Wenn wir an Werkzeuggebrauch bei Tieren denken, bringen wir diesen oft unbewusst mit außerordentlicher Intelligenz in Verbindung. Ein Grund dafür ist, dass der Gebrauch und insbesondere die eigene Herstellung von Werkzeugen über lange Zeit als einzigartige Kompetenz unserer Spezies betrachtet wurde. "Man The Tool Maker" titulierte der britische Anthropologe Kenneth Oakly sein 1949 erschienenes Buch über die menschliche Frühgeschichte. Ein Jahrzehnt später schickt der bekannte Paläoanthropologe Louis Leaky die junge Jane Goodall nach Afrika, um wilde Schimpansen zu studieren. Diese beschreibt zum ersten Mal, wie Schimpansen sich aus Halmen eine Art Angel zurechtkauen, mit der sie in Termitenbauten nach nährreichen Insekten fischen. Leaky reagiert humorvoll: "Nun müssen wir den Menschen neu definieren, das Werkzeug neu definieren oder wir müssen den Schimpansen als Mensch akzeptieren."

Werkzeuggebrauch mit "Angel" bei einem Schimpansen im Leipziger Zoo.
Foto: Alice Auersperg

Wann ist Werkzeuggebrauch "intelligent"?

Obwohl Werkzeuggebrauch im Tierreich noch immer als Besonderheit gilt, wissen wir inzwischen, dass auch andere weniger mit uns verwandte Spezies Objekte als Werkzeuge verwenden können. Wenn wir dabei etwas über die Entstehung von Technologie lernen wollen, ist es wichtig, zwei Arten von Werkzeuggebrauch zu unterscheiden: Stellen Sie sich vor, Sie beobachten einen Schimpansen im Zoo, der in einer Auseinandersetzung mit Artgenossen vertrieben wurde. Plötzlich hebt dieser Steine vom Boden auf und wirft sie nach seinen Verfolgern. Sie würden vermuten, dass der Affe weiß, dass die Artgenossen ausweichen werden und er sich auf diese Weise die Gefahr vom Hals schaffen kann. Was ist aber dann mit der Larve eines Ameisenlöwen, die kleine Steinchen auf Ameisen schnipst, damit diese in ihre Grube fallen. Würden Sie hier eine ähnliche Erklärung suchen? Es gibt zwei unterschiedliche Grundlagen für Werkzeuggebrauch: In einem Fall ist der Werkzeuggebrauch innovativ als Lösung auf ein bestimmtes Problem spontan erfunden worden, und im anderen ist er ein größtenteils angeborenes, stereotypes Verhalten, das wenig flexibel ist.

Gefiederte Handwerker

Um die Entstehung von intelligentem Verhalten besser zu verstehen, müssen wir manchmal über unsere nächsten Verwandten hinausblicken. Es ist wahrscheinlich, dass unser letzter gemeinsamer Vorfahre mit Schimpansen bereits einfache Werkzeuge verwendete, und wir können natürlich schwer nachvollziehen, unter welchen Umständen sich das Verhalten einer ausgestorbenen Spezies entwickelt hat. Es kann daher hilfreich sein, den Ursprung von Werkzeuggebrauch an einer entfernt verwandten Art zu studieren, in welcher dieser sich unabhängig von uns entwickelt hat. Von den Vögeln trennen uns circa 300 Millionen Jahre Evolution, und dennoch gibt es einige Arten, wie zum Beispiel Galapagos Spechtfinken und Neukaledonische Krähen, die ebenfalls Werkzeuge verwenden und im letzteren Fall sogar selbst herstellen. Allerdings ist Werkzeuggebrauch bei beiden Arten angeboren. Zudem handelt es sich um Nestbauer mit der Veranlagung, mit kleinen Stöckchen zielgerichtet zu hantieren. Obgleich Neukaledonische Krähen ihren Werkzeuggebrauch scheinbar flexibel auf unterschiedliche Situationen anpassen können, ist es dennoch schwierig zu beurteilen, welche Aspekte davon in die Kategorie Innovation und welche in die Kategorie stereotyper Werkzeuggebrauch fallen.

