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Lebt der Flugzeugentführer noch oder nicht? Man wird es vermutlich nie erfahren.

Foto: AP

Pilot, Fallschirmspringer, Kriegsveteran oder Massenmörder: Es gibt unzählige Theorien, wer das berühmteste Phantom der USA sein könnte. Bestätigt hat sich keine einzige, und so bleibt die einzige ungeklärte Flugzeugentführung in der Geschichte des Landes auch nach genau 50 Jahren ein einziges Mysterium.

Portland, Oregon. Am Abend des 24. November 1971, kurz vor Thanksgiving, hebt Flug Nummer NWA 305 der Northwest Orient Airlines vom Flughafen in Richtung Seattle ab. An Bord der Boeing 727 nimmt auf Sitz 18C eine Person Platz, die das FBI später als ruhigen Mann Mitte 40, im eleganten Business-Anzug inklusive schmaler schwarzer Krawatte und weißen Hemds, beschreiben wird. Auffälligstes Merkmal ist seine dunkle Sonnenbrille.

Eher keine Anmache

Damals, Anfang der 1970er-Jahre, gab es auf Inlandsflügen kaum Sicherheitsvorkehrungen, Ausweise wurden nicht kontrolliert. Angegeben hat der Mann als Namen Dan Cooper – ein Pseudonym, wie sich später herausstellen wird. Nach dem Start raucht er erst zwei Zigaretten der Billigmarke Raleigh Filter und bestellt dann bei der Stewardess 7 Up und Bourbon. Dabei steckt er ihr einen kleinen Zettel zu, den die Flugbegleiterin als Anmache interpretiert und ignoriert. Sie ändert ihre Meinung, als der Mann sagt: "Sie sollten sich lieber den Zettel ansehen, ich habe eine Bombe bei mir."

Nachdem die Stewardess in die Aktentasche des Mannes blickte und dabei einen Haufen Drähte entdeckte, übergibt sie dem Piloten die schriftliche erpresserische Forderung: 200.000 US-Dollar (heute etwa 1,35 Millionen Dollar wert) sowie vier Fallschirme.

Die zurate gezogene Flugsicherung des Flughafens Seattle-Tacoma empfiehlt der Crew, mit dem Erpresser zu kooperieren. Als die Maschine plangemäß um 17.45 Uhr Ortszeit in Seattle landet, lässt der Mann die restlichen 36 Passagiere im Tausch gegen Geld und Fallschirme frei. Während die Boeing aufgetankt wird, erklärt er der Crew den weiteren Plan: Es soll in Richtung Mexiko-Stadt gehen, aber mit ausgefahrenem Fahrwerk, so langsam wie möglich und maximal in 10.000 Fuß Höhe.

Aus dem Flugzeug in den Wald

Auf dem Weg zu einem geplanten Tankzwischenstopp in Reno, Nevada, führt der Erpresser seinen Fluchtplan aus. Über den Wäldern Washingtons springt er bei Finsternis und Regen aus dem Flugzeug – durch die schlechte Sicht ist sein Absprung auch nicht von den das Flugzeug begleitenden F-106-Kamfflugzeugen registriert worden.

Nun geht die große Suche los. Hunderte Polizisten und Soldaten durchforsten den Wald, auch ein Spezialflugzeug der Air Force kommt zum Einsatz – doch ohne Erfolg. Kein Fallschirm, kein Sprengsatz, kein Erpresser kommt je zum Vorschein. Lediglich drei Bündel 20-Dollar-Noten – insgesamt 5.800 Dollar – werden 1980 von einem Achtjährigen beim Picknick am Columbia River entdeckt. Die Scheine konnten durch die Seriennummern dem Lösegeld zugeordnet werden.

Beim FBI bekommt der Fall den Codenamen Norjak, der Erpresser wird relativ rasch mit dem Namen D. B. Cooper verknüpft. Warum? Aufgrund des bei der Airline genannten Pseudonyms wird im Anfangsstadium der Ermittlungen auch ein Mann namens D. B. Cooper befragt. Dieser wird nie ernsthaft als Verdächtiger angesehen, doch ein Missverständnis mit berichtenden Medien sorgt dafür, dass der Erpresser bis heute meist D. B. Cooper genannt wird.

Kein DNA-Treffer

Egal wie er heißt, die Suche nach dem Erpresser bleibt bis heute erfolglos – auch wenn Jahre später auf der von Cooper im Flugzeug zurückgelassenen Krawatte eine DNA-Probe entnommen wurde, zu der es aber nie einen Treffer gab. Im Sommer 2016 legt das FBI den Fall nach 44 Jahren, sieben Monaten und 18 Tagen offiziell zu den Akten. Die bei der Bundespolizei beliebteste Theorie: Der Erpresser habe den Fallschirmabsprung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überlebt.

Doch für viele andere in der Bevölkerung ist dieses Szenario falsch und nicht zufriedenstellend. Immer wieder meldeten sich Menschen, die angeblich wussten, wer Cooper war – wenn sie nicht sogar behaupteten, selbst Cooper zu sein. Manche sagten auf dem Sterbebett, sie seien der Entführer gewesen.

Am hartnäckigsten hielt sich noch der 1994 verstorbene Kenneth Christiansen als Verdächtiger. Dessen Bruder Lyle meldete sich 2003 beim FBI, nachdem er eine Doku über die Flugzeugentführung gesehen hatte. Er erklärte, die Beschreibungen des Täters würden grob zu seinem Bruder passen. Kenneth Christiansen sei beim Militär zum Fallschirmspringer ausgebildet worden, kurz nach der Tat habe er in bar ein Haus gekauft und sich eine wertvolle Briefmarkensammlung zugelegt. Auch sei er wie der Täter Linkshänder gewesen und habe eine Vorliebe für Zigaretten und Bourbon gehabt.

Eher Amateur denn Profi

Das FBI überprüfte ihn – und winkte dann doch wieder ab. Die optischen Übereinstimmungen seien zu schwach, außerdem habe sich im Laufe der jahrzehntelangen Ermittlungen herausgestellt, dass der Täter eben kein ausgebildeter Fallschirmspringer gewesen sein kann: Nur ein Amateur wäre im Dunkeln im Regen über einem Waldgebiet aus einem Flugzeug gesprungen – ein Profi hätte das für viel zu gefährlich gehalten.

Nun, 50 Jahre später, ist und bleibt D. B. Cooper (oder wie auch immer er heißt) eine Art Volksheld in den USA, die Inkarnation des gerissenen Gangsters, der ohne Gewaltausübung zu Reichtum kommt und sich nicht erwischen lässt – quasi der Danny Ocean der Realität.

Beliebter Entführer

Fans verkaufen Bier, Kaffeetassen und Socken mit seinem Fahndungsfoto. Und in Filmen, Serien, Dokus und Liedern wird Cooper immer wieder thematisiert, während Hobbyermittler weiter versuchen, den Fall mit angeblichen neuen Hinweisen neu aufzurollen.

Wer weiß, vielleicht kommt jemand tatsächlich noch auf die Spur des Flugzeugentführers. Vielleicht sitzt dieser, jetzt etwa Mitte 90, in einem Seniorenheim und wartet darauf, endlich alles über seinen Coup verraten zu dürfen.

Vielleicht bleibt er aber auch einfach für alle Ewigkeiten ein Phantom. (Kim Son Hoang, 24.11.2021)