Tausende Menschen müssen aktuell in dem Logistikzentrum in der Grodno-Region in Belarus ausharren.

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Bialystok/Grodno/Vilnius – Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak hat Belarus im Konflikt um Menschen an der gemeinsamen Grenze einen Strategiewechsel vorgeworfen. "Jetzt haben die Migranten und die belarussischen Behörden eine neue Methode angewandt. Kleinere Gruppen von Menschen versuchen an vielen Orten, die Grenze zu überqueren", sagte er am Samstag dem Radiosender RMF FM. Seit Wochen sitzen Tausende Flüchtlinge im belarussisch-polnischen Grenzgebiet fest.

Es sei "keine Frage, dass diese Angriffe von belarussischen Behörden gesteuert werden", so Błaszczak. Auch polnische Grenzschützer berichteten am Samstag von Versuchen mehrerer kleiner Gruppen, die Grenze zu überqueren. Es habe sich dabei jeweils um ein paar Dutzend Menschen gehandelt. Die Sicherheitskräfte meldeten jedoch auch eine größere Gruppe von etwa 200 Menschen, die mit Tränengas, Feuerwerkskörpern und Steinen ausgestattet gewesen sei.

Grenzübertritte scheiterten

Insgesamt registrierten die polnischen Behörden eigenen Angaben zufolge am Freitag 195 Grenzübertrittversuche. "82 Ausländer wurden aufgefordert, polnisches Gebiet zu verlassen. Zwei ukrainische Staatsbürger und ein deutscher Staatsbürger wurden wegen Beihilfe festgenommen", erklärte die Grenzschützer am Samstag auf Twitter.

"Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieses Problem noch monatelang andauern wird. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dies der Fall sein wird", sagte Błaszczak.

Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Menschen aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben. Die Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan sind über Touristenvisa in Belarus eingereist. Minsk weist die Vorwürfe zurück.

15.000 polnische Sicherheitskräfte im Einsatz

Lukaschenko sagte am Freitag der BBC, dass es "absolut möglich" sei, dass belarussische Streitkräfte den Personen bei der Einreise in die EU geholfen hätten, bestritt jedoch, die Operation organisiert zu haben. "Wir sind Slawen. Wir haben ein Herz. Unsere Truppen wissen, dass die Migranten nach Deutschland wollen. Vielleicht hat ihnen jemand geholfen", sagte er. "Aber ich habe sie nicht hierher eingeladen."

Seit Wochen sitzen im belarussisch-polnischen Grenzgebiet bei zunehmend eisigen Temperaturen tausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten fest, darunter viele Kurden aus dem Irak. Polen hat einen Grenzzaun errichtet und mehr als 15.000 Sicherheitskräfte an der Grenze zusammengezogen.

Sie wollten bleiben, bis die EU sie reinlasse, sagten zahlreiche Iraker und Syrer einem Reporter der Deutschen Presse-Agentur in der Notunterkunft in einer Lagerhalle in Brusgi. Der Grenzpunkt dort ist mit Betonbarrieren und Stacheldraht geschlossen. Vor der Notunterkunft setzten Helfer auch am Samstag die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe fort. Die hygienischen Bedingungen sind schlecht. Der Zivilschutz verstärkte zudem den Brandschutz.

Flüchtlinge dürfen Logistikzentrum nicht verlassen

Die Menschen würden alles Notwendige bekommen, sagte der Generalsekretär des belarussischen Roten Kreuzes, Dmitri Schewzow, der dpa vor dem umfunktionierten Logistikzentrum. Dort übernachteten nach Schätzungen etwa 2.000 Menschen, die eine Rückreise in ihre Heimat ablehnen und nach Deutschland, Belgien und in andere EU-Staaten wollen. Sie werden von bewaffneten Uniformierten bewacht und können das Gelände nicht verlassen.

Belarussische Ermittler setzten zudem Befragungen von Migranten fort, die am vergangenen Dienstag bei einem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas von polnischer Seite verletzt worden waren. Auch Kinder waren getroffen worden. Die Menschen wurden mit Hilfe von Dolmetschern vernommen. Das Ermittlungskomitee in Belarus spricht von inzwischen 100 Betroffenen.

Polnische Kirche bedankt sich bei Regierung

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko verglich die polnischen Sicherheitskräfte im Interview der BBC mit "Faschisten". Sie hätten durch den Einsatz der Wasserwerfer und des Tränengases auch die belarussische Staatsgrenze verletzt, sagte er. Dabei seien Chemikalien eingesetzt worden, mit denen sonst "Kakerlaken" vernichtet würden, behauptete Lukaschenko.

Die katholische Kirche in Polen kritisierte das Regime des Nachbarlandes Belarus wegen der Vorfälle an der gemeinsamen Landesgrenze indirekt indes scharf. Zugleich dankten sie den polnischen Grenzschutzbeamten, Soldaten und Polizisten dafür, dass sie in "dieser sehr schwierigen Situation aufopferungsvoll ihrer Verpflichtung nachkommen, unsere Grenzen zu verteidigen und die Sicherheit aller in Polen lebenden Menschen zu gewährleisten".

Flüchtlinge berichten von Misshandlungen

Unterdessen berichten Flüchtlinge, die wieder in den Irak zurückgekehrt sind, von schlimmen Misshandlungen. Die Menschen seien von polnischen und belarussischen Polizisten geschlagen worden, sagten mehrere Betroffene aus den kurdischen Autonomiegebieten im Irak der Deutschen Presse-Agentur am Samstag.

Ein 38-Jähriger aus der Stadt Dohuk berichtete, er sei misshandelt und später gewaltsam aus Belarus abgeschoben worden. Zudem hätten er und andere Migranten weder Wasser noch Essen bekommen. Der Iraker wolle trotz seiner Enttäuschung über die Länder Europas erneut versuchen, dorthin zu gelangen.

"Wir wurden unmenschlich behandelt", sagte auch eine 71-jährige Jesidin, die sich nach eigenen Angaben im Irak nicht mehr sicher fühlt und deshalb zu Verwandten nach Deutschland will. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe mehrere ihrer Kinder entführt. Ein 41 Jahre alter Mann aus Erbil gab an, von Beamten aus Belarus und Polen gefoltert worden zu sein. Er sagte auch: "Die belarussischen Behörden haben uns betrogen." (APA, 2011.2021)