Aus der Sicht von Satelliten sieht die Erde bei Nacht aus wie ein funkelndes Lichtermeer. Vor allem in reicheren Ländern sind Städte und Straßen meist die ganze Nacht über beleuchtet. Das benötigt nicht wenig Strom: Immerhin rund 17 bis 20 Prozent der globalen Stromproduktion fließen in die Beleuchtung durch Lampen und Straßenlaternen. Die Straßenbeleuchtung ist in der EU für rund ein bis zwei Prozent des Stromverbrauchs verantwortlich.
Nicht zuletzt deshalb forschen Wissenschafter seit Jahren an stromsparenderen Lampen und verbesserten Leuchtsystemen. Schon der Wechsel traditioneller Lampen auf LED sorgte dafür, dass Lampen zwischen fünf- und 25-mal so lange durchhalten und deutlich weniger Strom verbrauchen. In Zukunft könnten aber auch neue sogenannte lumineszente Materialien, also Materialen, die nach einer Energiezufuhr von außen Licht ausstrahlen, Straßen und Gebäude in Städten erhellen, glauben einige Forscherinnen. Indem diese leuchtenden Materialien zum Teil bestehende Straßenbeleuchtung ersetzen, sollen sie nicht nur den Stromverbrauch und Emissionen senken, sondern auch Städte kühlen. Wie soll das funktionieren?
Einsatz bei Radwegen
Wer im Kinderzimmer einmal Leuchtsterne an der Decke kleben hatte, kennt den Effekt: Bestrahlt man die Sterne vor dem Schlafengehen mit Licht, leuchten sie anschließend im dunklen Raum. Umso länger und heller sie angestrahlt werden, desto intensiver leuchten sie. Der Effekt dahinter nennt sich Phosphoreszenz, und phosphoreszierende Materialien kommen heute unter anderem zur Markierung von Fluchtwegen, bei Briefmarken oder Straßenmarkierungen zum Einsatz.
Auch für Radwege etwa in den Niederlanden oder Polen wurden bereits phosphoreszierende Materialien verwendet. Schon 2014 entstand etwas außerhalb von Eindhoven, einer Stadt in den Niederlanden, ein leuchtender Radweg. Der Van-Gogh-Roosegaarde-Radweg soll mit tausenden in der Dunkelheit leuchtenden Nuggets an das berühmte Werk "Sternennacht" des niederländischen Malers Vincent van Gogh erinnern. Schon zuvor installierten die Designer in Oss, einer niederländischen Stadt südlich von Amsterdam, eine phosphoreszierende Autobahnmarkierung, die in der Nacht bis zu acht Stunden lang grün leuchtete.
Auch im polnischen Ort Lidzbark Warmiński ist vor einigen Jahren ein leuchtender Radweg entstanden, der tagsüber türkis glänzt und in der Nacht dann blau leuchtet. Dafür wurde der Radweg mit einem Belag aus phosphoreszierenden Materialen ausgestattet. Werden sie am Tag mit sichtbarem oder UV-Licht der Sonne bestrahlt, strahlen sie einige Stunden danach in der Nacht, ohne zusätzliche Energie zu benötigen. Dadurch sollen Radfahrer besser gesehen werden, was vor allem bei Radwegen in ländlicheren Gebieten eine Rolle spielen könnte, heißt es von den Entwicklern. Ein Manko: Der circa 100 Meter lange Radwege kostete rund doppelt so viel wie ein normaler Radweg.
Leuchtende Gebäude
Theoretisch könnten künftig auch Straßenmarkierungen, Gehsteige oder sogar ganze Gebäude mit phosphoreszierenden Materialien ausgestattet sein und so in der Dunkelheit leuchten, sagen Forscherinnen. Das könnte teilweise Straßenbeleuchtung ersetzen und so Strom sparen. Die Forscherinnen simulierten beispielsweise, welchen Effekt ein mit phosphoreszierender Farbe gestrichener Weg neben einem Bahnhof haben könnte. Indem der Weg in der Nacht durch die Materialien leuchtet, ließen sich 27 Prozent Energie der normalen Beleuchtung sparen, heißt es in der Studie.
Die leuchtenden Materialen könnten aber auch dabei helfen, Gebäude und Städte im Sommer zu kühlen. Würde die Fassade eines Einfamilienhauses beispielsweise mit phosphoreszierender Farbe angestrichen werden, könne das bis zu 30 Prozent der Energie sparen, die normalerweise für die Kühlung des Gebäudes verwendet wird, heißt es in der Studie. Die besten phosphoreszierenden Farben könnten die umgebende Lufttemperatur an sonnigen Tagen im Vergleich zu normalen Farben um bis zu 3,3 Grad reduzieren.
Noch nicht die ganze Nacht
Allerdings gibt es – zumindest bei der Leuchtfunktion der Materialien – noch ein Problem: Die meisten phosphoreszierenden Materialien schaffen es nicht, die ganze Nacht hindurch zu leuchten. Sie müssten also nach einigen Stunden durch künstliche Lichtquellen ersetzt werden. Deshalb forschen die Wissenschafterinnen bereits an Materialien, die das Licht noch länger speichern und abgeben können. Immerhin gibt es rund 250 lumineszente Materialien, darunter Strontiumaluminat oder Zinksulfit, von denen laut Forscherinnen einige noch nicht genau auf ihren praktischen Nutzen untersucht wurden.
Zu mehr Lichtverschmutzung soll es durch die neuen Materialen in der Stadt jedenfalls nicht kommen, versprechen die Forscherinnen. Denn es sollen lediglich bestehende Straßen- und Gebäudebeleuchtungen zum Teil ersetzt und nicht insgesamt mehr Licht produziert werden. Zudem könnte die Farbe der Materialien so gewählt werden, dass Tiere möglichst wenig dadurch gestört werden.
Bis unsere Städte eines Tages wirklich in der Nacht quasi von selbst leuchten, dürfte es aber noch einige Zeit dauern. Bis dahin müssen sich die Befürworter der Technologie wohl noch auf den Einsatz auf kleineren Flächen wie Radwegen oder Plätzen beschränken. (Jakob Pallinger, 1.12.2021)