"Arkadia I", 1996
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York

"Ich benutze meine Kamera nicht, um ständig Begegnungen festzuhalten. Oft kostet es Überwindung zu sagen, ‚so, jetzt fotografiere ich das auch‘. Ich lebe mein Leben und schaue mit meinen Augen auf die Welt. Zum Abdrücken gehört ein gewisser Leidensdruck, der mir sagt: ‚Ich muss jetzt das oder jenes ablichten und inszenieren oder nachstellen oder jemanden fragen, falls ich reportagemäßig arbeite.‘

Mit der Kamera bin ich eher scheu, also nicht unbedingt offensiv. Ich wünschte mir manchmal, dass ich etwas forscher wäre. Aber dann wären das auch nicht mehr meine Bilder, wie es ein Freund von mir einmal formulierte. Man begegnet sich als Fotograf gewissermaßen auch selbst, denn es geht um Entscheidungen, die man fällt. Und um einen gewissen Glauben an die Wichtigkeit vom eigenen Tun. Man könnte das auch Mitteilungsbedürfnis nennen.

Überwindung

Sie sehen, es verhält sich nicht so, dass ich meine Begegnungen leichtfertig mitnehmen kann. Noch einmal: Jedes Bild ist in gewisser Weise auch eine Überwindung. Weiters geht es um die Frage, ob davon überhaupt ein Bild gemacht werden muss. Was der eigentliche Grund ist, etwas in ein Bild umzuwandeln? Ich begegne ja hunderten Dingen täglich, und es kann ja nicht sein, dass ich alles ständig über Bilder verhandle.

"bread on marble", 2021
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York

Nehmen wir das Foto von den beiden Brotscheiben her, (siehe Bild) die einander begegnen. Ich habe sicherlich schon hunderte Male in den vergangenen Jahrzehnten über die Natur, die Haptik und die Plastik von Brotscheiben nachgedacht. In diesem Jahr habe ich dann dieses Bild gemacht. Ein Bild wird für mich möglich, nachdem ich Dingen immer wieder begegnet bin.

Vagabundierende Wahrnehmungen

Die Initialzündung für ein Foto besteht also auch aus der Beobachtung von etwas Wiederkehrendem, das auch zum Bild der Scheibenwischer führte (siehe Bild).

"New Family", 2001
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York

Scheibenwischer kenne ich ja bereits seit meinen Kindertagen. Man könnte das Ganze als vagabundierende Wahrnehmungen bezeichnen. Die letztendliche Spontanität beruht auf fortlaufenden, sich entwickelnden Gedankenprozessen. Man könnte im übertragenen Sinne sagen, dass der ‚Film‘ im Nachhinein belichtet wird. Aber eben auch schon lange vorher. Das eigentliche Bild, in dem sich diese Gedanken und Beobachtungen kristallisieren, wird in gewisser Weise zu einem Stellvertreter von Prozessen.

Nehmen wir noch mein Bild vom Smartphone (s. Bild). Ich habe mir über zehn Jahre Gedanken gemacht, welche Merkwürdigkeit, Brillanz und ‚Unverstehlichkeit‘ in so einem Ding steckt. Das zu fotografieren, also ein Smartphone zu fotografieren, war erst einmal eher eine Unmöglichkeit. Es wäre ja doch zu platt, das Ding einfach so abzulichten. Dann kam dieser Moment, als ich dieses Bild machte. Auf einmal war mir alles ganz transparent und glasklar vor Augen, und ich musste abdrücken. Es war eine Begegnung, ein Moment größtmöglicher Klarheit.

Ob ich es bereue, dieses oder jenes in meinem Leben nicht aufgenommen zu haben? Ja, garantiert. Aber es liegt in der Natur der Sache, nicht immer alles tun zu können und richtig zu machen. Und ich besitze die Fähigkeit, gewisse Dinge auch wieder zu vergessen." (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 3.12.2021)

"Lüneburg (self)", 2020
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"Habakkuk & Cherubim", 1996
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"Deer Hirsch", 1995
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"Oriana & Kayla, Pines", 2016
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"Heath Fuck tree, London", 2020
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"Kasper König’s bookshelf", 1995
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"between bridges", 1999
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"Atila", 2011
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York
"Osaka self portrait", 2015.
Foto: Wolfgang Tillmans/Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York