Trafikantin Nadine wurde von ihrem Ex-Freund umgebracht, er hat sie angezündet. Schon zuvor hatte sie Angst, bei der Polizei war sie aber nicht.

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Sie hatte Angst. Wenige Tage bevor sie auf grausame Weise ermordet wurde, meldete sich die Trafikantin Nadine W. darum bei einem Privatdetektiv. Ihr Freund leide seit kurzem unter krankhafter Eifersucht, schrieb sie in ihrer Anfrage an Lukas Helmberger. "Sie wollte ihrem Partner etwas nachweisen, damit sie aus der Beziehung herauskommt", erinnert dieser sich an den ersten Kontakt.

Als er W. traf, sei Helmberger sehr schnell klar geworden, dass es ihn aber für eine ganz andere Aufgabe braucht: "Sie beschrieb, wie er sie kontrollierte und bedrohte. Es ging für mich ganz klar um ihren Schutz." Doch die Polizei wollte W. nicht rufen – aus Angst vor weiterer Eskalation und aus Sorge um den Ruf ihres Geschäfts. Sein Angebot, sofort einen Security vor die Tür zu stellen, erzählt Helmberger nun, wollte die Trafikantin noch überdenken. Man einigte sich darauf, noch am Abend einen Peilsender am Auto des Mannes anzubringen. Dazu kam es nicht mehr. Zwei Stunden später war Nadine W. tot, ihr Freund hatte sie angezündet.

Wie kann ein Femizid verhindert werden?

Die Frage kommt unweigerlich, nachdem wieder eine Frau getötet wurde. Nicht nur Angehörige stellen sie sich, auch Politikerinnen und Politiker, Medienvertreter und viele in der Bevölkerung: Hätte man diese Tat nicht verhindern können, verhindern müssen? Und wenn ja, wie?

Natürlich muss die erste Antwort immer zuerst beim Täter ansetzen. Ja, die Frau hätte nicht sterben müssen, wenn er nicht mit Gewalt geantwortet hätte. Ein Teil der Antwort ist aber auch: Der Kontakt mit den Behörden, die einschreiten können, hat offensichtlich nicht funktioniert. Dass das ein Problem ist, räumte diese Woche auch der Innenminister ein. Bei den Frauen, die dieses Jahr getötet wurden, habe es nur in einem Fall im Vorfeld Kontakt mit der Polizei gegeben, sagte Karl Nehammer (ÖVP). "Es kann und wird geholfen", sagte er fast flehentlich in die Kamera und rief dazu auf, 133 zu wählen.

Die Hürden auf dem Weg zur Polizei

Warum das dennoch häufig nicht getan wird, ist nicht einfach zu beantworten – auch weil es hierzulande dazu keine Forschung gibt. Es gibt zwar eine Studie dazu, wie Opfer von Männergewalt den Kontakt mit der Polizei erlebt haben. Warum dieser gar nicht erfolgte, wurde bislang aber nicht untersucht.

Um zu verstehen, wieso Frauen oft so lange Zeit benötigen, um aus der Gewaltbeziehung auszusteigen und die Behörden zu kontaktieren, müsse die Dynamik von Gewaltbeziehungen in den Blick genommen werden, sagt Angelika Wehinger, die beim Institut für Sozialdienste in Vorarlberg bei der Gewaltschutzstelle arbeitet. Das heiße: "Emotionale Abhängigkeit, Herabwürdigung, Isolierung, Zwang und Drohung." Ein Ausweg scheine unmöglich, der Selbstwert der Frauen werde meist vollkommen zerstört. "Manche Frauen trauen sich gar nicht mehr zu, eigenständig Entscheidungen zu treffen und das Leben alleine zu bewältigen. Schuld- und Schamgefühle, das Gefühl der Hilflosigkeit sowie die Angst, beim Umfeld auf Unglauben zu stoßen, hindern Frauen daran, die Polizei zu verständigen und die Gewalt öffentlich zu machen."

