So könnte Issa, Spezies Australopithecus sediba, ausgesehen haben.
Foto: S. Entresssangle, Skulptur: Elisabeth Daynes

Sie steht zwischen Mensch und Menschenaffe: So beschrieben Fachleute die Spezies Australopithecus sediba, eine Vormenschenart, die 2008 durch den damals neunjährigen Sohn des renommierten Anthropologen Lee Berger erstmals entdeckt und in den Folgejahren wissenschaftlich dokumentiert wurde. Die bisher aufgefundenen Skelette sind etwa zwei Millionen Jahre alt. Sie sind zwar jeweils nicht vollständig – viele anthropologische Funde, die wichtige Informationen über unsere Urgeschichte liefern, bestehen lediglich aus einzelnen Knochen oder Fragmenten; quasi komplette Skelette sind sehr rar. Aber man kann sich doch einen guten Eindruck von der Anatomie der Sediba-Spezies verschaffen. Vor allem an Brustkorb und Armen werden Ähnlichkeiten mit Menschenaffen deutlich, Becken und Beine wiederum sind der Gattung Homo nahe.

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Eine Sediba-Skelettrekonstruktion zwischen dem zierlichen Skelett eines modernen Menschen (links) und dem eines Schimpansen (rechts).
Bild: AP Photo/ Wits University, Lee R. Berger

Nun stehen durch einen weiteren Fund neue Puzzlestücke zur Verfügung: Lee Berger von der Universität Witwatersrand und seinem Team gelang es gemeinsam mit Forschenden der New York University, ein zuvor bereits beschriebenes Individuum um zwei Wirbelknochen und ein paar Fragmente zu ergänzen, wie sie im Open-Access-Journal "eLife" schreiben. Was nach wenig klingt, dürfte gerade im Hinblick auf die Fortbewegungsmöglichkeiten spannende Erkenntnisse liefern.

Codename MH2, revisited

Die Forschungsgruppe nennt die Überreste, die auf eine weibliche Australopithecine schließen lassen, Issa. Das bedeutet auf Swahili Beschützerin. Unter Fachleuten ist sie auch unter dem Codenamen MH2 bekannt, der auf ihren Fundort verweist: "Malapa Hominin 2" wurde 2008 in der Malapa-Höhle, nordwestlich von Johannesburg in Südafrika, neben dem ersten jugendlichen Australopithecus-sediba-Fund entdeckt.

Aber erst 2015 stieß man auf die nun analysierten Wirbel und Wirbelreste, die in zementartigem Gestein (einer sogenannten Brekzie) versteckt sind. Issas untere Wirbelsäule zählt nun zu den besterhaltenen Fossilien dieses anatomischen Bereichs, die aus der Zeit der frühen Hominiden stammen. Um den Fund nicht zu beschädigen, wurden die Knochen nicht aus dem Gesteinsgemenge auspräpariert, sondern mit virtuellen Methoden untersucht.

Aufschlussreicher Lendenbereich

Die Micro-CT-Scans zeigten, dass die Wirbel perfekt zu den bereits vorhandenen Knochen des Individuums Issa passen. Sie sind Teil der Lendenwirbelsäule, die, von der Seite aus betrachtet, den unteren Schwung der quasi S-förmigen Wirbelsäule mitbildet. Diese S-Form ist ein Charakteristikum des modernen Menschen und eine Anpassung an den aufrechten Gang. Menschenaffen etwa weisen im Gegensatz dazu eine einfache, C-förmige Krümmung auf.

Die neu entdeckten Wirbel und Fragmente (im Micro-CT-Modell rechts farbig markiert) gehören zu einem Skelett, das bereits beschrieben wurde. Zum Schutz der Funde wurden die Knochen nicht komplett auspräpariert und voneinander getrennt (siehe Foto in der Mitte), sondern im Scan analysiert.
Bild: NYU & Wits University

"Die Lendenregion ist entscheidend, um den zweibeinigen Gang bei unseren frühesten Vorfahren zu verstehen – und wie gut sie daran angepasst waren", sagt der Paläoanthropologe Scott Williams, Erstautor der Studie. Wertvoll ist der Fund vor allem, weil er mehrere in Serie zusammenhängende Wirbel beinhaltet, die noch dazu sehr gut erhalten sind: "Das ist außerordentlich selten, aus dem frühen Afrika sind nur drei vergleichbare untere Wirbelsäulen bekannt."

In früheren Studien hatten Forschende die Vermutung geäußert, dass Australopithecus sediba eine relativ gerade untere Wirbelsäule hatte. Eine Annahme, die Issa der aktuellen Forschungsarbeit zufolge entkräftigt: Ihre Lendenwirbelsäule ist kurviger als die aller anderen bisher entdeckten Australopithecinen. Nur ein 1,6 Millionen Jahre alter Homo-erectus-Fund aus Kenia und einige Fossilien moderner Menschen aus diesem Zeitraum haben eine stärkere Krümmung.

Der untere Rücken des Australopithecus sediba wirkt dem modernen Menschen sehr ähnlich, der obere Torso hingegen zeigt eher die Nähe zu Menschenaffen.
Bild: NYU & Wits University

In Bäumen und am Boden

Gleichzeitig verdeutlichen andere Skelettmerkmale Eigenschaften, die diese Spezies von modernen Menschen unterscheidet. So finden sich an der Wirbelsäule auch Hinweise auf eine kräftige Rumpfmuskulatur. "In Kombination mit anderen Teilen der Torsoanatomie deutet dies darauf hin, dass Sediba klare Anpassungen an das Klettern beibehalten hat", sagt der Anthropologe Shahed Nalla, der ebenfalls an der Arbeit beteiligt war. Der Körper der Australopithecinenfrau war also auch für das Klettern in Bäumen gut geeignet. Lee Berger resümiert lapidar: "Issa ging ähnlich wie ein Mensch, aber konnte klettern wie ein Affe."

Die "Zwischenform" zwischen Menschenaffe und Mensch kann also etwas besser eingeordnet werden – obwohl freilich viele Fragen offen bleiben. War Australopithecus sediba ein direkter Vorfahre der modernen Menschen? Immerhin gibt es aus dieser Zeit auch etwa Funde aus Ostafrika, die bereits der Gattung Homo zugeordnet werden. (sic, 28.11.2021)