Bild nicht mehr verfügbar.

Im französischen Überseegebiet Guadeloupe riefen Gewerkschaften zum Protest gegen die Regeln aus Frankreich auf.

Foto: Reuters/Arduengo

Österreich ist nicht das einzige Land in Europa, in dem die Menschen aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straßen gehen. In den Niederlanden kam es am vergangenen Wochenende dabei auch zu gewalttätigen Ausschreitungen in mehreren Städten. In der Nacht zum Montag waren vor allem Enschede im Osten und Groningen im Norden Schauplätze der Gewalt, auch Fußballspiele mussten unterbrochen werden. Der Randale waren zunächst friedliche Proteste gegen staatliche Corona-Beschränkungen vorangegangen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen.

In den Niederlanden gilt seit vergangener Woche wegen stark steigender Zahlen ein Teil-Lockdown. Kontaktbeschränkungen wurden verschärft, Geschäfte müssen früher schließen und Arbeitnehmer sollen im Homeoffice arbeiten. Auch über 2G-Maßnahmen wird diskutiert. Premier Mark Rutte reagierte am Montag scharf auf die Gewalt am Rande der Demonstrationen. "Idioten" nannte er die Randalierer und sprach von einer reinen "Gewaltexplosion unter dem Deckmantel des Demonstrierens".

Wasserwerfer in Belgien

Auch in Belgien, wo die Corona-Zahlen ebenfalls hochschnellen, gingen am Sonntag rund 35.000 Demonstranten gegen neue Auflagen auf die Straße. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Tränengas gegen einige Protestierende vor, die Gegenstände auf Beamte warfen oder Polizeifahrzeuge angriffen.

In Frankreich haben die Proteste, die noch im August und September die Bevölkerung auf die Straßen trieb, sich mittlerweile gelegt. Aktuell hat Paris aber mit gewalttätigen Protesten in einem seiner Überseegebiete zu kämpfen. Seit Tagen randalieren und plündern Demonstranten in Guadeloupe in der Karibik.

Vermummte Jugendliche werfen Steine auf überforderte Polizisten; sie marodieren, plündern, brandschatzen und errichten Barrikaden aus Mülltonnen, Sperrgut und Bäumen. Am Sonntag brachen sie in ein Waffenlager in Pointe-à-Pitre in der nördlichen Inselhälfte ein, wobei sie offenbar auch Gewehre erbeuteten.

Die Regierung in Paris schickte am Wochenende 50 Einsatzpolizisten der Eliteverbände GIGN und Raid nach Guadeloupe. Doch haben sie eine Barrikade aufgelöst, entsteht anderswo eine neue. Mehrere Personen sind bei den Zusammenstößen verletzt worden, darunter eine unbeteiligte ältere Frau durch einen Schuss. 30 Missetäter sollten schon am Montagabend vor den Richter kommen.

Krawalle in der Karibik

Auslöser der Krawalle ist auch hier die Covid-Krise, genauer gesagt die faktische Impfpflicht für Pflegeangestellte: Wenn sie sich nicht impfen lassen, werden sie suspendiert und verlieren einen Teil ihres Gehalts. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben deswegen einen inselweiten Generalstreik ausgerufen. Am Montag übernahmen die Kumpels von der Schwesterinsel Martinique im Süden des Karibikbogens den Aufruf. Die karibische Covid-Rebellion ist offenbar hochgradig ansteckend.

Und die Lage "sehr explosiv". Das sagte Präsident Emmanuel Macron am Montag in Paris, wo er die Mitbürger auf den Antillen aufrief, den "Lügen und Manipulationen" der Impfgegner zu trotzen. Er versprach, "die Ordnung" wiederherzustellen.

Dafür ist es möglicherweise schon zu spät. Die Proteste auf der Straße weiten sich zu einer regelrechten Sozialkrise aus. Die Randalierer stammen vor allem aus den Vorstadtsiedlungen, die es in den größeren Orten der exotischen Insel auch gibt.

Rundherum seien bereits 80 Läden ausgeraubt worden, sagte am Montag der Vorsteher der regionalen Industrie- und Handelskammer, Patrick Vial-Collet. Er sprach von einer "ziemlich aufrührerischen Lage" und präzisierte: "Das ist keine Sozial- oder Streikbewegung mehr, sondern eine eigentliche Guerillabewegung."

Soziale Misere

Die Menschen auf Guadeloupe gelten zwar seit jeher als eher aufrührerisch. Dass sich ihr Protest gegen die Impfpflicht einiger weniger so schnell ausweitete, spricht indessen Bände über die soziale Misere in den französischen Überseegebieten.

Diese "confettis" leben, wenn man vom Tourismus und einigen Bananenplantagen absieht, großenteils von der Unterstützung aus Paris. Guadeloupe, Martinique und Guyane, aber auch Polynesien und Neukaledonien im Pazifik oder La Réunion im Indischen Ozean erhalten aus Frankreich jährlich zehn Milliarden Euro in Form von Subventionen, Sozialhilfe, Steuervorteilen, Inselprämien oder Gratis flügen nach Paris.

Diesen Preis zahlt Frankreich für sein auf ein paar Inseln geschrumpftes Weltreich. Wie es scheint, bleiben die jungen Franzosen dort trotzdem ohne Aussicht auf Ausbildung, Jobs oder gar sozialen Aufstieg. Insofern gleicht ihr Schicksal dem der Vorstadtkids von Paris, Lyon oder Marseille. (Stefan Brändle aus Paris, Manuela Honsig-Erlenburg, 22.11.2021)