Der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wurde im August nicht rechtskräftig wegen Korruption verurteilt. Nun steht jener Mann vor Gericht, der Strache mit dem Ibiza-Video zu Fall gebracht hat.

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Vergangenheitsbewältigung in puncto Ibiza-Video fand am Dienstag in zweifacher Form statt: Julian H., der das Video laut eigenen Angaben geplant hatte, musste sich vor Gericht wegen Drogenhandels verteidigen. Und Heinz-Christian Strache, der von ihm gestürzte Vizekanzler, versandte erste Leseproben seiner Memoiren. Die beschäftigen sich großteils mit dem Ibiza-Attentat, wie es Strache nennt. "Vergebung ist ein Geschenk, das ich mir nun selbst mache, auch und gerade mit der Aufarbeitung und mit diesem Buch", schreibt er im Vorwort.

Immer wieder lässt Strache anklingen, dass sein enger politischer Vertrauter Johann Gudenus ihn bewusst in eine Falle gelockt haben könnte – was dieser vehement bestreitet. Er habe Gudenus vertraut und daher dem Treffen mit der Oligarchin zugestimmt, schreibt Strache. Und die Aussagen, die er dort traf? Strache hält es weiterhin für wahrscheinlich, dass ihm ein "Drogenliquid" verabreicht wurde.

Strache "muss weg"

Für Strache ist bis heute ungeklärt, wer tatsächlich hinter dem Ibiza-Video steckt. Die allgemeine Stimmungslage sei gewesen, dass Strache "weg müsse" – das habe angeblich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu Journalisten gesagt, behauptet der ehemalige FPÖ-Chef. Sogar dem flüchtigen einstigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek traut Strache eine Mittäterschaft zu. Denn auch der sei ihm von Gudenus vorgestellt worden, genau wie die falsche russische Oligarchennichte.

Zweifelsohne beteiligt war Julian H., der am Dienstag erneut als Angeklagter am Bezirksgericht St. Pölten erscheinen musste. Mit dem Ibiza-Video hat der Prozess aber nur indirekt zu tun. Vielmehr geht es um Drogendelikte, die im Rahmen der Ermittlungen zum Video aufgekommen sind. Die Entstehungsgeschichte der Anklage wirft viele Fragen auf, zuletzt protestierten zahlreiche NGOs gegen eine "Kriminalisierung" des Ibiza-"Whistleblowers".

Unzufrieden

Am Dienstag zeigte sich auch der Vorsitzende des Schöffensenats mit dem Ermittlungsakt unzufrieden. Er ärgerte sich wiederholt darüber, dass dieser nicht vollständig sei. Wieder fehlten relevante Informationen, wie so oft bei dieser Gerichtsverhandlung.

Auch am dritten Prozesstag geht es um die Frage, ob H. insgesamt 1,25 Kilogramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 70 Prozent verkauft hat. Das wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Den Vorsitzenden ärgert, dass die Ermittler einerseits nicht alle Einvernahmen in den Akt genommen hätten. Andererseits zitiert H.s Verteidigung mehrfach aus dem Akt einer anderen Nebenverhandlung, weswegen sich die konkreten Inhalte auf anderen Seiten finden oder gar nicht im Hauptakt vorhanden sind – sehr zum Ärger des Vorsitzenden.

Die Suche nach der Wahrheit gestaltet sich aber auch aufgrund der geladenen Personen im Zeugenstand verzwickt. Einig sind die beiden sich darin, dass Julian H. dem verurteilten Drogendealer K. im Beisein seiner Geliebten über mehrere Treffen hinweg Suchtmittel verkauft habe. K., der als Mittelsmann der Polizei gearbeitet hat, hatte die Droge gemeinsam mit ihr selbst konsumiert und weiterverkauft. Die beiden stellen das am Dienstag wieder fest – doch bei den Details beginnt es zu bröckeln.

Viele Widersprüche

Über genaue Mengen will die Frau diesmal nicht reden, weil sie das "auseinanderbringt", wie eine Dolmetscherin übersetzt. Sie hatte erstmals 2019 ausgesagt. Seitdem ändern sich die Einzelheiten laufend. Der Vorsitzende beschrieb die Reaktionen der Frau auf Widersprüche so: "Die Nachfrage brachte nichts Erleuchtendes und produzierte nur mehr Widersprüche." Woran das liege, würde der Schöffensenat "zu reflektieren haben". Auch die Befragung des zweiten Zeugen an diesem Tag, des Dealers K., ist nicht konsistent.

Warum habe er Ibiza-Video-Hersteller H. erst belastet, nachdem er selbst verurteilt worden war? Das erklärt K. zunächst damit, dass zuvor seine Mutter bedroht worden sei. Und was sagt er dazu, dass er falsche Informationen verbreitete, etwa über die Identität der Ibiza-Oligarchennichte? K. will sich nicht erinnern, einem anderen Zeugen einen Ausweis einer unbeteiligten Frau gegeben zu haben, den er von seiner ehemaligen Geliebten bekommen hatte – und die Frau auf diesem Ausweis als Ibiza-Oligarchin bezeichnet zu haben. Das sagten aber mehreren Personen aus. Die Zeugin hatte zuvor bestätigt, ihm den Ausweis der unbeteiligten Frau gegeben zu haben. Sie wirft ihm vor, bewusst falsche Informationen verkauft zu haben: "K. wollte an der Situation etwas verdienen." Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt. (Muzayen Al-Youssef, Fabian Schmid, 23.11.2021)