Einer der zwei zentralen Handlungsstränge dreht sich um das Schicksal der Schwester Powder (hier im Bild) und Vi.

Foto: Netflix

Nach einer Reihe von Videospielen, die auf dem rund um den Multiplayer-Spielehit League of Legends geschaffenen Universum basieren, hat Riot Games Anfang November auch eine Netflix-Serie an den Start gebracht, die sich dieser Welt annimmt. Sie trägt den Titel Arcane und entführt Zuseher in nach Piltover, der selbsternannten "Stadt des Fortschritts".

Filmische Adaptionen von Games sorgen immer für gewisse Vorbehalte, denn oft genug endeten sie als eher seelenoses "Popcornkino" (Prince of Persia, Warcraft) oder wurden vom berühmt-berüchtigten Uwe Boll überhaupt gleich zu B-Movie-Kost (Postal, BloodRayne) verwurstet, die eigentlich nur aufgrund ihres hohen Trashfaktors Anhänger findet. Bei Serien scheint es aber etwas besser zu laufen, als bei abendfüllenden Filmen, wie auch schon The Witcher – ebenfalls bei Netflix – bewiesen hat.

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Eines darf vorweg gesagt werden: Auch wer mit der Welt und den Hintergrundgeschichten der Charaktere von League of Legends nicht vertraut ist – das dürfte auch auf die allermeisten Spieler zutreffen –, kann bedenkenlos reinschauen. Manche Szenen geben "Kennern" vielleicht etwas mehr preis, doch sowohl der Handlungsrahmen als auch alle Protagonisten und ihre Biografien werden gut verständlich eingeführt.

Hinweis

Achtung, in diesem Text sind einzelne Spoiler enthalten, welche die ersten drei Folgen betreffen. Die erste Staffel von Arcane besteht aus insgesamt neun Episoden, die Umsetzung von Staffel zwei ist bereits auf Schiene.

Stadt des Fortschritts, Stadt der Geknechteten

Technologische Meisterleistungen zum Wohle der Einwohner, das schreibt sich die Politik in Piltover auf die Fahnen. Auch der junge, idealistische Erfinder und Spross einer Hammerschmied-Familie, Jayce Talis, strebt dieses Ideal an. Er will Magie, bisher als rein angeborene Fähigkeit verstanden, mithilfe von Technologie erzeugen und kontrollieren. Ein Plan, den er weitestgehend im Geheimen verfolgt, denn viele sind gegenüber Magie skeptisch und halten es für unmöglich, sie mit herkömmlichen Mitteln zu steuern. Auch Heimerdinger, ein haariges kleines und über 300 Jahre altes Wesen aus der Gattung der Yordles, der oberster Wissenschafter und Mitglied im allmächtigen Stadtrat ist.

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Der Schein in Piltover trügt allerdings. Während der bekanntere Teil der Stadt Reichtum, Glanz und Überlegenheit ausstrahlt, beginnt nach der Brücke über die Bucht die "Undercity". In dreckigen, verrauchten Gassen tummeln sich hier all jene, mit denen es das Leben nicht so gut gemeint hat und von denen viele mit Argwohn, Neid oder gar blankem Hass auf die schillernde Fassade des Nachbarbezirkes sehen. Einmal hat dieser Stadtteil schon gewalttätig aufbegehrt und zahlte einen bitteren Preis dafür. Der Stadtrat schickte die Enforcer, die hochgerüstete Polizei von Piltover, los, um den Aufstand in seinen Armenvierteln niederzuschlagen.

Hier beginnt auch die Geschichte der kämpferischen Vi und ihrer unsicheren, kleineren Schwester Powder. Die Mädchen mit den markanten Haarfarben verloren beim Einmarsch der Enforcer ihre Eltern und wurden, gemeinsam mit einer Schar anderer Waisen, vom Barkeeper Vander aufgenommen, dem Quasi-Bürgermeister des Viertels "The Lanes" und inoffiziellen Chefdiplomaten der Undercity.

Vi und ihre Gang sind eine abenteuerlustige Truppe, die es nach Hinweis ihres Freundes Ekko auf die "gute" Seite der Stadt verschlägt, wo sie ein Labor plündern. Jayces Labor, um genauer zu sein. Der zuerst erfolgreich scheinende Coup geht allerdings aufgrund eines Missgeschicks von Powder furchtbar schief und sorgt für eine angespannte Lage zwischen den beiden Stadtteilen.

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Alte, neue Spannungen

Vander sieht sich nun in der Zwickmühle, den Enforcern einen Schuldigen liefern zu müssen, um eine Eskalation zu vermeiden. Gleichzeitig wittert ein ehemaliger Kontrahent die Chance, dank einem Helfer aus der Polizei die Macht in der Undercity an sich zu reißen und Vergeltung an der "Oberstadt" zu nehmen. Jayce hingegen sieht sich nach dem ungeplanten Auffliegen seiner Forschung in Erklärungsnöten und wird sanktioniert, findet aber unerwartete Hilfe aus dem Stadtrat, die ihm – und seinem kränklichen Assistenten Victor – die Chance einräumt, einen letzten Anlauf für sein Experiment zu unternehmen.

Aus dieser mitunter auch wortwörtlich explosiven Lage entspinnt sich ein beinahe Game of Thrones-würdiges Netz aus Macht und Intrigen auf der einen und das Schicksal zweier ungleicher und sich doch nahestehender Schwestern auf der anderen Seite. Eingebettet ist die Klassenkampf-Kulisse in einen Rahmen von noch viel größerer politischer Tragweite, der aber erst gegen Ende der Staffel angedeutet wird und ziemlich sicher bedeutet, dass Piltover nicht der einzige Schauplatz von Arcane bleiben wird.

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Gelungene Erzählung trifft audiovisuelle Meisterleistung

Der Serie gelingen während des wilden Ritts zwischen den Untiefen und der luxuriösen Skyline der Stadt einige sehr lobenswerte Dinge. Allen voran: Die Handlung wird kohärent, in ihrem Tahmen glaubwürdig und – mit sehr wenigen Hängern – spannend erzählt. Man hat sich auch erfolgreich bemüht, den wichtigsten Akteuren Tiefe zu verpassen. Und auch wenn sehr viel passiert, bleibt es recht leicht, an der Geschichte dran zu bleiben.

Audiovisuell präsentiert sich das Abenteuer als eine Art animierter Comic realistischerer Prägung, wobei die Umsetzung famos gelungen ist. In einigen wenigen Momenten wirken Bewegungen kurz ein wenig nach Computerspiel, doch dafür entschädigen Kulisse, Licht und die musikalische Inszenierung.

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Die plastische Darbietung wird an den passenden Stellen mit absichtlich zweidimensional erscheinenden Effekten kombiniert, wohl auch, um für die Zuseher die Handlung etwas zu entschärfen. Denn so kunterbunt bis kindlich das Spiel League of Legends wirken mag, die Geschichte, die Arcane erzählt, ist alles andere als das. Gesellschaftskonflikte, Trauma und Gewalt ziehen sich als blutroter Faden durch die schmutzig-schillernde Stadt. In der Undercity fliegen regelmäßig die Fäuste, doch ob nicht die Teilnahmslosigkeit und Ressentiments mancher Obrigkeiten eigentlich der größere Gewaltakt ist, überlässt die Serie dem Urteil des Publikums.

Und das hat, so viel darf man nach dem Ansehen der ersten neuen Folgen sagen, gute Gründe, der Fortsetzung der Geschichte von Vi und Powder, Ober- und Unterstadt zu harren. Arcane ist eine der großen Überraschungen des Serienjahres 2021. (gpi, 22.11.2021)