Auch dass durch das Einschreiten eine weitere Eskalation befürchtet wird, spiele eine Rolle. Und wenn es zu Ermittlungen komme, seien die Erfahrungen für viele Frauen ernüchternd: "Gerade wenn im Fall einer Anzeige das Strafverfahren etwa aus Beweisgründen eingestellt oder es zu Freisprüchen kommt, ist das für Gewaltopfer schwer zu verstehen", sagt Wehinger. Natürlich würden auch andere Frauen von solch negativen Erfahrungen Wind bekommen, das könne schon beeinflussen.

Probleme bei Ermittlungen

Welche Schieflagen es bei Ermittlungen gibt, hat Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien beschrieben. In einer Studie hat sie sich die Morde und Mordversuche an Frauen von 2018 bis 2019 angesehen. Dabei stellte sie unter anderem fest, dass in den Opferbefragungen zu sehr darauf gesetzt wird, dass die Frau schon alles Relevante erzählen wird. Haider empfiehlt hier ein strukturierteres Vorgehen mit einem Fragenkatalog, international gebe es Best-Practice-Beispiele.

In der Studie heißt es außerdem, dass sich die Ermittelnden "mit einem oberflächlichen Motiv bzw. einer oberflächlichen Erklärung des Täters zufriedenzugeben schienen. Offensichtlichen Hinweisen eines möglicherweise zugrundeliegenden frauenfeindlichen Motivs wurde nicht nachgegangen." Und wenn Frauen ihre Aussagen gegen die Männer zurückzogen, sei zu wenig geprüft worden, warum es dazu kam und ob möglicherweise Druck auf die Frauen ausgeübt wurde.

Wenn Frauen "abgeschasselt" werden

Gründe, warum einzelne Behördentreffen von betroffenen Frauen als negativ, beschämend oder schlicht nicht hilfreich wahrgenommen werden, gibt es viele. Breite mediale Aufmerksamkeit bekam im Sommer ein Polizeieinsatz, der eskalierte. Er fand bei einer Frau statt, die ihrem Mann die Wohnungsschlüssel weggenommen hatte – er sei betrunken und aggressiv, sagte sie zur Polizei, die kam, weil der Mann sie gerufen hatte. Einer der einschreitenden Beamten schrie die Frau an, unter anderem fiel der Satz: "Schauen Sie, ich hab schon Frauen mit Kindern eingesperrt, weil sie nicht aufgehört haben zu reden." All das ist auf einer Audiodatei zu hören, die dem STANDARD vorliegt.

Wenige Wochen nach dem Vorfall erhielt die Frau eine Strafforderung: 200 Euro sollte sie zahlen – wegen Beamtenbeleidigung und Lärmerregung. Nun, fast ein halbes Jahr später, liegt die Causa laut der Anwältin der Frau, Aleksandra Fux, bei der Staatsanwaltschaft – sie hatte Anzeige erstattet, unter anderem wegen Amtsmissbrauchs. Das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung bestätigt, dass das Verfahren weiter anhängig ist. Auch gegen die Strafe wurde Einspruch erhoben, das liege momentan bei der Bundespolizei, sagt Fux. Und die betroffene Frau? Die sei "glücklich geschieden", der Mann sei noch am Tag der Scheidung aus der Wohnung ausgezogen.

Dass Frauen von der Polizei "abgeschasselt" werden – so nennt Fux das –, erlebe sie als Scheidungsanwältin immer wieder. "Frauen berichten mir regelmäßig, dass sie nicht ernstgenommen werden, dass sie die Polizei anrufen und dann gesagt bekommen: ‚Gehen Sie doch vor Gericht'", sagt Fux. Meiste erwirke man dann eine einstweilige Verfügung, "doch das dauert, die Frauen bleiben bis dahin in einer gefährlichen Situation".

Natürlich liegt es auch nicht an den betroffenen Frauen alleine, Hilfe bei der Exekutive zu holen. Auch ihr Umfeld entscheidet sich aber mitunter dagegen. Besonders deutlich wurde das bei einem anderen Tötungsdelikt dieses Jahr: Als eine Woche vor der Tat der als "Bierwirt" bekannte Mann die Familie seiner langjährigen Partnerin sogar mit einer Waffe bedrohte, wählte man nicht den Notruf. Auch hier wurde eine Eskalation befürchtet – zu der kam es: Marija M. wurde erschossen. "Jeder hatte Angst, dass etwas passiert", sagte die Schwester des mutmaßlichen Täters, die auch die beste Freundin des Opfers war.

