Seilziehen wird in Asien bereits seit Jahrtausenden praktiziert. Ob Spiele etwas über die Kultur der Spielenden aussagen, haben sich Wissenschafter nun genauer angesehen.
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Spielverhalten kommt bei vielen Tierarten vor und ist damit evolutionär wohl deutlich älter als der Mensch. Als "eine Form aktiven Lernens", wie der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt meinte, hilft es Jungtieren dabei, später lebensnotwendige Fähigkeiten und Bewegungsabläufe zu trainieren. Beim Menschen könnte das Spiel zur Entwicklung seiner Intelligenz beigetragen haben. In anspruchsvolleren Varianten hat das Spiel auch kulturbildende Funktionen.

Umgekehrt könnten sich die Arten von Spielen, die von Menschen bevorzugt werden, zwischen Kulturen unterscheiden. Zumindest zeigte sich bisher, dass nicht überall auf die gleiche Art und Weise gespielt wird. Ein internationales Forscherteam hat nun historische Daten ausgewertet, um herauszufinden, ob die Spiele, die in verschiedenen Kulturen gespielt werden, Rückschlüsse darauf zulassen, wie kooperativ diese Kulturen sind.

Wettbewerbsorientierte oder kooperative Spiele

"Wir denken, dass Spiele Aspekte menschlicher Kulturen widerspiegeln, etwa wie kompetitiv oder kooperativ eine bestimmte Kultur ist", sagt Sarah Leisterer-Peoples, Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Frühere Studien deuteten bereits darauf hin, dass in sozial hierarchischen Kulturen mit Unterschieden hinsichtlich Status und Wohlstand häufig wettbewerbsorientierte Spiele gespielt werden. In egalitären Kulturen mit geringen oder keinen Unterschieden bei Status und Wohlstand werden hingegen eher kooperative Spiele bevorzugt.

Bisher wurden diese Beziehungen jedoch nur anhand einiger weniger Kulturen untersucht. In der nun im Fachjournal "Plos One" veröffentlichten Studie, die sich auf historische Daten stützt, haben Forschende aus Leipzig, Jena, Gera und Australien analysiert, ob die Spiele, die verschiedene Kulturen praktizieren, Rückschlüsse darauf zulassen, wie kooperativ diese Kulturen sind.

Das altägyptische Schlangenspiel oder Senet wird seit mindestens 5000 Jahren gespielt. Dieses Spielset von Amenophis III. wurde um etwa 1350 vor unserer Zeitrechnung hergestellt.
Foto: Charles Edwin Wilbour Fund - Brooklyn Museum

Pazifische Kulturen und ihre Spiele

In einem ersten Schritt sichtete das Forschungsteam eine Datenbank mit historischen Spielen, die von verschiedenen Kulturen aus dem Pazifikraum gespielt wurden. Im nächsten Schritt ermittelten die Wissenschafter Merkmale von Kulturen, die auf deren Kooperationsbereitschaft schließen lassen. Das Team untersuchte zum Beispiel, wie sozial hierarchische Kulturen strukturiert waren, wie oft Mitglieder einer Kultur miteinander in Konflikt gerieten, wie oft die Kulturen mit anderen Kulturen in Konflikt gerieten und wie häufig Mitglieder einer Gemeinschaft gemeinschaftlich jagten und fischten.

"Dies sind reale Indikatoren für kooperatives Verhalten", sagt Leisterer-Peoples. So konnten die Forschenden schließlich 25 unterschiedliche Kulturen identifizieren, für die historische Informationen sowohl zu den vorhandenen Spielen als auch zu relevanten kulturellen Merkmalen verfügbar waren.

Überraschendes Ergebnis

Bei ihrer anschließenden Analyse erlebten die Forschenden eine Überraschung: Es zeigte sich, dass Kulturen, die häufig Konflikte mit anderen Kulturen austrugen, mehr kooperative als kompetitive Spiele aufwiesen. Andererseits hatten Kulturen, in denen es häufig zu Konflikten innerhalb der Gemeinschaft kam, stärkere Tendenzen zu kompetitiven im Vergleich zu kooperativen Spielen. Darauf, wie sozial hierarchisch Kulturen aufgebaut waren und wie Fischerei und Jagd gesellschaftlich begangen wurde, konnten die Forschenden anhand der von diesen Kulturen praktizierten Spiele nicht schließen.

"Auf den ersten Blick erscheinen diese Ergebnisse nicht intuitiv, ergeben aber im Zusammenhang mit Theorien zur Evolution der Kooperation in kulturellen Gruppen einen Sinn", sagt Leisterer-Peoples. "In Zeiten des Konflikts mit anderen Gruppen sind Individuen aufeinander angewiesen. Kooperation ist hier besonders wichtig." Dies spiegelte sich in der Art der Spiele wider, die gespielt wurden – Spiele, in denen Gruppen im Wettstreit mit anderen Gruppen stehen, meinen die Wissenschafter.

Ein Spiegel realen Verhaltens

Wenn es hingegen zwischen Mitgliedern innerhalb einer Gruppe häufiger zu Konflikten kam, wurden häufiger kompetitive Spiele gespielt. Demnach deuten die Resultate tatsächlich darauf hin, dass Spiele die kulturellen Merkmale der jeweiligen Gesellschaft widerspiegeln. Oder mit anderen Worten: Spiele bilden real praktiziertes Verhalten ab und könnten ein Weg sein, wie Kinder gruppenspezifische Normen lernen und trainieren.

"Zukünftige Studien sollten aber nicht nur untersuchen, wie kooperativ oder kompetitiv ein Spiel ist, sondern welche spezifischen Fähigkeiten durch Spiele erlernt werden können", sagt Leisterer-Peoples. "Dies ist erst der Anfang, wenn es um Studien über Spiele in verschiedenen Kulturen geht. Es gibt noch viel mehr zu entdecken!" (red, 27.12.2021)