Bis Anfang März könnten 2,2 Millionen Menschen in Europa mit Covid-19 gestorben sein.

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Obwohl die Durchimpfungsraten in Europa höher sind als in vielen anderen Regionen der Welt, ist der Kontinent im Moment im Griff der jüngsten Corona-Welle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchtet, dass in Europa bis zum Frühjahr hunderttausende Menschen an Covid-19 sterben könnten.

In praktisch allen europäischen Staaten sei eine hohe Belastung der Intensivstationen zu erwarten. Konkret sei mit einem Anstieg der Todeszahlen bis Anfang März auf insgesamt 2,2 Millionen zu rechnen – das würde 700.000 weitere Tote bedeuten.

Drei Faktoren

Die WHO sieht drei Faktoren als verantwortlich für die steigenden Zahlen: Die aus Indien stammende sogenannte Delta-Variante des Virus dominiere die Welle in Europa. Trotz der Verfügbarkeit der Impfstoffe seien aber viele Menschen noch immer nicht geimpft.

In den 53 Staaten, die die WHO zur europäischen Region zählt, beträgt die Durchimpfungsrate aber immerhin fast 54 Prozent. Als weiteren Grund macht die WHO die Tatsache aus, dass manche Regierungen der Bevölkerung signalisiert hätten, dass nach der Impfung keine Bedrohung mehr vorhanden sei.

Meiste Tote in Bulgarien

Die höchsten Neuinfektionsraten gibt es zurzeit in Mittel- und Osteuropa. Die Slowakei, Tschechien, Österreich und Slowenien weisen derzeit eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 1000 Fällen auf. Die Inzidenz ist jedoch nur bedingt für Vergleiche brauchbar, da die Zahlen stark von der Anzahl der durchgeführten Tests abhängen. Bei den Todeszahlen liegt Bulgarien derzeit weltweit voran. Fast 20 Corona-Tote auf eine Million Einwohner sind viermal so viele wie in Österreich im Vergleichszeitraum. Bei den Impfraten bildet Bulgarien das Schlusslicht der EU.

Mehrere EU-Staaten folgen bei den Sterberaten knapp dahinter, unter anderen Lettland, Kroatien, Ungarn und Rumänien. In Bukarests Universitätsspital sind die Kapazitäten der Leichenhalle erschöpft. Diese verfügt über Platz für 15 Tote, doch zuletzt starben in dem Krankenhaus 41 Menschen an nur einem Tag.

Zu wenig AZ verimpft?

Einen möglichen Grund für die ungleiche Entwicklung in Europa bringt Pascal Soriot ins Spiel. Der Chef des Impfstoffherstellers Astra Zeneca erinnerte am Dienstag in einem BBC-Interview daran, dass viele Länder vor allem ältere Personen nicht mit dem Vakzin des britisch-schwedischen Konzerns impfen ließen. 440 Millionen Dosen des Konkurrenzprodukts von Pfizer stünden nur 67 Millionen in Europa verabreichte Dosen von Astra Zeneca gegenüber.

In Großbritannien habe es zwar einen Anstieg bei den Infektionen gegeben, aber nicht so viele Krankenhausaufenthalte wie anderswo in Europa, erklärte Soriot. "Im Vereinigten Königreich wurde das Vakzin verwendet, um ältere Menschen zu impfen, während in Europa die Leute dachten, dass der Impfstoff bei älteren Menschen nicht wirkt."

Soriot beruft sich auf Studien, die dem AZ-Impfstoff eine höhere Produktion von T-Zellen bescheinigen, während die mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna für einen höheren Wert von Antikörpern sorgen. (Michael Vosatka, 23.11.2021)