Vier Holzstühle, drei Verstärker, zwei Gitarren, ein Schlagzeug. Vor einer riesigen weißen Wand. Auf einem tristen grauen Boden. George Harrison und John Lennon spielen eine unfertige Version von "Don't Let Me Down". Im Hintergrund sitzt ein Anhänger der Hare-Krishna-Bewegung im Schneidersitz und betet stumm. Ringo Starr beginnt am Schlagzeug, Paul McCartney kommt ins Bild, tauscht den Mantel gegen den Bass und signalisiert mit einem Finger vor den Lippen, dass er einsetzen will. So nah ist man wohl noch nie an die Beatles herangekommen.

Foto: Apple / Disney Plus

Möglich gemacht wird das durch Oscarpreisträger Peter Jackson. Das Material stammt aus den Aufnahmesessions aus dem Jänner 1969. Die Gruppe hat seit zwei Jahren nicht mehr live gespielt. Nun wollen sie zurück auf die Bühne – und das mit einem neuen Album. 14 Songs, dafür haben sie 14 Tage Zeit. Regisseur Michael Lindsay-Hogg nutzte damals die Gelegenheit und begleitete die Band dabei für seinen Film "Let It Be". Dabei fabrizierte er über 60 Stunden nicht genutztes Material – das Jackson nun in den Filmdreiteiler "Get Back" verwandelt hat.

Ihr zeichnet unsere Gespräche auf?

Und direkt zu Beginn merkt man, wie intim das Ganze werden wird. "Ich finde, die Akustik hier ist nicht gut", sagt Lennon. Kein Wunder, es ist kein Proberaum, in dem sich die Fab Four hier befinden – es ist ein riesiges Fernsehstudio. Denn das ist der ursprüngliche Plan: eine Fernsehsendung, in der sie ihre neuen Songs präsentieren.

Und dann wird den Beatles etwas ganz anderes klar, als ihre Verstärker leiser gedreht werden. "Ihr habt unser Gespräch aufgezeichnet?", fragt Harrison. Sie werden die nächsten zwei Wochen ständig von Kameras und Mikrofonen begleitet. Damaliger Regisseur Lindsay-Hogg hat zwischenzeitlich sogar die roten Aufnahmeleuchten abhängen lassen, sodass die Band dachte, alles sei aus. So entwickelt sich mit "Get Back" das vielleicht intimste Stück Film über die Beatles. Mehr als sechs Stunden erlebt man hier die Beatles hautnah – nicht viel kürzer als Jacksons "Herr der Ringe"-Verfilmung, mit der der Neuseeländer zum Weltstar wurde.

Walt Disney Studios

Ein Großteil der Screen-Time sind Songwriting-Prozesse. Ein faszinierender Blick in den Kreis vierer Musiker, die zusammenarbeiten, um diese unmöglich erscheinende Herausforderung zu meistern. Und doch ist es in dieser Band-Phase durchaus ungewöhnlich, dass die vier gleichzeitig musizieren. In den vergangenen Jahren hatten sie auf Live-Auftritte und Touren verzichtet, um mehr Zeit im Studio zu verbringen. Sie wollten aufwendigere Produktionen, samt Orchester, mehrspurigen Instrumenten und Studio-Tricks. Jetzt, im TV-Studio Twickenham, haben sie nur noch sich und die Instrumente, die sie spielen. Eine reinere, ehrlichere Form der Musik als in der Vergangenheit. Zurück zu den Wurzeln, wenn man so will. Oder wie es Harrison McCartney erklärt: "Wenn du einen Song schreibst, muss es sich für mich so anfühlen, als hätte ich ihn geschrieben. Und vice versa." Und eines ist klar: Nicht alles läuft von Anfang richtig.

Es gibt ein paar Meinungsverschiedenheiten, so will Harrison am Ende von Teil eins die Session und die Band verlassen, lässt sich dann aber zur Rückkehr überreden. Abseits davon ist fast nichts zu sehen von angeblichen Grabenkämpfen oder einander hassenden Bandmitgliedern. Gerüchte gab es zu der Zeit darüber genug. Es hieß, sie standen da schon vor dem Ende – auf den Aufnahmen sieht man aber vier Freunde, die sich gemeinsam kreativ ausleben wollen.

Oh, da ist Yoko wieder

Hie und da passen Bild und Ton nicht ganz zusammen. Das mag im ersten Moment irritieren, hat aber seinen Grund. Noch mehr als Video hat Lindsay-Hogg vor allem Ton mitgeschnitten – nämlich 150 Stunden. Peter Jackson nutzt diese, um Konversationen zu zeigen, die sonst aufgrund von fehlendem Bildmaterial und dem eigenen Qualitätsanspruch verschüttgegangen wären. Eine gute Entscheidung, bekommt man so noch ein klareres Bild der Umgangsform der vier untereinander. Und fast immer im Hintergrund: Yoko Ono.

Ab dem zweiten Teil taucht auch Paul McCartneys Freundin Linda Eastman immer öfter auf, die mit ihrer Nikon-Kamera Stimmung und Charaktere einfängt. Und ganz zum Schluss kommt Ringo Starrs Ehefrau Maureen Tigrett ins Bild, die sich ebenso im Hintergrund hält wie meist ihr Mann.

Überhaupt ist Jackson eine großartige Charakterstudie gelungen. Man spürt, wie McCartney stets die Führung der Zusammentreffen übernimmt und zwischen Selbstdarstellung und Ausgleich mit den Kollegen schwankt. Harrison, der Empfindsame, Starr, der ruhige Pol, und Lennon als emotionale Sphinx, bei der man nur ganz leicht spürt, wie es unter der Oberfläche brodelt.

Foto: Apple / Disney Plus

Ein Kritikpunkt ist, dass der Spannungsbogen nicht immer gespannt ist. Manche Szenen wirken auf den ersten Blick belanglos. Vor allem im mittleren Teil entstehen Längen. Es fühlt sich gelegentlich so an, wie wenn man statt einer schmackhaften Mahlzeit eine endlose Kochshow präsentiert bekommt, wo man den Starköchen beim Gemüseschneiden zusehen kann. Selbst die magische Melodie von "Let It Be" wirkt in McCartneys achtem Anlauf zäh.

Erst im letzten Teil steigt die Spannung wieder, mit der Vorbereitung des berühmten Rooftop-Konzerts auf dem Dach des Gebäudes der Beatles-Firma Apple in der Londoner Saville Row am 30. Jänner 1969. Die Musik und die Bilder von dem letzten gemeinsamen Auftritt der Band sind schon durch den Film "Let It Be" bekannt. Faszinierend sind die Straßenaufnahmen: die Beiläufigkeit, mit der Passanten auf der Straße diesen musikhistorischen Moment wahrnahmen, und die Ratlosigkeit der Londoner Polizisten, die wegen zahlreicher Lärmbeschwerden gerufen wurden, aber dann doch nicht die Beatles rüde unterbrechen wollten.

Und so geht es auch dem Zuseher der Jackson-Doku. Bei anderen Protagonisten würden wohl viele nach einigen Stunden genervt aussteigen. Aber bei den Beatles bleibt man dran und hofft auf weitere, noch so geringfügige Einblicke und Eindrücke von der vielleicht größten, wichtigsten und einflussreichsten Band aller Zeiten. Tatsächlich folgen auf den Abspann noch ein paar kurze Szenen mit besonderer Intimität. Und in diesem Augenblick ist man eher sauer darüber, dass man nicht die kompletten 60 Stunden ungeschnitten sehen darf. (Thorben Pollerhof, Eric Frey, 25.11.2021)