Schmetterlinge gelten als Sinnbild für die Sensibilität von Ökosystemen. Leben und Fortpflanzung der Tiere sind nicht nur an bestimmte Landschaftstypen, sondern in vielen Fällen an das Vorkommen einzelner Pflanzenarten gebunden. Ihre komplexe Metamorphose, die mit Ei, Raupe, Puppe und Falter vier Stadien durchläuft, wurde selbst zur Metapher für überraschende Verwandlungsprozesse – etwa wenn Schönes plötzlich aus Unscheinbarem entsteht.

Doch Schmetterlinge sind selbst ein Gradmesser für die Verwandlung ganzer Ökosysteme. Das ist eine der Eigenschaften, die sie für Maria Hubinger interessant machen. In ihren großformatigen Darstellungen porträtiert die Künstlerin die Pracht jener Tiere, die vielen Menschen verborgen bleiben – Nachtfalter. Gemeinsam mit dem Landschaftsökologen Thomas Zuna-Kratky identifiziert sie Spezies, die im Kamptal in Niederösterreich heimisch sind oder waren, um sie mithilfe von Gouache-Farben in all ihren Details sichtbar zu machen.

Lokale Insektenwelt

Foto: Herbert Schwingenschlögl

Zwei Nachtfalter aus dem Kamptal in Niederösterreich, von der Künstlerin Maria Hubinger detailreich porträtiert.

Foto: Herbert Schwingenschlögl

Die Schönheit der fragilen Nachtschwärmer bleibt den Menschen oft verborgen. Ihre Verbreitung kann als Gradmesser für die Biodiversität und den ökologischen Zustand einer Landschaft dienen.

In Hubingers Projekt "Witness to Change" werden die übergroß präsentierten Insekten in drei Kategorien dargestellt: Unter "Lost" finden sich jene, die im Kamptal ausschließlich historisch nachgewiesen wurden, unter "Survivor" jene, die hier nach wie vor anzutreffen sind, und unter "Newcomer" Neuzugänge in der lokalen Insektenwelt. Schönheit, Fragilität und Flüchtigkeit der von den Menschen oft nur als lästig wahrgenommenen Schwärmer werden in den Arbeiten spürbar.

Einige der Arbeiten Hubingers sind Teil der Ausstellung "Kairos. Recall of Earth", die – nach der Winterpause – noch bis 21. Jänner im Innovation Lab der Universität für angewandte Kunst in der Postsparkasse in Wien zu sehen ist. Die Exponate kreisen thematisch um das Verhältnis von Mensch und Naturereignissen, wobei der anthropogene Einfluss – natürlich vor allem auf das Erdklima – einerseits sowie die Spielarten menschlicher Wahrnehmung der Natur andererseits wichtige Betrachtungsebenen der Schau sind.

Zeit zu handeln

"Der Titel 'Kairos' bezieht sich auf die Klimakrise und deren politische Konsequenzen. Neugriechisch bedeutet das Wort 'Wetter'. In der Philosophie der Antike bezeichnete der Begriff aber auch den 'richtigen Zeitpunkt'", erklärt die Kuratorin der Ausstellung, Sophia Panteliadou. Diese Mehrschichtigkeit, die sich in der ganzen Ausstellung widerspiegelt, mündet unweigerlich in der Frage, wann angesichts der Klimakatastrophe nun der richtige Moment zum Handeln gekommen ist.

Die Ausstellung steht im Kontext einer Entwicklung, die in der Gegenwartskunst immer öfter Berührungspunkte mit naturwissenschaftlichen Themen findet. Die existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel mag einer der Gründe für die Annäherung sein, ein anderer liegt in den Limitierungen der Naturwissenschaften selbst, die ihre Erkenntnisse in einem Dickicht aus Theorien, Daten und mathematischen Abstraktionen verbergen.

Dem gegenüber steht ein neues Bemühen der Kunst, durch die Einbindung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in ihre Beziehungsgeflechte diese auf neue Art zugänglich zu machen. Die Überführung in eine sinnliche Dimension soll neue Erkenntnisse möglich machen, die die Datenberge allein nicht leisten.

Philosophischer Blick

Auch die Werke, die Panteliadou versammelt hat, zehren von diesem Gedanken. "Ich möchte mit der Ausstellung einen philosophischen Blick ermöglichen und erfahrbar machen, was nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist", sagt die Kuratorin. "Gleichzeitig soll hinterfragt werden, wie unsere Wahrnehmungen zu den Phänomenen der Natur entstehen." Der Begriff Klimawandel ist dabei in seinen Auswirkungen auf das "Verhältnis zwischen den Menschen und ihren materiellen und sozialen Konditionen" weit gefasst.

