Internationale Forschung wird ausgeblendet, man will das Rad neu erfinden, kritisiert Isabel Haider, Forscherin am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, im Gastkommentar.

Jede Frau soll wissen, dass sie Unterstützung bekommen kann, sagte Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) am Dienstag, im Bild mit Marina Sorgo von den Gewaltschutzzentren und Innenminister Karl Nehammer.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Internationale Forschung und Politik haben über Jahrzehnte die strukturellen Zusammenhänge geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen herausgearbeitet. Unter geschlechtsbezogener Gewalt versteht man Gewalt, die gegen Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts begangen wird oder von der Frauen und Mädchen überproportional betroffen sind. Der Geschlechtsbezug kann sich im Motiv der Täter widerspiegeln oder strukturelle Machtunterschiede zum Ausdruck bringen, die zu einem erhöhten Risiko von Gewalt gegen Frauen und Mädchen führen. Und er kann dazu beitragen, dass die Gewalt akzeptiert, normalisiert oder als weniger gefährlich und vorwerfbar eingestuft wird.

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Die Gewalt steht im Zusammenhang mit sozialkonstruierten Geschlechterrollen. Sie ist Ausdruck eines der Frau in der Gesellschaft zugeschriebenen minderen Werts und wird häufig begangen, wenn sie sich außerhalb der ihr zugeschriebenen Rolle bewegt. Die Gewalt wird zum Großteil durch dem Opfer nahestehende Männer begangen, allen voran aktuellen oder ehemaligen Intimpartnern. Ebenso gibt es jedoch Gewalt- inklusive Mordkriminalität, der Frauen unabhängig von ihrem Geschlecht zum Opfer fallen.

Kein regionaler Unterschied

Internationale Forschung und Politik behandeln geschlechtsbezogene Gewalt- und Mordkriminalität gegen Frauen aufgrund ihrer strukturellen Unterschiede zur heterogener ausgestalteten allgemeinen Gewalt- und Mordkriminalität als eigenständiges Kriminalitätsphänomen. Besonders detailliert befasste sich die Forschung bereits mit dem Teilbereich geschlechtsbezogener Gewalt und Mordkriminalität gegen Frauen in Intimbeziehungen mit Gewaltvorgeschichte. Hier wurden Risikofaktoren erarbeitet, die weitere Gewalt und/oder Femizide mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen sollen. Die Behandlung von Kriminalitätsphänomenen differenziert nach Teilbereichen erlaubt eine detaillierte und vertiefendere Analyse. Zusammenhängendes ist gemeinsam zu betrachten, Unterschiedliches ist zu trennen.

Eine Vielzahl von Studien ergab darüber hinaus, dass geschlechtsbezogene Gewalt und Mordkriminalität gegen Frauen in Intimbeziehungen im Wesentlichen keine regionalen oder kulturellen Unterschiede aufweisen. Internationale Forschung ist somit auch für den österreichischen Kontext relevant. Studien bauen üblicherweise auf vorhandener Forschung auf, um diese in gewissen Aspekten weiterzuentwickeln. Detaillierte Studien zu eng abgegrenzten Teilbereichen erlauben es, Kriminalität nicht nur zu beschreiben, sondern sie zumindest teilweise zu erklären.

Vereinheitlichung und Veinfachung

Die Politik in Österreich geht einen anderen Weg. Anstatt sich detailliert und fachlich geboten mit den verschiedenen oder ausgewählten Manifestationsformen von geschlechtsbezogener und nichtgeschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen zu beschäftigen, wird undifferenziert bis zur Unkenntlichkeit vereinheitlicht und vereinfacht. Oberflächliche Informationen, die anderswo jährlich durch die Sicherheitsbehörden selbst kriminalstatistisch aufbereitet und veröffentlicht werden, werden als neue Erkenntnisse präsentiert. Es entsteht der Eindruck, als würde Gewalt- und Mordkriminalität gegen Frauen in diesem Land ausnahmslos durch gewalttätige Partner begangen und als wäre die Lösung dieses Problems im Grunde das Wählen des Notrufs durch die Opfer.

"Frauen sehen das Risiko, ermordet zu werden, nicht vorher."
Prävention ist nicht Aufgabe des Opfers

Die Pressekonferenz zum Gewaltschutzgipfel am Dienstag verlautbarte: 2019 stellt den traurigen Höhepunkt der letzten elf Jahre mit 43 ermordeten Frauen dar. Frauen sollten Hilfsangebote in Anspruch nehmen, die Polizei rufen. Damit wird suggeriert, dass sich alle 43 Frauen in Gewaltbeziehungen befanden und keine Hilfe gesucht hätten.

Es gibt zahlreiche Barrieren, die verhindern, dass Hilfsangebote Menschen in Gewaltbeziehungen erreichen. Frauen werden darüber hinaus nicht nur im Zuge von Gewaltbeziehungen ermordet. Zuweilen werden sie auch ermordet, obwohl die Polizei bereits involviert war. Frauen sehen auch das Risiko, ermordet zu werden, nicht vorher. Wie auch in anderen Kriminalitätsbereichen können Kriminalitätsbekämpfung und -prävention auch hier nicht nur an Opferanzeigen anknüpfen. Diese Form von Opferzentrierung wurde zuletzt auch von der Soziologin Laura Wiesböck in der ZiB 2 zu Recht kritisiert.

Keine Statistiken

Zur Frage, wie viele Frauenmorde in Zusammenhang mit Gewaltbeziehungen stehen oder wie viele Frauen jährlich überhaupt Opfer von Gewaltbeziehungen werden, gibt es in Österreich keine Statistiken. Die in den Medien verwendete Zahl an Femiziden des aktuellen Jahres beruht auf einem Media-Monitoring der Österreichischen Frauenhäuser. Eine behördliche Information gibt es nicht. Zahlen zu Betretungs- und Annäherungsverboten und "Gewalt im sozialen Nahraum" betreffen unterschiedlichste Konstellationen von Gefahren- und Gewaltsituationen im Zusammenwohnen von Menschen und sind damit nicht treffsicher. Auch die beauftragte Studie, die sämtliche Morde an Frauen und Mädchen durch männliche und weibliche Täterinnen und Täter über einen Zeitraum von fünf Jahren untersucht, wird aufgrund des engen Zeitkorsetts und mangels Eingrenzung auf spezifische Teilbereiche vermutlich nur an der Oberfläche kratzen können. (Isabel Haider, 26.11.2021)