Das triste Grau ist an diesem Morgen besonders gut in Form. Es schluckt jede andere Farbe. Lediglich ein oranges Wägelchen der MA 48 hält ein bisschen dagegen, während es mit runden Bürsten welkes Laub in seinen Bauch kehrt. Der Donaukanal schiebt sein Wasser ruhig vor sich hin. Dem vorbeischwimmenden Schwanenpärchen scheint die graue Suppe einerlei zu sein.

Auf dem Foto ist das Ehepaar gemeinsam am Herd zu sehen.
Foto: Katharina Gossow

Die vielen Fenster am Kanal finden nicht einen Sonnenstrahl, der sich in ihnen spiegeln könnte. Die Sonne, die Audrey und Nuriel Molcho im Gepäck haben, wird sich wohl ebenfalls schnell verziehen. Die beiden kommen gerade von einem Fotojob auf den Malediven zurück. Betritt der Besucher ihre Wohnung, stolpert er mitten in ihre Küche. Einen Vorraum sucht man vergebens. Wozu auch.

Die in dunklem Grün gehaltene Küche ist im Prinzip nicht nur Kochstätte, sondern Lebensraum, Bar, Esszimmer und Schauraum. Wenn, wie es heißt, die Party immer in der Küche endet, dann beginnt sie bei Molchos auch hier. Leider nicht an einem Montagmorgen.

Gemeinsames Nest

Das Schlafzimmer von Audrey und Nuriel Molcho, das ordentlich Exotik an den Wiener Donaukanal bringt.
Foto: Katharina Gossow

Doch nicht nur ihre Küche mit all den Bildern und ihrer durstmachenden Hausbar ist ein Raum zum Schauen. Das gilt für so gut wie jeden Winkel der insgesamt 130 Quadratmeter, auf denen Nuriel Molcho seit 13 Jahren und seit acht Jahren gemeinsam mit seiner Frau Audrey wohnt. "Eigentlich haben wir uns seinerzeit überlegt, etwas Neues zu suchen. Nicht, weil uns die Bachelor-Bude von Nuriel nicht gefallen hat, sondern, weil es ein gemeinsames neues Nest werden sollte", erzählt Audrey Molcho. "Doch dann haben wir alles Geld, das wir zur Hochzeit geschenkt bekamen, in die Wohnung gesteckt, Zimmer verwandelt und uns im Schlafzimmer sogar Stuck einbauen lassen", erzählt Nuriel.

Audrey und Nuriel Molcho, die unter anderem für das familieneigene Gastro-Unternehmen namens "Neni Holding" arbeiten und auch als Hutdesigner, Projektmanager, Fotografen und in Influencer-Dingen aktiv sind, schufen ein Schmuckkästchen, in dem es sich gut leben lässt. Und eben schauen.

Zu sehen und abzustauben gibt es auch in der Küche der beiden eine ganze Menge.
Foto: Katharina Gossow

Wie wäre es zum Beispiel mit einem roten Erdmännchen aus Kunststoff, das in einer Ecke des Wohnzimmers Ausschau hält? Oder mit afrikanischen Masken, diversen Vasen, einer kleinen Robbenskulptur der Inuit oder einem alten Friseurstuhl, der als Sessel vor einem schweren, alten Schreibtisch aus Metall steht?

Vergessen könnte man angesichts der Vielzahl an Nippes und Preziosen so manches, wohl aber kaum das Foto von Audreys Großmutter Barbara Perry an der Wand. Diese arbeitete als Tänzerin von Hollywood bis zum Broadway mit Stars wie Dean Martin oder Frank Sinatra.

Der allererste Goofy

Unvergesslich auch die Farbstifte, die samt einer Brille ein kleines Ensemble hinter einem Glasrahmen bilden. Die stammen von Audreys Großvater Art Babbitt, der sein Geld als Zeichentrickmaler verdiente. "Er war unter anderem der Erfinder von Goofy, hat sich später aber mit seinem Boss Walt Disney überworfen", erzählt die Enkelin nicht ohne Stolz. Das sind mal Geschichten, denkt sich der Besucher und beäugt ehrfurchtsvoll die Stifte an der Wand, wobei er sich fragt, ob sie es waren, die den allerersten Goofy aufs Papier brachten.

Die Küche ist der zentrale Lebensraum der Wohnung, die insgesamt 130 Quadratmeter misst.
Foto: Katharina Gossow

Natürlich dürfen auch Fotos von Nuriels Vater, dem bekannten Pantomimen Samy Molcho, nicht fehlen. Und Kunst. Viel Kunst. "Ich habe bereits als Student in London begonnen, Kunst zu sammeln. Ich kaufte zum Beispiel Prints von Street-Art-Künstlern um 100 Pfund, die noch immer in unserer Wohnung zu finden sind", erzählt Nuriel, der auch schon in den Neni-Restaurants Künstler ausstellte.

Fast gleichzeitig kommen den beiden die drei Worte "Wir sind Sammler" über die Lippen. Sie sind, fast möchte man es ahnen, verrückt nach Flohmärkten in aller Welt. Wobei sie Wert darauf legen, dass sie nicht wahllos zuschlagen, sondern durchaus überlegen, warum das eine oder andere Stück Einlass in ihr Zuhause gewährt bekommt.

Üppige Palmenlandschaft

Biegt man vom Wohnzimmer rechts ab, landet man im Schlafzimmer, das völlig anders wirkt als die anderen Räume. Hier thront ein großes, mit grünem Samt bezogenes Doppelbett, wobei der Begriff Bettstatt besser gewählt wäre. Das Stück aus dem Hause Wittmann stammt wie das dazu passende Sofa aus der Feder des spanischen Stardesigners Jaime Hayon.