Der Goffini-Kakadu kombiniert gerne spielerisch Objekte.
Foto: Alice Auersperg

Gremlins der Tanimbarinseln

Der Goffini ist eine kleine, extrem verspielte Kakadu-Art, die auf der indonesischen Inselgruppe Tanimbar heimisch ist. Goffinis sind Höhlenbrüter und daher keine Nestbauer. Mein Team am Messerli Institut der Veterinärmedizinischen Universität Wien studiert das Verhalten dieser Tiere bereits seit zehn Jahren in einer kleinen Forschungsstation in Niederösterreich und seit fünf Jahren im Freiland in Indonesien. Eine Hauptmotivation für unser Interesse an dieser Spezies war die zufällige Entdeckung, dass diese Tiere Werkzeuggebrauch spontan erfinden können. Inzwischen wissen wir, dass sie nicht nur unterschiedliche Arten von Werkzeugen verwenden, sie stellen sie sogar selber her. Zum Beispiel wird ein längliches stabiles Stockwerkzeug aus verschiedenen Materialien und mittels verschiedener Bautechniken neu erfunden: indem ein länglicher Splitter aus einem Holzblock gezerrt wird, indem von einem belaubten Ast sorgfältig Blätter und Seitenarme entfernt werden oder indem ein Stück Karton entlang der Kante mit dem Schnabel zu einem stabilen Streifen geschnitten wird. Auch können aus demselben Material zwei unterschiedliche Werkzeuge gebaut werden: An das Ende eines geraden Stückes Draht wird ein Haken gebogen, um ein Körbchen aus einem vertikalen Rohr zu heben, oder es wird ein 90 Grad gebogenes Stück Draht geradegebogen, um eine Nuss aus einem horizontalen Rohr zu stoßen. Dabei ähnelt die technische Innovationsfähigkeit der Kakadus in vergleichenden Tests der höherer Primaten sowie fünf- bis achtjähriger Menschenkinder.

Goffini-Kakadu mit aus Draht gefertigtem Hakenwerkzeug.
Foto: Bene Croy

Die technische Begabung der Goffinis in unserer Station ist vermutlich nicht aus ihrer ständigen Nähe zum Menschen entstanden. Unsere Freilandtests deuten darauf hin, dass die Tiere sich auf Tanimbar ähnlich innovativ verhalten wie in den österreichischen Volieren. Eine neue Entdeckung aus dem Freiland hat uns dabei besonders erstaunt: Der Feldforscher Mark O’Hara und die Feldforscherin Berenika Mioduszewska konnten beobachten, wie aus freier Wildbahn stammende Kakadus unterschiedliche Werkzeuge als "Besteck" verwendeten, um ein finales Ziel zu erreichen: Sie suchten nach geeignetem Material und bauten daraus drei exakt passende Werkzeuge, um harte Fruchtkerne aufzubrechen, den Samenmantel zu zerschneiden und anschließend das darin enthaltene Samenmaterial "auszulöffeln". Die aufwendigen Abfolgen und Relationen in diesem Verhalten machen dies zu einem der komplexesten Beispiele von Wildtiertechnologie, das bisher aufgezeichnet werden konnte.

Kakadu in Indonesien verwendet eine scharfe "Klinge" aus Holz.
Foto: Mark O‘Hara

Interessanterweise ist der Ansatz zu Werkzeuggebrauch beim Goffini Kakadu keineswegs angeborenes Verhalten, sondern muss, ähnlich wie bei Primaten, erfunden und erlernt werden. Werkzeuggebrauch entsteht daher bei dieser Art vermutlich nicht – wie bei Vögeln bisher angenommen – durch die Umfunktionierung einer ökologischen Spezialisierung.

Herauszufinden, was wirklich dahintersteckt, ist im Moment ein Hauptfokus unserer Forschung. Wir vermuten, dass die Technologie der Kakadus ähnlich wie bei Primaten aus einem nicht-spezialisierten Drang entsteht, spielerisch und explorativ verschiedene Objekte miteinander zu kombinieren. Dazu kommt, dass sowohl werkzeugverwendende Primaten als auch die Kakadus (und vermutlich unsere Vorfahren) oft mit schwer zu öffnenden oder eingebetteten Ressourcen konfrontiert sind und zugleich einen opportunistischen Lebensstil haben, der ein hohes Maß an Flexibilität erfordert. (Alice Auersperg, 24.11.2021)