Eine Arbeiterin in einer Fabrik für Beatmungsgeräte nahe Hanoi im August 2020.

Foto: AFP/Nhac Nguyen

Vietnam ist einer der wichtigsten Standort für Samsung, wenn es um die Fertigung seiner Geräte geht. Im Norden des Landes produziert der Smartphone-Marktführer seine Handys und Tablets, im Süden andere Haushaltselektronik. Zehntausende Arbeiter leben in einfachen und oft dicht belegten Wohngelegenheiten, die rund um die Industriezonen entstanden sind. Neben Samsung finden sich hier noch andere prominente Namen aus der Branche, darunter auch der taiwanische Apple-Zulieferer Foxconn. Ein guter Teil des Personals stammt aus den ruralen Regionen des Landes und sucht hier nach einem stabilen Einkommen.

Aber auch die Fertigungshubs blieben von der Corona-Pandemie nicht verschont. Monatelang hielt sich das pandemische Geschehen in Vietnam laut offiziellen Zahlen in sehr engem Rahmen, und das Geschäft brummte weiter. Ende Mai 2020 zogen die Covid-Fallzahlen jedoch massiv an, Infektionscluster formten sich in den Industriegebieten. Viele Tech-Konzerne, die ohnehin schon Schwierigkeiten mit ihren Lieferketten hatten, begannen nun drastische Maßnahmen zu ergreifen, um die Fertigung am Laufen zu halten, berichtet "Rest of World".

"Three on site"

Die gesundheitlichen Kontrollen wurden verschärft, Wohngelegenheiten ausgebaut, Löhne angehoben, und in manchen Fällen organisierten Firmen sogar Impfdosen. Der vietnamesischen Regierung war das aber nicht genug. Sie forderte die Firmen auf, einen Weg zu finden, die Arbeiter vom Rest der Bevölkerung zu isolieren, wenn sie ihre Produktion weiterführen wollten.

Samsung stellte sein Personal in der von der Industrie geprägten Provinz Bac Ninh vor die Wahl. Sie mussten entweder ohne Schichtzuteilungen daheim bleiben oder im Gegenzug für eine Zuzahlung in vom Unternehmen vorgeschriebene Quartiere ziehen. Der 23-jährige Nam (Name geändert) nahm dieses Angebot an und fand sich bald darauf im leeren Klassenzimmer einer nahe gelegenen Schule wieder. Der Raum hatte keine Betten, keine Ventilatoren oder eine Klimaanlage, und kaum jemand trug eine Maske. Nach tagelangen Beschwerden über die Hitze wurde die Gruppe in den Fertigungskomplex umgesiedelt. Gemeinsam mit etwa 100 anderen schlief Nam dort in einem Lager auf Matratzen.

"Three on site" nannte Samsung Display das Konzept, mit dem man die Vorgaben hinsichtlich der Pandemieeindämmung erfüllte und gleichzeitig die Herstellung von Displays an diesem Standort gewährleisten und Investoren zufriedenstellen konnte. Samsung Display wollte gegenüber "Rest of World" dazu keinen Kommentar abgeben.

Die Retter der Wirtschaft

Doch die Arbeiter zahlten einen hohen Preis für eine kleine Gehaltsaufstockung. Ihr Arbeitsplatz war nun auch der Ort, an dem sie aßen, schliefen und ihre Freizeit verbrachten. Inmitten des monotonen Alltags aus langen Dienststunden, wenig Schlaf und mangelnder Privatsphäre wurden ihre Handys zur einzigen Kontaktmöglichkeit nach außen.

Einige dokumentierten ihre Situation öffentlich auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Tiktok. Damit, so formuliert es der Lieferkettenexperte Julien Brun vom Beratungsunternehmen CEL aus Ho-Chi-Minh-Stadt, "retteten sie die vietnamesische Wirtschaft". Das Land gewann als Fertigungsstandort in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung, nicht zuletzt infolge des Handelskonflikts zwischen den USA und China.

Aber auch "Three on site" konnte einen Lockdown im Mai 2021 aufgrund der ansteckenderen Delta-Variante des Coronavirus nicht verhindern. Zehn Tage lang stand die Produktion vielerorts still, ehe die Unternehmen wieder ihr Isolationsregime umsetzten.

Diesmal war man besser vorbereitet. Bei Samsung Display verbesserte man die Infrastruktur vor Ort. Wasserleitungen wurden repariert, neue Duschen installiert, mehr Schlafplätze geschaffen. Manche Firmen setzten andere, allerdings aufwendigere und teurere Konzepte um und buchten ihre Mitarbeiter in die zahlreichen freien Zimmer von Hotels ein, von wo sie jeden Morgen per Busshuttle in die Arbeit gefahren wurden. Jene, die nun wieder in ihren Fabriken wohnten, dokumentierten weiter ihre Lage und bescherten der Außenwelt so Einblicke in den Alltag der Fertigung, den es sonst selten gibt.

"Freiwilligkeit" ohne echte Alternative

In den Folgemonaten begann die Lage sich wieder zu entspannen. Ende September lockerte das Handelsministerium die Auflagen. Infektionen in einer Fabrik hatten nun nicht mehr die temporäre Schließung der gesamten Anlage zur Folge. Neben der infizierten Person mussten aber auch deren enge Kontakte dafür in Quarantäne gehen. Mittlerweile ist in den Industrieprovinzen der Alltag weitgehend zurückgekehrt.

Wenngleich die Arbeiter die Wahl hatten, ob sie bei "Three on site" mitmachten, kann kaum von Freiwilligkeit gesprochen werden. Die Alternative wäre gewesen, den eigenen Arbeitsplatz zu riskieren, wenn das Unternehmen aufgrund starker Produktionsbeeinträchtigungen in Schwierigkeiten kommt. Daher akzeptierten viele resignierend die Verschärfungen und begaben sich in einen Sommer voller Mehrarbeit und Verzicht.

Und die nächste Herausforderung steht bereits vor der Tür. Die massenhafte Heimkehr vieler erschöpfter Arbeiter vom Land im Oktober und gestiegene Nachfrage sorgen für Personalknappheit, die bis Anfang 2022 andauern könnte. Während die Regierung dafür nach Lösungen sucht, bereiten sich die Menschen in den Fabriken auf lange Überstunden vor. (gpi, 24.11.2021)