Das Forschungsteam von "Dust and Data" untersucht Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Kuratorin und Maschine.

Foto: eSel.at / Lorenz Seidler

Stellen Sie sich vor, Sie klicken sich durch die Online-Ausstellung eines Museums. Eigentlich wollten Sie hingehen, aber die aktuelle Corona-Lage lässt es gerade wieder nicht zu. Aber vielleicht hat das Kunsterlebnis zu Hause auch seinen Reiz. Sie betrachten also ein Bild in der Online-Sammlung. Landschaftsmalerei, nichts Ungewöhnliches.

Der einzige Unterschied: Welches Bild Teil der Ausstellung ist, hat keine Kuratorin und kein Kurator entschieden, sondern ein Algorithmus. Genau diese Erfahrung könnte Ihnen in Zukunft öfter passieren.

Künstliche Intelligenz (KI) spielt eine immer bedeutendere Rolle in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, auch in der Kunst – auf künstlerischer Ebene einerseits und auf kuratorischer andererseits. Letzteres ist Teil des zweijährigen Forschungsprojekts "Dust and Data – The Art of Curating in the Age of Artificial Intelligence".

Ergebnisoffen

Welche Rolle kann KI beim Kuratieren von Ausstellungen spielen? Wie kann KI genutzt werden, um digitale und digitalisierte Werke auszustellen? Und wie können Algorithmen bei der Auswahl von Kunstwerken helfen? Diese Fragen wurden und werden bei "Dust and Data" diskutiert.

Das Projekt der Universität der bildenden Künste Wien und des Instituts für Computational Perception an der Universität Linz forscht interdisziplinär: Kuratorinnen, KI-Experten und Ausstellungsgestalterinnen arbeiten Workshop-orientiert – ein wissenschaftlich-künstlerischer Diskurs soll eine Basis für neue fachübergreifende Zugänge bilden.

"Bei ,Dust and Data‘ haben unterschiedliche Disziplinen gleichberechtigt und ergebnisoffen zusammengearbeitet. Konkret geht es um die Möglichkeiten und Herausforderungen von KI im kuratorischen Bereich", sagt Nikolaus Wahl. Er ist Historiker und Kurator, gemeinsam mit Arthur Flexer leitet er das Projekt.

Digitales Kuratieren

Wer heute kuratiert, kuratiert auch vielfach digital. KI könnte nun dabei helfen, die Vielzahl an digitalen und digitalisierten Kunstwerken zu sortieren, zu analysieren und zu verstehen, um einerseits die kuratorische Arbeit zu unterstützen und andererseits Besuchern das Navigieren in großen Museumssammlungen zu erleichtern.

Dazu wurden im Rahmen von "Dust and Data" unter anderem Techniken der Bilderkennung untersucht. Mithilfe von Algorithmen sollte herausgefunden werden, in welcher Reihenfolge welche Kunstwerke angeordnet werden. Ein Beispiel: Ganz links soll die Leonardo da Vincis Mona Lisa ausgestellt werden, ganz rechts eine griechische Vase. In der Mitte gibt es noch Platz für drei weitere Kunstwerke. Diese sollten allerdings möglichst gut zu den bereits ausgewählten passen.

Verzerrung

Ein Algorithmus arbeitet nun auf Basis von Schlagworten, mit welchen die Kunstwerke zuvor versehen wurden, und sucht die nächstähnlichen Objekte aus der Museumsdatenbank. Am Ende ergibt das eine Reihe von fünf Kunstwerken, die so ausgestellt werden könnten – Kuratieren wird damit zu einer Zusammenarbeit von Mensch und Maschine.

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde dieser Ansatz bei der Onlinesammlung der Galerie Belvedere angewendet. Im Volkskundemuseum waren die Gedanken und Entwürfe des Projektteams Teil der Ausstellung "Dust and Data – Artificial Intelligence im Museum". Einzelne Arbeiten wurden außerdem im Technischen Museum Wien präsentiert.

Algorithmen liefern aber nicht nur sehr schnelle Resultate für komplexe Fragen, sie reproduzieren vor allem auch gesellschaftliche Verhältnisse und damit verbundene Ungleichheiten. "Künstliche Intelligenz liefert zwar tolle Ergebnisse, diese sind aber mit einem Bias versehen. Sie sind verzerrend und verstärken das, worauf sie basieren", betont Wahl. Rassismus und Populismus seien in Algorithmen eingeschrieben. Das müsse berücksichtigt und diskutiert werden.

Nicht ohne Kritik

Generell nimmt KI in der Kunst immer mehr Raum ein. Ganze Musikalben wurde von ihr geschrieben, sogenannte NFTs, also Kunstwerke, die mittels Blockchain signiert wurden, erfreuen sich großer Beliebtheit – aber nicht ohne Kritik. Denn vor allem in der Kunst ist der Einsatz von Algorithmen umstritten. Was Kunst ist und was nicht, ist eine offene Frage, und ob Maschinen dieser Komplexität gerecht werden können ebenso.

Kann also KI dabei helfen, Ausstellungen zu kuratieren? Jein. "Die Ergebnisse waren teilweise unbefriedigend", sagt Wahl. Algorithmen, die sich nur auf die visuelle Ebene konzentrieren, seien unzureichend. Politische und kunsthistorische Aspekte müssten bei der Auswahl der Kunstwerke mitbedacht werden.

Aus diesem Grund habe man sich in weiterer Folge vermehrt auf inhaltliche Programme spezialisiert, die auf der Grundlage von Sammlungsverzeichnissen funktionieren. Hier seien die Ergebnisse besser gewesen. Bis das anfangs beschriebene Szenario also Realität ist und computergenerierte Ausstellungen Alltag sind, werden wohl noch weitere Diskussionen und Forschung notwendig sein.

Sich wandelnde Ästhetik

KI sei aber schon längst im Museum angekommen. "Alle Kuratoren verwenden Suchmaschinen, Künstlerinnen und Künstler verwenden sie als Recherchemethode", sagt Wahl. Wichtig sei es, ein Bewusstsein für mögliche Verzerrungen zu schaffen und Auswahlkriterien festzulegen.

Bleibt noch die Frage der Ästhetik. Hat der Einsatz von Technologie in der Kunst einen Einfluss darauf, wie die Welt wahrgenommen wird? "Die Ästhetik ist im ständigen Wandel", betont Wahl. Es böten sich viele Möglichkeiten, Digitales auszustellen. Im analogen Raum würden digitale Installationen jedoch an Attraktivität verlieren. Welche Rolle Algorithmen in Zukunft in der Kunst und insbesondere in der kuratorischen Arbeit spielen werden, wird bei "Dust and Data" weiter diskutiert. (Verena Mischitz, 5.12.2021)