Lässt sich überraschenderweise "jetzt erst recht nicht" impfen: Andreas Arthur Spanring.

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Zu späterer Stunde trat am Dienstagabend der niederösterreichische Freiheitliche Andreas Arthur Spanring hinter das Rednerpult. Vor ihm stand ein "Nein zum Impfzwang"-Schild. Die Sondersitzung des Bundesrats, einberufen von der SPÖ, lief da schon seit ein paar Stunden. Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und sein Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) mussten zu Beginn jeweils mehr als 40 "dringliche" Fragen der Sozialdemokraten zum "Corona-Totalversagen der Bundesregierung" beantworten. In der darauffolgenden Debatte sollte Spanring dann äußerst tief in die blaue Rhetorikkiste greifen.

Als "ganz besonders schlimm" empfand der FPÖ-Bundesrat "den Herrn Doktor M.", wie er ihn nennt, also Wolfgang Mückstein. Ihn hält er für gefährlich. "Für Menschen, wie Sie es sind, wurde der Nürnberger Kodex geschrieben, denken Sie einmal darüber nach", sagte Spanring. Es folgte ein Raunen auf den Rängen der Länderkammer. Der Nürnberger Kodex, eine ethisch-medizinische Richtlinie, entstand im Zuge der Nürnberger Ärzteprozesse gegen Mediziner des NS-Regimes, die im August 1947 endeten. "Gegenstand der Anklage waren medizinische und pseudomedizinische Experimente, die an Häftlingen in den Konzentrationslagern ohne Rücksicht auf deren Gesundheit und Leben vorgenommen worden waren", heißt es dazu etwa in einem Programmtext der Medizinischen Universität Wien aus dem Jahr 2017 für ein Symposium anlässlich des 70-jährigen Gedenkens.

"Armbinde mit zwei überkreuzten Impfungen"

In seiner Rede sparte Spanring generell nicht mit Anspielungen auf die NS-Zeit. Er sei genesen und werde sich "jetzt erst recht nicht" impfen lassen. "Was passiert dann bei der Impfpflicht?", fragte der Bundesrat dann. "Schicken Sie mir dann die geheime Impfpolizei nach Hause? Kommen die dann mit einer Armbinde, wo zwei überkreuzte Impfungen drauf sind, zwei Spritzen? Treten mir die dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Tür ein und zerren mich aus dem Bett? Bringen die mich raus, und hauen sie mich nieder und drücken mir die Spritze rein, die ich nicht will? Passiert das? Ist das der Plan? Und rufen sie dann vielleicht zum Abschluss 'Impf Heil'?" In Richtung der SPÖ sagte Spanring: "Jetzt, wo es um etwas geht, was ist denn jetzt mit 'Wehret den Anfängen', wo sind die ganzen Rufer?"

Die blaue Szenerie ist an sich übertrieben. Grundsätzlich geht es in der Diskussion nicht um einen "Impfzwang" in Form eines körperlichen Zwangs, wie es die FPÖ insinuiert. Geplant sind vielmehr Verwaltungsstrafen, sollte sich jemand nicht an die Impfpflicht halten.

Der Stil Spanrings zieht sich durch seine gesamte Rede. Die Meinungsfreiheit werde Stück für Stück eingeschränkt, beklagte er: "Früher wurden die Bücher verbrannt, und heute wirst du auf Facebook und Youtube gebannt." Sei man für die Impfung, sei man intelligent, sei man dagegen, sei man ein Dummer und müsse zwangsbehandelt werden. "Wir gehen in eine Richtung der dunkelsten Zeiten unserer Geschichte", sagte Spanring.

Ein "Sickerwitz" und Parasiten

Der freiheitliche Bundesrat sprang auch FPÖ-Chef Herbert Kickl zur Seite. Dieser empfiehlt bekanntlich seit geraumer Zeit das Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin zur Behandlung von Covid-19. Das sei "medial verrissen" und Kickl als "Dümmling hingestellt" worden, ärgerte sich Spanring. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen warnte zwar bereits im März vor Ivermectin als Corona-Medikament. Mittlerweile tut das auch der Hersteller selbst. Aber das erzählte Spanring nicht und leitete in fragwürdiger Weise zur ÖVP über: "Ja, ich verstehe, dass es einige in der ÖVP gibt, die tatsächlich Angst haben vor der Verwendung von Ivermectin, denn es wirkt antiparasitär. Das ist ein Sickerwitz, der tut wochenlang weh."

Der Justizwachebeamte Spanring schoss sich auch auf Medien ein. Die Corona-Berichterstattung bezeichnete er als "manipulativ", "gekauft" und "krank", legte eine Gleichschaltung nahe und rückte Österreich deshalb anhand eines vorgetragenen Zitats in die Nähe einer Diktatur. Diese Medien würden manche auch Lügenpresse nennen, sagte Spanring: "Ich sage, zu Recht." Am Ende seiner Rede fügte er an: "Hören Sie auf, sich für Geld gegenüber den Regierenden zu prostituieren." Der ebenfalls niederösterreichische Freiheitliche Michael Bernard prophezeit der türkis-grünen Regierungsspitze gar "eine Aussicht zwischen schwedischen Gardinen, die haben Sie sich verdient".

Vorerst kein Ordnungsruf

Bei den Redebeiträgen von Kanzler Schallenberg und Gesundheitsminister Mückstein musste die FPÖ übrigens ihre hochgestreckten "Impfzwang"-Schilder jeweils nach einigen Minuten wieder wegräumen. Schallenberg bedankte sich dafür bei Bundesratspräsident Peter Raggl (ÖVP): "Es wäre eine sportliche Meisterleistung gewesen, wenn Sie jetzt zweieinhalb Stunden die Tafeln hochgehalten hätten."

Spanring erhielt für seine Statements keinen Ordnungsruf – zumindest vorerst. Einen solchen kann man auch nachträglich verteilen, sagt Raggl. Er verweist darauf, dass es in jener Sitzung einige davon gab, er werde sich das Video von Spanrings Rede nun aber noch einmal genauer ansehen. "Das muss man analysieren", sagt Raggl. Der ÖVP-Politiker geht davon aus, dass das Thema schon bei der nächsten Sitzung sowie im Präsidium des Bundesrats besprochen wird. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 24.11.2021)