Kinder sollen im Grazer Mobilitätskonzept künftig mehr Teilnahme-Möglichkeiten erhalten.

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Graz – Mit ihrer Forderung "Ein Fahrrad für jedes Kind" ließ Judith Schwentner (Grüne) bei der Präsentation des neuen Regierungsprogramms der KPÖ-geführten Grazer Stadtregierung aufhorchen. Schwentner wird künftig als Vizebürgermeisterin in der steirischen Landeshauptstadt die Verkehrsagenden betreuen. Und dafür hat sie sich ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. So soll in der kommenden Legislaturperiode jedes Grazer Kind mobil werden, indem es ein Fahrrad besitzt. Die Forderung ist eines von insgesamt 21 Schwerpunktprojekten der KPÖ-Grünen-SPÖ-Koalition.

Details zu diesem Vorhaben finden sich im Koalitionspapier noch nicht. Grund genug, bei Schwentner selbst nachzufragen. "Wir wollen eine neue Mobilitätskultur etablieren", erklärt die Vizebürgermeisterin. Neben dem eigenen Fahrrad für jedes Kind soll auch die Infrastruktur in Graz dem Projekt Rechnung tragen. "Kinder sollen sich selbstständig im öffentlichen Raum mit ihren Fahrrädern bewegen", erklärt Schwentner. Um das möglich zu machen, bedürfe es einer grundlegenden Änderung der Infrastruktur, ist sie sich bewusst.

Radfahren ist Wunsch der Kinder

Eltern und Kinder würden momentan auf das Rad als Verkehrsmittel verzichten, weil es ihnen zu gefährlich sei. Das bestätigt auch Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ): "Wir müssen in den Städten Bedingungen schaffen, damit Kinder sicher Rad fahren können." Denn genau das sei der Wunsch der Kleinsten unserer Gesellschaft, sagt Gratzer. Doch Kinder müssten auf ihre gewünschte Form der Mobilität verzichten, weil Autos nach wie vor mehr Platz und Rechte eingeräumt würden.

In Graz will Vizebürgermeisterin Schwentner das Problem angehen, indem sie die Mobilitätspyramide umkehrt: "Ganz oben kommen Fußgänger, dann Radfahrer, dann öffentlicher Verkehr und erst zum Schluss der motorisierte Individualverkehr." Die Innenstadt sowie die Verbindungen zwischen den Unis seien die ersten Gebiete, in denen das umgesetzt werden soll.

Wie weit man in Österreich von gelebter Kindermobilität entfernt ist, zeigt ein internationaler Vergleich. Hierzulande nutzen nur sieben Prozent der Kinder ihr Fahrrad, um damit zur Schule zu fahren. In Holland sind es 50 Prozent. Das rührt nicht zuletzt daher, dass die Mobilitätsanliegen von Kindern etwa in Amsterdam ganz anders wahrgenommen werden, wie Verkehrsexperte Gratzer erklärt: "Dort gibt es zum Beispiel eine eigene Kinder-Radfahr-Bürgermeisterin. Kinder haben in Amsterdam eine eigene Stimme, wenn es um ihre Mobilität geht."

Radfahren als Unterrichtsfach

Auch in der benachbarten Schweiz, in Bern, wird kindgerechte Mobilität ernst genommen. So startet dort im Sommer dieses Jahres ein kostenloser Kinderradverleih, Radwege werden zusammen mit Kindern auf ihre Tauglichkeit geprüft und die Sicherheit in Begegnungszonen erhöht. In Österreich, so Gratzer, wäre schon ein großer Schritt erreicht, wenn Radfahren im Rahmen der schulischen Ausbildung einen höheren Stellenwert erhalten würde: "Ähnlich den Ski- oder Schwimmkursen sollte auch Radfahren zum Standard gehören."

Neben den Rahmenbedingungen bedarf es zur Realisierung der rot-grün-roten Forderung aber auch der Hardware in Form von Kinderrädern. Wer den Fahrradmarkt kennt, weiß, dass diese momentan ebenso Mangelware sind wie die Erwachsenenmodelle. In Graz denkt man daher ganz eigene Wege bei der Beschaffung an. Das nötige Budget zur Umsetzung sei jedenfalls vorhanden, versichert Schwentner. In welcher Höhe es sich bewegt, bleibt allerdings unklar. Schwentner schwebe allerdings nicht vor, für jedes Kind ein eigenes Neurad anzuschaffen, sondern im Sinne des Nachhaltigkeitsgedanken sollen vorhandene Ressourcen genutzt werden.

Räder reaktivieren

Konkret heißt das, man überlegt, sozialökonomische Betriebe in das Projekt miteinzubeziehen, die Kinderräder wieder auf Vordermann bringen, die derzeit in Kellern vor sich hinrosten. Denn grundsätzlich, so ist die Vizebürgermeisterin überzeugt, wären schon viele Kinderräder vorhanden, nur werden sie eben nicht genutzt. Auch VCÖ-Experte Gratzer kann der Idee einiges abgewinnen: "Das ist ein guter Gedanke, ältere Räder wieder in Schuss zu bringen. Denn die meisten Kinder haben ja tatsächlich ein Fahrrad daheim stehen."

Zudem ist angedacht, eigene Förderungen dafür zu schaffen. Diese könnten Anleihen bei bereits existierenden, wie der Lastenrad-Förderung, nehmen, sagt Schwentner.

Im kommenden Jahr, so kündigt die Vizebürgermeisterin an, werde man bereits erste konkrete Schritte zur Umsetzung der Schwerpunktprojekte setzen. Welche genau, blieb offen. Aber man wolle bei der Altersgruppe der etwa Zehnjährigen ansetzen, also jenen Schülerinnen und Schülern, die für die Fahrradprüfung infrage kommen. (Steffen Arora, 25.11.2021)