Wie das Innenministerium reagiert

Polizisten und Polizistinnen seien jedenfalls gut ausgebildet, sagte Innenminister Nehammer zum Auftakt der "16 Tage gegen Gewalt" am Dienstag. Erneut betonte er, dass man erst heuer die Zahl der speziell geschulten Präventionsbeamtinnen und -beamten von 500 auf 800 aufgestockt habe. Allein heuer wurden bereits 2.100 Annäherungs- und Betretungsverbote ausgesprochen, das sind um 1.400 mehr als im Jahr davor.

Eine Schulung für das Ersteinschreiten bei Fällen häuslicher Gewalt, so schrieb Nehammer in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfragte im September, hätten außerdem alle Exekutivbedienstete durchlaufen – auch jene drei, die in der Wohnung der Frau waren, die Angst vor ihrem Mann hatte und später eine Strafe kassierte. Diese hätten, so schreibt Nehammer weiter, eine Gefährdungsanalyse durchgeführt, beide Seiten "fair" angehört. Für ein Betretungsverbot "ergaben sich jedoch für die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes keine ausreichenden Anhaltspunkte".

DER STANDARD fragte beim Innenministerium an, warum die bekannten Maßnahmen zur Gewaltprävention nicht greifen, wenn es darum geht, die Bereitschaft, die Polizei zu rufen, zu erhöhen. Das Bundeskriminalamt, auf das das BMI in dieser Frage verweist, gibt an, man sei "bemüht, die Mitglieder der Gesellschaft über die verschiedenen zur Verfügung stehenden Kanäle zu erreichen". Darum werde es im Rahmen der "16 Tage gegen Gewalt" jeden Tag einen Beitrag auf Facebook zum Thema Gewalt geben. Außerdem gebe es Inserate und Fernsehspots zum Thema. Und: "Vonseiten der Exekutive wird jedem Hinweis nachgegangen", betont man.

Den Opferstatus abgeben

Den Schritt zur Polizei geschafft hat Jasmin Chalendi. Sie erschien im heurigen Frühling auf der Polizeiinspektion, um ihren Ex-Partner anzuzeigen, er habe sie Monate zuvor fast erwürgt, gab sie bei ihrer Aussage an. Von ihrem Gespräch im Wachzimmer existiert eine Audioaufnahme, sie habe das Verhalten der Beamten dokumentieren wollen, sagt sie heute.

Einer der ersten Sätze, die damals fielen: "Und warum kommen S' erst jetzt?" "Weil es schwierig ist, das zu verarbeiten", hört man sie sagen – sie weint. Wenig später hört man sie sagen: "Dass Ihr Kollege weggegangen ist und gelacht hat, das hat wirklich nicht geholfen." Von der Polizei heißt es, man könne dazu aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben. Wer sich bei einer Amtshandlung schlecht behandelt fühle, könne eine Maßnahmenbeschwerde einbringen.

Auf der Aufnahme ist auch zu hören, wie Chalendi den Beamten erzählt, dass sie in der Nacht der Übergriffs eigentlich schon den Notruf auf ihrem Handy getippt hatte – als ihr Ex versucht hatte, die Wohnungstür einzutreten. Doch sie habe sich nicht getraut, tatsächlich dort anzurufen. "Ich wollte nicht, dass im Haus eine Szene ist", sagt sie. "Ich dachte, was macht er dann noch Schlimmeres, wenn die Polizei wieder geht?"

Nun, Monate, nachdem sie sich doch an die Polizei gewandt hat, dauern die Ermittlungen noch an, berichtet Chalendi. Beschwerde wegen des Umgangs der Polizeibeamten mit ihr habe sie nicht eingereicht. "Ich habe diese Anzeige für mich gemacht, es war ein Abschluss für mich", sagt sie. Und: "Ich habe dem Staat alles gegeben, damit er dafür sorgt, dass das eine Person nicht wieder macht. Ich habe den Opferstatus abgegeben." (Lara Hagen, Gabriele Scherndl, 27.11.2021)