Stalaktiten und Stalagmiten geben Aufschluss über die Klimageschichte einer Region.
Foto: Haiwei Zhang

Während im heutigen Zentraleuropa vor etwa 5.300 Jahren Ötzi über die Berge zog, entstand tausende Kilometer weiter östlich eine beeindruckende Stadt: Liangzhu läge heute im Südosten Chinas und entwickelte schon damals eine komplexe Wasserversorgung mit Kanälen und Reservoirs, deren Ausmaß vor vier Jahren bekannt wurde. Eine der fortschrittlichsten Kulturen dieser Zeit also.

Ein Forschungsteam mit Innsbrucker Beteiligung berichtet nach der Analyse von Tropfsteinen nun im Fachblatt "Science Advances" über den Grund für den Untergang der Stadt, die auch als Chinas "Venedig der Steinzeit" bezeichnet wird: Klimaänderungen mit starken Monsunregen ließen die Hochkultur zugrunde gehen.

Die 160 Kilometer südwestlich von Schanghai gelegenen Ruinen von Liangzhu im Jangtse-Delta wurden erstmals 1936 entdeckt und ab den 1970er-Jahren systematisch ausgegraben. Dabei wurden unter anderem tausende kunstvoll gearbeitete Grabbeigaben aus Jade gefunden. Das Besondere an der Liangzhu-Kultur sind aber die immensen Wasserbauanlagen, die schon im späten Neolithikum, in der Jungsteinzeit, errichtet wurden.

Starke Schwankungen

Liangzhu liegt in einer Region mit starken Niederschlagsschwankungen, wo Überschwemmungen üblicherweise im Juni auftreten, gefolgt von trockenen und heißen Sommermonaten, schreibt die Forschungsgruppe um Haiwei Zhang von der Xi'an-Jiaotong-Universität in der Arbeit. Ihnen zufolge wurde vor 5.300 bis 4.700 Jahren ein komplexes System an schiffbaren Kanälen, Dämmen und Wasserreservoirs errichtet, um große landwirtschaftliche Nutzflächen ganzjährig bewirtschaften zu können. Die 2019 von der Unesco in die Liste der Welterbestätten aufgenommene archäologische Stätte gilt als eines der ersten Beispiele für ein hochentwickeltes Gemeinwesen basierend auf einer Wasserinfrastruktur. Daher rührt auch der Vergleich mit Venedig.

Fast eintausend Jahre lang war die Stadt bewohnt, ehe die Hochkultur vor etwa 4.300 Jahren ein abruptes Ende fand. Die Ursachen dafür waren bisher umstritten. "Auf den erhaltenen Überresten wurde eine dünne Lehmschicht nachgewiesen, die auf einen möglichen Zusammenhang des Untergangs der Hochkultur mit Überschwemmungen des Jangtse oder Fluten vom Ostchinesischen Meer hinweist", erklärt Christoph Spötl vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck in einer Aussendung.

Aus dieser Schicht allein seien allerdings keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Ursache möglich. Und Hinweise auf kriegerische Auseinandersetzungen oder andere menschliche Auslöser seien auch nicht entdeckt worden.

Klimaarchiv Tropfstein

Um einer möglichen klimatischen Ursache des Niedergangs der Liangzhu-Kultur auf den Grund zu gehen, untersuchte das Forschungsteam Tropfsteine. Sie zählen zu den wichtigsten Klimaarchiven, denn die Stalaktiten und Stalagmiten wachsen über Jahrtausende in Höhlen und schließen dabei verschiedene Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff oder Uran ein. Damit zeichnen sie die Klima- und Umweltbedingungen sowie deren Veränderungen auf. Mithilfe geochemischer Untersuchungen können Forschende diese Informationen auslesen. So lassen sich die klimatischen Verhältnisse oberhalb der Höhlen rekonstruieren – eine Reise in die Vergangenheit, die mehrere 100.000 Jahre zurückliegen kann.

In der beeindruckend beleuchteten Shennong-Höhle befinden sich Tropfsteine, die Rückschlüsse auf die Klimageschichte rund um die einstige Stadt Liangzhu zulassen. Sie wurden von Haiwei Zhang und seinem Team analysiert.
Foto: Haiwei Zhang

Haiwei Zhang, der 2017 an der Uni Innsbruck als Gastwissenschafter tätig war, entnahm aus den beiden südwestlich der Ausgrabungsstätte liegenden Höhlen Shennong und Jiulong Proben von Stalagmiten. "Diese Höhlen befinden sich im gleichen Einflussgebiet des südostasiatischen Monsuns wie das Jangtse-Delta und erlauben uns mit ihren Tropfsteinen einen exakten Blick in die Zeit des Zusammenbruchs der Liangzhu-Kultur", sagt Spötl.

Überflutungen am langen Fluss

Die Analysen der Isotopenwerte des Kohlenstoffs in den Tropfsteinen an der Uni Innsbruck sowie Uran-Thorium-Analysen an der Xi'an-Jiaotong-Universität zeigten: Zwischen 4.345 und 4.324 Jahren vor heute trat eine extrem niederschlagreiche Klimaphase auf. So alt ist auch die in der Region gefundene dünne Schlammschicht.

"Die massiven Monsunregen dürften zu so starken Überflutungen des Jangtse und seiner Seitenarme geführt haben, dass selbst die hochentwickelten Dämme und Kanäle diesen Wassermassen nicht mehr standhielten, die Liangzhu-Stadt zerstörten und den Menschen nur die Flucht blieb", sagt Spötl. Diese sehr feuchten Klimabedingungen blieben mit Unterbrechungen weitere 300 Jahre bestehen.

Untergang und Gründung

Der Untergang anderer neolithischer Kulturen im Jangtse-Delta fiel dann mit einer ausgedehnten Dürreperiode zusammen, die vor rund 4.000 Jahren begann. In dieser Zeit kam es weiter im Norden auch zur Gründung der Xia-Dynastie vor etwa 4.020 Jahren, die als erste Dynastie Chinas gilt.

Die Forschungsgruppe vermutet, dass die hydroklimatischen Veränderungen vor 4.300 bis 3.000 Jahren auf Schwankungen der sogenannten El Niño-Southern Oscillation zurückgehen. Durch schwächere sommerliche Sonneneinstrahlung auf der Nordhalbkugel könnte sich dieses gekoppelte Zirkulationssystem von Erdatmosphäre und Meeresströmung im Pazifik verändert haben, lautet die Vermutung. (APA, red, 25.11.2021)