsprüfer KPMG als Subunternehmer eingesetzt war; außerdem im Fall von Cyberangriffen bereit stehen sollte – das wurde bislang ein Mal aktiviert.

Die Angelegenheit ist ein weiterer mysteriöser Puzzlestein im Fall Marsalek. Der flüchtige Ex-Vorstand des Finanzdienstleisters Wirecard soll sich brennend für Spionage und Überwachungssoftware interessiert haben. STANDARD, SPIEGEL und ZackZack berichteten erst am Freitag über seine Verbindungen zur Firma "Virtual Solution", die für zahlreiche deutsche Behörden aktiv ist. Auch ihr Gründer hat gute Beziehungen nach Russland. Marsalek half – angeblich unaufgefordert – im Hintergrund mit, Virtual Solution mit dem österreichischen Außenministerium zu vernetzen; ein Deal materialisierte sich aber nie. (fsc, 20.11.2021)