Wahlberechtigte in Bulgarien geben zum vierten Mal in diesem Jahr ihre Stimmen ab.

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Sofia – Rund 6,5 Millionen Wähler sind am Sonntag in Bulgarien aufgerufen, in einer Stichwahl den Präsidenten des Landes zu bestimmen. Gegeneinander treten Amtsinhaber Rumen Radew und der Rektor der Universität Sofia, Anastas Gerdschikow, an. Die Umfragen sehen Radew vorn, der bei der ersten Wahlrunde vor einer Woche auf gut 49 Prozent der Stimmen gekommen war, die absolute Mehrheit aber verfehlte.

Der Präsident hat in Bulgarien überwiegend repräsentative Vollmachten. Dennoch wird die Stichwahl am Sonntag als eine Richtungswahl und Fortsetzung des parlamentarischen Votums vor einer Woche angesehen, nach dem sich ein Regierungswechsel abzeichnet. Um den höchsten Staatsposten bewerben sich zwar zwei parteiunabhängige Kandidaten, sie bekommen aber die Unterstützung zweier entgegengesetzter politischer Lager. Amtsinhaber Radew bemüht sich um eine zweite fünfjährige Amtszeit. Er gilt als Kandidat der Sozialisten und somit des gegnerischen Lagers der abgewählten Mitte-Rechts-Partei GERB.

Niedrige Wahlbeteiligung im ersten Durchgang

Im Sommer 2020 hatte der Präsident die Antikorruptionsproteste gegen die Regierung des Langzeitpremiers Bojko Borissow unterstützt, und deshalb darf er am Wahlsonntag auf die Stimmen der Protestparteien hoffen, die nun eine Mehrheit im Parlament haben. Radews Herausforderer ist Gerdschikow, der von der GERB-Partei Borissows unterstützt wird und bemüht ist, sich von der alten Regierungsmehrheit abzusetzen.

Die Stichwahl wurde notwendig, weil die Wahlbeteiligung beim ersten Wahlgang vor einer Woche deutlich unter den in der Verfassung vorgesehenen 50 Prozent lag. Die Meinungsforscher gehen am Sonntag von einer noch geringeren Wahlbeteiligung aus als beim ersten Wahlgang. Vor einer Woche gingen rund 40 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen, wobei gleichzeitig auch ein neues Parlament im dritten Anlauf in diesem Jahr gewählt wurde. Gewonnen hat die erst vor wenigen Monaten gegründete Anti-Korruptions-Partei PP, die Staatschef Radew nahe steht.

Unerwünschte Unterstützung

Herausforderer Gerdschikow bekommt unerwünschte Hilfe von der wirtschaftsliberalen Türkenpartei DPS. Diese indirekte Unterstützung begründet sich im Konflikt der DPS mit Amtsinhaber Radew, der dazu führte, dass die Partei zum ersten Mal einen ethnischen Türken als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen aufgestellt hat. Parteichef Mustafa Karadayi kam im ersten Wahlgang auf 11,5 Prozent der Stimmen und wurde somit Dritter. Die meisten Stimmen erhielt er aus der benachbarten Türkei, wo eine große Community bulgarischer Aussiedler türkischer Herkunft lebt. Karadayi hatte im Juni, also zwischen beiden Parlamentswahlen im April und Juli, Ankara besucht. Seine Äußerungen bei Gesprächen mit der höchsten politischen Spitze dort – und auch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan – führten zu Spannungen in Bulgarien, denn Karadayi wurde in den türkischen Medien mit den Worten zitiert: "Die Türkei ist unsere Heimat."

Auf Anfrage erklärte der DPS-Vorsitzende, das Problem sei eine falsche Übersetzung, denn er habe die Türkei als "Urheimat" bezeichnet. Dies wiederum führte zu einem angespannten Verhältnis mit Präsident Radew, der anschließend Karadayi direkt gefragt hatte, welches Land nun seine Heimat sei – für den DPS-Vorsitzenden eine unangemessene und beleidigende Frage an einen führenden bulgarischen Politiker.

Fernsehduell zu Korruption

In der Woche zwischen beiden Wahlgängen kam es zum einzigen Fernsehduell der beiden gleichaltrigen Kandidaten – beide 58. Dabei ging es in erster Linie um den Kampf gegen die Korruption. Sowohl der General a. D. und frühere Luftwaffenchef Radew als auch der Absolvent der Humboldt-Universität in Berlin, Gerdschikow, sprachen sich für eine tiefgreifende Justizreform aus. Radew hat mehrmals eine Verfassungsänderung angekündigt, ohne jedoch Details zu nennen. Beobachter gehen davon aus, dass es sich um die Einführung der Verfassungsbeschwerde handelt. Bei seinem ersten offiziellen Besuch in Wien vor zwei Jahren war das eines der Hauptthemen bei Gesprächen mit Radew.

Sein Herausforderer, Gerdschikow, vermutet jedoch andere Ambitionen des Amtsinhabers und warf ihm während des Wahlkampfes mehrmals vor, eine Staatsformänderung hin zur Präsidialrepublik anzustreben. Eine entsprechende Verfassungsänderung sei nur deshalb nicht im Parlament eingereicht worden, weil sich Bulgarien seit dem Frühjahr nach zwei gescheiterten Parlamenten in einer Dauerkrise befinde.

In der brisanten außenpolitischen Frage zum Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit dem benachbarten Nordmazedonien vertreten beide Präsidentschaftskandidaten ähnliche Positionen und unterstützen die bisherige Haltung Bulgariens. Beide beteuern, dass Skopje sich an den Staatsvertrag für gutnachbarschaftliche Beziehungen aus dem Jahr 2017 halten solle, die Hassrede gegen Bulgarien nicht länger dulden dürfe und von jeglichen Gebietsansprüchen absehen müsse.

Diplomatische Spannungen

Radew sorgte während des Fernsehduells für diplomatische Spannung zwischen Bulgarien und der Ukraine mit der Äußerung: "Die Krim gehört zurzeit zu Russland." Damit antwortete er auf Gerdschikow, der erklärt hatte, die Krim gehöre zur Urkaine, unabhängig davon, welche Flagge derzeit dort wehe. Radew, der 2016 die Präsidentschaftswahlen dank der Unterstützung der sozialistischen, ehemals kommunistischen Partei gewonnen hatte, gilt als russlandnaher Politiker. Er hat oftmals die EU-Sanktionen gegen Russland als "ineffektiv" kritisiert und betont, dass etwa Deutschland nach wie vor große Wirtschaftsprojekte mit Russland abwickelt.

Radew und Gerdschikow äußerten sich im Wahlkampf stets vorsichtig über die angespannte Lage im Schwarzmeer-Raum. So sieht Gerdschikow eine "wachsende Verantwortung Bulgariens in der NATO und der EU", mahnt jedoch zur "Vorsicht", da Bulgarien ein Land "zwischen zwei Kontinenten, umrahmt von Großmächten" sei. Radew sieht im Schwarzmeer-Raum eine "Schnittstelle geopolitischer Interessen", weshalb die EU eine "deeskalierende Politik zur Entmilitarisierung der Region" führen solle.

Die Wahllokale in Bulgarien schließen um 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MEZ). Anschließend werden erste Exit-Polls erwartet. (APA, 21.11.2021)