Dominic Fritz war 2003 als 19-Jähriger erstmals nach Temeschwar gekommen, um in Sozialprojekten zu arbeiten. Die wunderschöne Stadt mit den Barock- und Jugendstilhäusern, den eleganten Plätzen und herrlichen Mehlspeisen ließ den Schwaben nicht mehr los. "Ich habe mich in Temeschwar verliebt wegen des europäischen Geists der Stadt, wegen des friedlichen und produktiven Zusammenlebens der Kulturen, wegen der Revolution, die von hier ausging", sagt er zum STANDARD.

Fritz engagierte sich später in vielen Kulturprojekten. 2017, als es in Rumänien zu großen Antikorruptionsprotesten kam, dachte er, er könne nun nicht mehr länger in Deutschland arbeiten und in Rumänien, wo es brodelte, bloß ein paar Projekte unterstützen. Am 27. September 2020 trat er für die liberale Reformpartei USR-Plus und mit dem Motto "Wir bekämpfen Korruption mit Transparenz" an und gewann mit 54,8 Prozent der Stimmen, einen Monat später war er Bürgermeister.

Auswahlverfahren gefälscht

Seither bekämpft Fritz die Korruption von innen. So entdeckte er etwa, dass Auswahlverfahren für die Verwaltung gefälscht wurden und dass eine Person aus der Personalabteilung für manche Kandidaten die schriftlichen Arbeiten für das Auswahlverfahren selbst verfasst hatte. Fritz erkannte bei der Durchsicht der Personalakten nämlich plötzlich, dass die Handschrift in den Unterlagen verschiedener Bewerber die gleiche war. "Meine Vermutung ist, dass man sich das für ein Monatsgehalt kaufen konnte", meint der 38-jährige Politologe und Verwaltungsexperte.

Der neue Bürgermeister will mit der Korruption aufräumen.
Foto: Dominic Fritz

Die Mitarbeiterin, deren Handschrift sich in den Auswahlverfahren wiederfand, ist nicht mehr Teil der Stadtverwaltung. Fritz hatte nur ein bisschen gestochert, musste aber bald erkennen, dass der Sumpf tief und breit war. Er ließ sogar die Personalabteilung auflösen und machte eine Organisationsreform, einige Führungsfiguren mussten gehen. Sie ziehen nun gegen Fritz vor Gericht zu Felde. "Widerstand und Druck sind sehr groß. Ich habe das in einem sehr kleinen Team innerhalb von sieben, acht Monaten durchgezogen", berichtet er.

Vertrauen missbraucht

Der Reformeifer des mutigen Herrn Fritz wurde von Medien, die anderen politischen Interessen dienen, mit scharfen Attacken beantwortet. Aber auch seine Organisationsreform wurde suspendiert und eingefroren. Fritz ist in der schwierigen Lage, dass er in der Stadtgemeinde für viele Entscheidungen noch eine Stimme einer anderen Partei braucht. Die konservative PNL, mit der die Koalition der USR auf nationaler Ebene platzte, ist bei weitem nicht so reformbereit. "Wir brauchen ein Minimum an Vertrauensbasis, und das hat PNL-Chef Florin Cîțu auf die leider schäbigste Weise unterminiert", beschreibt Fritz das Ende des Regierungsbündnisses, das nur zehn Monate überdauerte.

"Die USR-Plus unterscheidet sich fundamental von den anderen Parteien, denn die Leute in der Partei sind außerhalb des Systems, und sie wollen damit brechen", erklärt er die extremen Widerstände gegen seine Entfilzungsinitiativen. Der Kreislauf des gegenseitigen Bedienens zwischen Politik und Wirtschaft nutzt schließlich auch vielen Menschen.

