Roberta Metsola wäre mit 42 Jahren die bisher jüngste Frau an der Spitze des EU-Parlaments.

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Jedes Jahr hält die Präsidentin der EU-Kommission vor dem Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg eine "Rede zur Lage der Union". Der Sitzung der 705 Abgeordneten wird große Beachtung zuteil. Es wird unter dem Vorsitz des Präsidenten des Hauses programmatisch abgearbeitet, was in den nächsten zwölf Monaten an Arbeit ansteht.

Als Ursula von der Leyen im September ans Rednerpult trat, saß auf dem Stuhl des Parlamentschefs nicht David Sassoli, sondern eine seiner 14 Vizes, Roberta Metsola. Der Sozialdemokrat aus Italien war erkrankt und fiel wochenlang aus. Metsola, eine Christdemokratin aus Malta, ersetzte ihn.

Dieser Szene mit zwei Frauen ganz vorn kommt zwei Monate später besondere Bedeutung zu. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) hat die 42-jährige Anwältin mit großer Mehrheit zu ihrer Kandidatin gewählt, wenn im Jänner die Neuwahl der Parlamentsspitze ansteht.

Das ist in Straßburg so üblich, zur Halbzeit der Legislaturperiode gibt es Personalumstellungen. Sassoli müsste abtreten, so war das nach den Europawahlen 2019 zwischen den drei größten Fraktionen – neben EVP auch Sozialdemokraten und Liberale – vereinbart. Damals hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den deutschen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber als Kommissionschef verhindert; von der Leyen, Sassoli und der Liberale Charles Michel als Ratspräsident kamen zum Zug. Für Metsola sollte alles klar, eine Mehrheit im Plenum gesichert sein.

Ungeplantes Kräftemessen

Aber Sassoli will nicht weichen. Der 65-Jährige möchte wieder kandidieren. Ob er das schafft? Unklar. Die Maltesin hat viele Anhänger. Sie wäre nicht die erste Frau im höchsten Parlamentsamt, das war Simone Veil, aber die jüngste. Metsola, 1979 geboren, steht für eine junge Generation Europa, hat nach dem Doktor der Rechte einen Magister am Europakolleg in Brügge absolviert, arbeitete ab 2004 als Rechtsreferentin in der Vertretung Maltas bei der EU, später für die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. 2013 wurde sie EU-Abgeordnete.

Sie spricht Englisch, Französisch, Italienisch und Finnisch – die Powerfrau ist mit dem Finnen Ukko Metsola verheiratet. Brüssel verbindet. Der Harvard-Absolvent arbeitet für die Lobby der Kreuzfahrtindustrie, war 2001 Berater des sozialdemokratischen Premiers Paavo Lipponen. Die Metsolas haben vier Söhne.

Malta im Süden, Finnland im Norden, Brüssel, Straßburg: Europa wächst doch zusammen. (Thomas Mayer, 25.11.2021)