Die interdisziplinäre Herangehensweise bildet sich bereits im Kooperationspartner der Ausstellung, der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Zamg), einer Forschungseinrichtung des Wissenschaftsministeriums, ab. Meteorologe Rainer Kaltenberger hat die Kunstschaffenden bei der Entwicklung ihrer Arbeiten beraten und ihnen eine naturwissenschaftliche Perspektive zur Verfügung gestellt.

Die Kooperation startete bereits 2018, als sich in einem Vorprojekt Studierende der Klasse für digitale Kunst der Wiener Universität für angewandte Kunst mit dem Klimawandel beschäftigten – eine Auseinandersetzung, die bereits zu Exponaten bei der Biennale in Venedig oder einer Vorgänger-Ausstellung von "Kairos" in Thessaloniki führten.

Neue Wolkenformen

Künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema Erderwärmung: Josefina Nelimarkka nutzt Atmosphärendaten in der Installation "Cloud Momentum".
Foto: Josefina Nelimarkka

"Wir haben oft über die Wahrnehmung von Wetterphänomenen gesprochen, beispielsweise dass Gewitter sowohl Angst auslösen als auch – im Fall der Stormchaser, die den Unwettern förmlich nachjagen – Faszination", sagt Kaltenberger. Auf der einen Seite ist Wetter für jeden Menschen auch ein sinnliches Ereignis, das – wie der Geruch von Regen – vielfältige Assoziationen abruft. Auf der anderen Seite ist diese Wahrnehmungsebene noch selten Thema von Reflexion, weder in Wissenschaft noch in Kunst.

Doch die Verflechtung zwischen Kunst und Naturwissenschaft geht noch weiter. Eines der Exponate, die in der aktuellen "Kairos"-Ausstellung zu sehen sind, gründet etwa auf realen Umweltdaten der Zamg: Die finnische Künstlerin Josefina Nelimarkka nutzt für ihr Werk "Cloud Momentum" einen Datensatz zu Aerosolkonzentrationen in der Atmosphäre, die im Sonnblick-Observatorium auf über 3100 Metern Seehöhe erhoben wurden.

Ein interaktives System variiert in der Installation auf Basis dieser Daten Licht und Farbe zu immer neuen Wolkenformen – eine Arbeit, die das "Verhältnis von unsichtbaren und sichtbaren Elementen der Wolkenbildung zum Vorschein bringt", wie Panteliadou hervorhebt.

Festung Europa

Klimawandelflüchtlinge treffen auf ein unerbittliches "robotisches" Grenzregime am Mittelmeer in Ruth Schnells Arbeit "Risiko".
Foto: Thomas Hochwallner

Einen gesellschaftspolitischen Fokus birgt die Installation "Risiko" der Künstlerin Ruth Schnell: Ein Roboter folgt hier automatisch einer auf dem Boden aufgezeichneten Umrisslinie des Mittelmeers. Ein in das Gerät integrierter 3D-Drucker produziert dabei unentwegt kleine Kunststoffelemente, die als Bausteine einer "Festung Europa" rund um die Meereskarte platziert werden.

Die automatisierte Technik wird hier als Sinnbild eines unerbittlichen Grenzregimes dargestellt. Während der Klimawandel Flüchtlinge über das Meer treibt, baut Europa an einer strikt regelorientierten Abwehrmaschinerie, die jenseits von menschlichen Regungen agiert. "Der Roboter folgt zielsicher seiner Programmierung – unbeeindruckt von Umständen oder aktuellen Problemen", schreibt die Künstlerin in einer Erläuterung.

Maria Hubinger, die sich in den beschriebenen Falterabbildungen mit der lokalen Biodiversität auseinandersetzt, stellt ihren Falterdarstellungen in der Serie "Abstracts" intuitiv geordnete Proben der jeweils verwendeten Farben gegenüber. Es entsteht eine Art Farb-Fußabdruck der Spezies, analog zum genetischen Fußabdruck, der bei der wissenschaftlichen Methode des DNA-Barcodings entstehen würde. Dieser Farb-Barcode versinnbildlicht als mehrdeutiges Bezugssystem etwa die Verwandlungen der Natur und "die allem Existierenden innewohnende Flüchtigkeit", wie die Künstlerin darlegt.

