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Impfzentrum in Pretoria: Dass Impfstoffe nur so langsam im südlichen Afrika ankommen, kann die Entstehung neuer Varianten begünstigen. Wovor Forschende schon lange warnen, das könnte nun Realität geworden sein.

Foto: AP / Nardus Engelbrecht

Nicht schon wieder! Gerade ist die Botschaft verdaut, dass es in Österreich noch einmal einen Lockdown braucht; gerade lassen sich immerhin noch ein paar Menschen vom Erststich überzeugen; gerade wachsen die Hoffnungen in die Boosterimpfung – da kommt die nächste böse Nachricht. Forscherinnen und Forscher im südlichen Afrika haben eine neue Variante des Coronavirus Sars-CoV-2 ausfindig gemacht. Und was sie in den wenigen Tagen seit der Entdeckung herausgefunden haben, beunruhigt sie sehr.

B.1.1.529 hat ungewöhnlich viele Mutationen, leider auch an Stellen, die für die Erkennung durch das Immunsystem wichtig sind. Die Wirkung der aktuellen Impfungen könnte dadurch gedämpft sein – zumindest. Und nicht nur das: Seit der Entdeckung der Variante steigen die Infektionszahlen in Südafrika, und zwar genau an jenen Orten, an denen B.1.1.529 grassiert. Sie tun das so sprunghaft wie selten zuvor in der Pandemie. An einen Zufall zu glauben fällt schwer.

Wenn, dann schnell

Was also tun? Großbritannien und Israel haben eilig reagiert. Noch in der Nacht auf Freitag haben sie Flüge aus sechs bzw. sieben Staaten des südlichen Afrika gestoppt. Wer sich zuletzt dort aufgehalten hat, muss sich bei der Einreise einer strengen Quarantäne unterziehen. Es ist ein Vorgehen, das auch die meisten Forschenden fordern. Wer sich durch einschlägige Foren und Twitter-Feeds wühlt, findet viele Wünsche nach rigiden Grenzmaßnahmen – und zwar nicht irgendwann, sondern sofort.

Die Logik dahinter ist einfach: Ob die Variante wirklich eine Gefahr darstellt, ist nicht sicher. Aber Grenzen lassen sich im Fall einer Entwarnung wieder öffnen. Die Virusvariante jedoch ist da, sobald sie da ist. Grenzen dann, danach, noch zu schließen bringt nichts mehr.

Auch Österreich untersagte Freitagfrüh die Einreise aus Ländern des südlichen Afrika. Das ist ein erster Schritt, doch für sich genommen nur ein kleiner. Österreich liegt im Schengenraum. Stoppt nur Wien Flüge aus den betroffenen Staaten, landen Reisende eben in den Nachbarländern und fahren dann weiter über die Grenze. Diese ließe sich zwar – zumindest auf dem Papier – schließen, doch was dann? Das Gesundheitssystem ist in vielen Bundesländern auf Pendlerinnen und Pendler angewiesen, viele andere Wirtschaftszweige sind es auch. Tausende Menschen aus Österreich könnten umgekehrt ihre Jobs im Ausland nicht mehr antreten. Das geht nicht.

Einigkeit im Schengenraum?

Blieben also Maßnahmen an den Außengrenzen. Die EU-Kommission hat ungewöhnlich rasch reagiert. Kommissionschefin Ursula von der Leyen schlug den Mitgliedsstaaten Freitagfrüh vor, Flüge aus dem südlichen Afrika auszusetzen. Ob und wie schnell sich dieser Vorschlag umsetzen lässt, ist offen – aber immerhin: Er kam schnell.

Ein anderes Problem aber löst er nicht: Alle Schengenstaaten könnten gemeinsam eine harte Quarantäne umsetzen. Gespräche darüber gab es in den rund 650 Tagen der Pandemie immer wieder, denn ein Fall wie der aktuelle galt als absehbares Bedrohungsszenario. Doch Maßnahmen aus einem Guss kamen nicht zustande. Es gibt stattdessen unterschiedliche Quarantänemaßnahmen – in manchen Ländern sind sie streng, in anderen nicht existent. Die Nationalstaaten wollten ihre Entscheidungsgewalt nicht aufgeben. Und jetzt ist es zu spät.

Offenheit darf nicht bestraft werden

Zuallererst betroffen ist nun aber Südafrika. Die Regierung dort hat sich für eine bewundernswert transparente, erstaunlich schnelle Kommunikation entschieden. Bei der Pressekonferenz von Gesundheitsminister Joe Phaahla erklärten Forscher, was sie bisher herausgefunden haben. Und zwar ausführlich, ohne Schnörkel à la "Babyelefant" und ohne Angst davor, auch schlechte Nachrichten auszusprechen. Das alles würde man sich in Europa oft wünschen.

Das Land tut das im Wissen, dass es dadurch selbst massive Nachteile erleiden wird – Isolation nämlich, wirtschaftlichen Schaden und schlechte Nachrede. Der Welt hat es damit einen Dienst erwiesen. Aber selbst braucht es im Kampf gegen die neue Variante nun wohl Hilfe. Und auch das nicht in einem Monat oder im nächsten Jahr, sondern jetzt. Die Armen in der Bevölkerung, und sie stellen die große Mehrheit, können sich einen Lockdown ohne Unterstützung nicht leisten. Soll er halten, brauchen sie Versorgung. Das Land aber kann diese nicht dauerhaft bezahlen. Das gilt für Südafrika und Botswana, die relativ wohlhabend sind, und es gilt noch viel mehr für deren Nachbarstaaten. Wer nun die Grenzen schließt – und das scheint geboten –, der sollte das nicht vergessen. (Manuel Escher, 26.11.2021)