Die in dunklem Grün gehaltene Küche ist im Prinzip nicht nur Kochstätte, sondern Lebensraum, Bar, Esszimmer und Schauraum.
Foto: Katharina Gossow

Die Wand hinter dem Bett, vor dem ein roter Teppich liegt, ziert eine Tapete der Firma Ananbo, sie zeigt eine üppige Palmenlandschaft. "Das ist mein Sintra-Garten", sagt Audrey Molcho und klärt auf, dass es sich dabei um einen Ort in Portugal handelt, der vor allem für seine alten Paläste bekannt ist. Eine echte Palme ist hier ebenso zu finden, und auch in Form von bronzenen Wand-Lampenschirmen taucht dieses Gewächs auf.

Ganz anders, viel reduzierter, fast im Industrie-Chic zeigen sich die Nachttischleuchten aus Kopenhagen, in die sich Audrey Molcho verliebt hat. Und keine Sorge: Auch hier gibt es allerlei kleine Objekte zu begutachten, und noch ehe die Frage nach der Abstaubfrequenz gestellt wird, erwähnt der 37-jährige Nuriel Molcho, dass ihre Putzfrau eine ganz liebe sei. Gut so, denn hier hat sie einiges zu tun, auch die Sammlung an Brillen, Zigarrenkisten und Uhren zeigt sich ohne Staubkörnchen.

Modell einer Kuh

Im Wohnzimmer begegnet man neben Kunst, Skulpturen, Büchern und vielem mehr.
Foto: Katharina Gossow

Dabei geht es den beiden nicht ums Anhäufen von Dingen. "Nuriel", so Audrey Molcho, "ist nicht nur Sammler, sondern auch ein totaler Researcher. Wenn er beginnt, sich für etwas zu interessieren, will er alles darüber wissen."

Tapst man weiter durch die Wohnung, fällt auf, dass in jedem Zimmer dieselbe Musik zu hören ist, die aus einem gut vernetzten System von Lautsprechern tönt. An diesem Morgen klingt es nach Ella Fitzgerald.

Wohnküche, Schlafzimmer und Wohnzimmer der Molchos sind mehr oder weniger gleich große Räume. Sie wirken schachtelig, aber großzügig und verleihen der charmanten Bleibe trotz der Wände durchaus Loft-Charakter. An die drei Räume hängen sich hofseitig zwei weitere Räume an, die von der Größe her einem klassischen Kabinett entsprechen.

Obwohl es sich in der Wohnung der Molchos wunderbar wohnen und leben lässt, träumen die beiden davon, eines Tages auf einem Bauernhof im Waldviertel daheim zu sein.
Foto: Katharina Gossow

Ersterer ist die Garderobe des Paares, in der man jede Menge Lederjacken, Schuhe, Hüte und anderes Gewand auf Stangen zu Gesicht bekommt. Und das gar nicht kleine Modell einer Kuh, die aus der Veterinärschule in Amsterdam stammt und sich in allerlei Einzelteile zerlegen lässt. "Ich bin ein Kuhfan", sagt die 32-jährige Audrey Molcho lachend und führt in den hintersten Raum der Wohnung, ein großzügiges, weiß gefliestes Bad mit freistehender Badewanne, in dem es sich nicht nur zum Zähneputzen und Duschen aushalten lässt.

Viele bunte Geschichten

Wieder am zentralen, quadratischen und sehr hohen Küchentisch gelandet, möchte man von den zwei Gastgebern wissen, was es denn mit all den unzähligen Dingen auf sich hat. "Hier spiegelt sich unsere Welt wider, von der wir immer wieder ein Stückchen mehr mitbringen", sagt Nuriel, einer von vier Molcho-Brüdern.

Bilder der Großmutter von Audrey Molcho, die eine berühmte Tänzerin war.
Foto: Katharina Gossow

Das Ehepaar sieht in all ihren Objekten Erinnerungen und Erlebnisse festgehalten und dadurch auch ihren eigenen Charakter widergespiegelt. "Wir sind Teil ihrer Geschichte, und ihre Geschichte wird ein Teil von unserer. Man kann den Dingen so viele Fragen stellen und so ihren Geschichten 'lauschen'. Wo stammt das Objekt her? Wem hat es gehört? Wie kam es überhaupt zu ihm?", so Audrey Molcho.

Nostalgisch zu sein empfinden die beiden nicht als ein Verharren in der Vergangenheit. Sie sehen in diesem Zugang eine Wertschätzung von Geschichte und Langlebigkeit.

Ob sie trotz ihres fein gediehenen Nestchens einen Wohntraum hegen, den sie sich eines Tages erfüllen wollen? "Oh ja, ein Traum von uns wäre eine Farm in Portugal. Wir lieben Portugal", schwärmt Audrey Molcho. "Realistisch betrachtet wird es wohl eher ein Bauernhaus im Waldviertel. Allein schon wegen der Familie, die uns sehr wichtig ist. Wichtiger als die Sonne Portugals", schiebt Nuriel Molcho nach.

Wieder auf die Straße ausgespuckt, wirkt das Grau des Himmels nicht mehr ganz so trist. Das könnte durchaus an den vielen bunten Geschichten liegen, die man während des Besuchs beim Ehepaar Molcho sehen und ein Stück weit spüren durfte. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 20.12.2021)

Audrey und Nuriel Molcho sind emsig unterwegs. Da gibt es die Arbeit in Sachen Marketing und Projektmanagement im familieneigenen Gastro-Unternehmen der "Neni Holding", ihren Job als Hutdesigner, als Fotografen, aber auch die Beschäftigung mit Influencer-Dingen etc.
Foto: Katharina Gossow
Die Brille und Stifte ihres Großvaters, der die Zeichentrickfigur Goofy erfand.
Foto: Katharina Gossow