Künstlerische Forschung

Die Frage, welche Rolle Kunst in der Klimawandeldebatte spielen kann, war auch in einem Symposium, das die Ausstellung begleitet, Thema. "Kunst muss sich nicht an die strengen Regeln der wissenschaftlichen Methodik halten und kann daher zu Schlüssen kommen, die dem Wissenschafter vorerst nicht zugänglich sind", sagt Thomas Zuna-Kratky, der mit Hubinger an "Witness of Change" arbeitet.

"Künstler schaffen eine Schnittstelle, die es den Menschen möglich macht, sich mit einem wissenschaftlichen Thema zu emanzipieren", sagt die Installations- und Medienkünstlerin Patricia J. Reis. Zum Teil wird gefordert, dass Kunst stärker aus ihrer Sphäre ausbrechen, radikaler werden muss, um mehr Menschen zu erreichen.

Eine der theoretischen Grundlagen zur Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst, die in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt wurde und die auf eine große Bandbreite an Themen angewendet wird, ist der Ansatz der künstlerischen Forschung. Eine entsprechende Wissenschaftstheorie beschreibt künstlerische Prozesse und einhergehende sinnliche Erfahrungen, die – vergleichbar zu den Methodiken der Wissenschaften – neue Erkenntnisse hervorbringen können.

Ernst Logar reflektiert über eine "Petrokultur", die die Menschheit prägt und aus der sie nur schwer entrinnen kann.
Foto: Ernst Logar

Oft werden partizipative, experimentelle Settings geschaffen, die diese Erfahrungen zulassen und individuelle Anknüpfungspunkte schaffen können. Im Rahmen des Peek-Programms zur "Entwicklung und Erschließung der Künste" des Forschungsfonds FWF wird diese innovative "Arts-based Research" unterstützt.

Der Künstler Ernst Logar hat sich in seinem Peek-Projekt etwa ein Thema erkoren, das den Klimawandel – und die Schwierigkeit, diesen zu bremsen – auf überraschende Art thematisiert. In "Reflecting Oil" fokussiert er auf die Bedeutung von Erdöl für den Menschen – für ihn eine Substanz, die die Identität des Menschen heute wesentlich mitbestimmt.

Die Nutzung der fossilen Ressource birgt eine ungeheure Ambivalenz: Auf der einen Seite durchdringt sie den Alltag der Menschen bis in die letzten Verästelungen, als Kunststoff, Energieträger und Substanz, die Mobilität ermöglicht. Auf der anderen Seite stellt sie als wesentlicher Klimawandeltreiber die Existenz der Menschen als Spezies langfristig infrage.

Sinnstiftende Symbiose

Im Projekt kooperiert Logar mit den technischen Wissenschaftern der Montanuniversität Leoben. Die von Erdöl geprägte Kultur – Logar spricht von "Petrokultur" – soll interdisziplinär betrachtet werden. "Rohöl ist für den Großteil der Menschen etwas Abstraktes, und im Projekt möchten wir diese Substanz – die optische Erscheinung, den Geruch, die Haptik, auch die Toxizität – zugänglich und erfahrbar machen", gibt Logar ein Beispiel.

Erdöl wird anderen Flüssigkeiten, die für Menschen Bedeutung haben, etwa Milch oder Honig, in Experimenten gegenübergestellt. Auch hier soll eine Ausstellung die entstandenen künstlerischen Arbeiten präsentieren. Zudem sollen Inhalte auch die technisch ausgerichtete Lehre der Montanuniversität Leoben um kulturelle Aspekte ergänzen. Das Projekt ist ein weiterer Datenpunkt, der belegt, dass die oft separat gedachten Felder von Wissenschaft und Kunst sinnstiftend zusammenfinden können.

Letztendlich muss jeder Künstler, jeder Wissenschafter eine individuelle Vorstellung davon entwickeln, ob und wie ihre Sphären ineinandergreifen können. Maria Hubinger, die durchaus einen Boom von Projekten am Schnittpunkt von Wissenschaft und Kunst sieht, sagt zu ihrem Ansatz: "Für mich ist es sehr wichtig, dass dieses wissenschaftliche Wissen vorhanden ist. Aber Fakten allein gehen mir nicht nahe. Ich brauche einen emotionalen und sinnlichen Zugang." (Alois Pumhösel, 3.1.2022)