Dominic Fritz will Temeschwar von Grund auf reformieren.
Foto: Dominic Fritz

Banater Schwaben

Manchmal wird Fritz in seinem politischen Kampf auch mit dem Argument angegriffen, dass er kein Rumäne sei. Andererseits gibt es gerade in Rumänien starke positive Vorurteile gegenüber Deutschen. Sie gelten als tüchtig, verlässlich – und eben nicht korrupt. Fritz erinnert daran, dass es in Temeschwar während der Zeit der Monarchie auch Bürgermeister gab, die Deutsch als Muttersprache hatten. "Die Stadt ist von den Banater Schwaben geprägt. Für viele war es deshalb nicht total außergewöhnlich, dass ein Deutscher hier antritt, auch wenn ich der erste Deutsche war, der kein rumänischer Staatsbürger ist", meint Fritz.

"Ich will aber glauben, dass mich die allermeisten meines Programms und meiner Vision für die Stadt und meiner Kompetenz wegen gewählt haben und nicht wegen der Stereotype. Vielleicht hält es sich auch die Waage: Es gibt diejenigen, die mich nur deshalb gewählt haben, weil ich Deutscher bin, und die, die mich auf keinen Fall gewählt hätten, weil ich Ausländer bin", resümiert er.

Europäische Kulturhauptstadt 2023

Zurzeit ist er auch damit beschäftigt, die Stadt mit über 300.000 Einwohnern auf das Jahr 2023 vorzubereiten, wenn Temeschwar Kulturhauptstadt sein wird. "Wir wollen zeigen, dass Temeschwar Europa ist, viel mehr, als sich das so mancher im Westen vorstellen kann. Hier wurden europäische Werte und europäische Kultur gelebt, noch lange bevor es die Europäische Union gab. Es gab hier ein Zusammenleben der Kulturen, und daraus entstand auch eine Innovationskraft. Denn dort, wo es verschiedene Perspektiven gibt, dort entstehen neue Ideen", meint der Bürgermeister. "In absoluter Homogenität entsteht nämlich nichts Neues."

"Viele Leute im Westen denken bei Rumänien noch immer an Straßenkinder und wissen nicht, dass Temeschwar eine wunderschöne österreichische Garnisonsstadt und eine Revolutionsstadt ist", versucht er mit Vorurteilen aufzuräumen. Gerade die Tatsache, dass die Revolution 1989 hier ausbrach, sage viel über den Geist der Stadt aus. Weil die Geheimpolizei damals den ungarischen Pfarrer verlegen wollte, demonstrierten zuerst Mitglieder der ungarischen Pfarrgemeinde vor der Kirche. "Aber dann kamen auch die anderen Volksgruppen, die Rumänen, die Deutschsprachigen dazu. Dann war das plötzlich eine mulitethnische Gruppe, und es ging nicht mehr nur um den Pfarrer, sondern generell um die Probleme, die man im Kommunismus hatte. In dieser Nacht im Dezember haben die Demonstranten dann die Straßenbahn gekapert und den Verkehr blockiert, und daraus ist die Revolution gewachsen, die leider blutig niedergeschlagen wurde, aber die so wichtig war, dass sie von hier aus auf die anderen Städte übergesprungen ist", erzählt Fritz die Stadtgeschichte.

Auf andere einlassen

Typisch für Temeschwar seien für ihn "ein gewisser Mut, eine gewisse Selbstverständlichkeit, mit der man sich auf andere Menschen einlässt und Gemeinsamkeiten sucht und sich nicht auseinanderdividieren lässt". Der Mann, der selbst komponiert, gerne singt, in Frankreich und Großbritannien studiert und in Deutschland für Altpräsident Horst Köhler gearbeitet hat, meint, dass Temeschwar "Antworten auf Fragen hat, die sich Europa heute stellt, nämlich wie Zusammenleben funktionieren kann. Es gibt hier Leute, die Ungarisch, Serbisch, Deutsch, Bulgarisch und Slowakisch sprechen. Die Stadt wächst, und es ist wichtig, ihren Geist zu bewahren."

Fritz denkt, dass gerade in Zeiten extremer Individualisierung Städte ein Gemeinschaftsgefühl bilden können, aber gleichzeitig Diversität zulassen. "Nationalstaaten können diese Bindung an Gemeinschaft nicht mehr leisten", philosophiert er. (Adelheid Wölfl aus Temeschwar, 25.11.2021)