In Tokio schlug Walter Ablinger vor Freude die Hände über dem Kopf zusammen. Jetzt macht ihn die Sportpolitik fassungslos.

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Man kann es nicht allen recht machen." Auch einer dieser Sätze, die man öfter hört als früher. Kürzlich ist er Clemens Trimmel über die Lippen gekommen, dem Geschäftsführer der Bundes-Sport GmbH (BSG), die für die Verteilung staatlicher Sportfördergelder zuständig ist. Ex-Tennisprofi Trimmel und die BSG haben das Problem, dass für die aus Lotto/Toto-Mitteln fließende Gesamtsumme von jährlich circa 90 Millionen Euro seit Jahren keine Wertanpassung erfolgte. Wobei – eigentlich ist es das Problem der zu fördernden Verbände. Wenn ein Verband gut und erfolgreich gearbeitet hat und deshalb nach Evaluierung künftig mehr lukriert, so bedeutet das automatisch, dass zumindest ein anderer Verband schlechter aussteigt und draufzahlt. Kein Wunder, dass vor kurzem ein gemeinsamer Aufschrei mehrerer Sommersportverbände erschallte.

Gewiss nicht recht gemacht hat es die BSG den heimischen Behindertensportlerinnen und -sportlern. "Die Paralympics", auch das sagte Trimmel dem STANDARD, "haben für eine vernünftige Evaluierung leider zu spät stattgefunden." Soll heißen, dass sich Ergebnisse bei den Paralympischen Spielen in Tokio genau gar nicht auf die Ende September vorgenommene Neuverteilung von 20,5 Millionen Verbandsförderungen im Sommersport ausgewirkt haben. Die Paralympics gingen am 5. September zu Ende, laut BSG zu spät – wohingegen die am 9. August beendeten Olympischen Spiele der Nichtbehinderten sehr wohl bewertet wurden.

Neun Medaillen zählen elf

Der Radsportverband (ÖRV) ist zweifellos am meisten betroffen. Nicht umsonst ist ÖRV-Generalsekretär Rudolf Massak "aus allen Wolken gefallen", weil der ÖRV pro Jahr künftig nicht mehr lukriert als bisher – trotz Anna Kiesenhofers Gold im olympischen Straßenrennen, trotz der Tatsache, dass sechs der neun Paralympics-Medaillen in Tokio auf das Konto der Handbiker gegangen waren. Walter Ablinger holte Gold und Bronze, Thomas Frühwirth zweimal Silber, Alexander Gritsch zweimal Bronze. Dazu kamen zwei Silberne von Pepo Buch im Dressurreiten sowie eine weitere Silberne des Paratriathleten Florian Brungraber.

Ablinger nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn man ihn zur Nichtberücksichtigung paralympischer Leistungen bei der Verbandsförderung fragt. "Das ist", sagt er dem STANDARD, "eine Abwertung des gesamten Behindertensports in Österreich. Extrem erschreckend und demotivierend." Dem ÖRV macht er keinen Vorwurf, dieser arbeite "hervorragend", halte etwa inklusive Trainingslager ab.

Definiere gemeinnützig

Ein Problem könnte sein, dass in vielen Verbänden kein Behindertensport existiert und deshalb kaum zwischen den Verbänden verglichen werden kann. Dennoch werden Vorwürfe laut, der Behindertensport würde quasi staatlich diskriminiert. Schließlich werden Bundesfördermittel vergeben, zudem definiert sich die seit Anfang 2018 operativ tätige Bundes-Sport GmbH als "gemeinnützige Gesellschaft der Republik Österreich".

Laut Ablinger ist es das Ziel der einzelnen Behindertensportsparten, in ihrem jeweiligen Fachverband möglichst integriert zu sein. "Auch so gesehen ist das jetzt ein schwerer Rückschlag für uns."

18 Männer und sechs Frauen hatten Österreich bei den Paralympics vertreten, die Erfolgsquote konnte sich also auch im Vergleich zu den Olympischen Spielen mit 75 Aktive und sieben Medaillen (1/1/5) sehen lassen. Ums Vergleichen geht es Maria Rauch-Kallat nicht, doch auch die Präsidentin des Paralympischen Komitees (ÖPC) ist enttäuscht. "Den einen Monat nach den Olympischen Spielen hätte man auch noch abwarten können." ÖPC-Generalsekretärin Petra Huber sagt: "Ich will gar nicht glauben, dass da wirklich schon alles beschlossen ist."

Doch der Zug ist wohl abgefahren. Die Verbände sind längst informiert, und insgesamt wird so bald wohl auch nicht mehr Geld fließen. Österreichs Behindertensport, der auch schon einmal breiter aufgestellt war, läuft Gefahr, international zurückzufallen. "Aber vor allem", sagt Paralympics-Sieger Walter Ablinger, "fühlen wir uns noch mehr an den Rand gerückt."

In Tokio schlug Walter Ablinger vor Freude die Hände über dem Kopf zusammen. Jetzt macht ihn die Sportpolitik fassungslos. (Fritz Neumann, 24.11.2021)