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Pro: Vorbeugend gegen Abrisse

von Martin Putschögl

Die Nachricht sorgte für Aufsehen: 2117 Wiener Zinshäuser kamen zwischen 2007 und 2019 "abhanden", stellte die Akademie der Wissenschaften in einer Studie fest (wir berichteten). Bei Otto-Immobilien kommt man auf die etwas niedrigere Zahl von 1709 Häusern, die seit 2009 aus dem Bestand genommen werden mussten. Insgesamt gebe es noch 13.820 "klassische" Gründerzeithäuser, heißt es im aktuellen Otto-Zinshausmarktbericht.

Die gute Nachricht: Die meisten dieser Häuser wurden nicht dem Erdboden gleichgemacht, sondern "parifiziert", es wurde also Wohnungseigentum begründet. Dadurch bekommt jede Wohneinheit einen eigenen Eintrag im Grundbuch und kann somit auch einzeln gehandelt werden. Ein richtiges Zinshaus ist das betreffende Gebäude dann aber eben nicht mehr, denn ein solches ist nicht parifiziert.

Daraus folgern wir: "Verschwindet" ein Zinshaus aus der Statistik, ist es physisch sehr oft trotzdem noch da. Man könnte sogar so weit gehen und sagen: Gerade weil parifiziert wurde, stehen wohl viele Häuser immer noch. Denn Abbrüche sind lukrativ: Man ist aus dem Mietendeckel draußen und bringt im Neubau mehr Wohnfläche unter.

Hier könnte man einwenden: Abbrüche sollten komplett verunmöglicht werden. Das hat die Stadt Wien aber eben, sofern sie es überhaupt jemals wollte, bis jetzt – auch trotz gerade erst wieder novellierter Bauordnung – nicht geschafft.

Liegt einem das Wiener Stadtbild am Herzen, das von den Gründerzeitzinshäusern selbstredend maßgeblich geprägt wird, sollte man also froh sein über jede Parifizierung. Zumal sich dadurch auch am Mietendeckel nichts ändert, sollte eine Wohnung wieder vermietet werden. (Grundsätzlich sollte man in einem sanierten Zinshaus aber sowieso immer zumindest den Lagezuschlag einheben dürfen.)

Ja, sanieren lässt sich ein parifiziertes Gebäude dann zwar nicht mehr so leicht. Doch ein fossiles Heizsystem muss ohnehin von Gesetzes wegen in den kommenden Jahren getauscht werden, und außerdem wird gerade das Wohnungseigentumsgesetz geändert; die Novelle soll Sanierungen erleichtern, es gibt dafür auch viel Fördergeld. Deshalb gilt: Zinshaus? Unwichtig! (Martin Putschögl, 30.11.2021)

Kontra: Günstige Mietwohnungen verschwinden

von Franziska Zoidl

Was macht Wien zu der Stadt, die sie ist? Viele würden antworten: die alten Häuser. Die Gründerzeithäuser nämlich, die ab den 1840er-Jahren und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in die Höhe gezogen wurden. Mit den Zinshäusern entstand dringend benötigter Wohnraum für die wachsende Stadt.

Was macht Wien zu der Stadt, die sie ist? Die Tatsache, dass man in vielen der schönsten Häuser um vergleichsweise wenig Geld wohnen kann. In alten Häusern sind die Mieten gedeckelt. Der Wiener Richtwert liegt bei 5,81 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommen noch diverse Zu- und Abschläge. Summa summarum leben Mieterinnen und Mieter im Wiener Gründerzeithaus aber meist günstiger als in Neubauten, die in weniger zentraler Lage am Stadtrand in die Höhe gezogen werden. Von der Wohnqualität in den alten Gemäuern mit großzügigen Raumhöhen ganz zu schweigen.

Was macht Wien zu der Stadt, die sie ist? Es ist die Durchmischung der Grätzel. Es gibt keine "Problembezirke", die Postleitzahl eines Menschen sagt nichts über seinen Wohlstand aus. Hier leben Studierenden-WGs neben Hacklern, Akademikerinnen und Hofratswitwen, weil sie es sich alle leisten können.

All das ist durch Parifizierungen in Gefahr. Dadurch werden günstigen Mietwohnungen zu teuren Eigentumswohnungen. Für Einkommensschwächere wird es da schnell eng. Auch weil manche Hauseigentümer sie mit gemeinen Praktiken aus ihren günstigen Mietwohnungen ekeln wollen, um ein "bestandsfreies" Haus zu bekommen.

Parifizierungen mögen im derzeitigen Run auf das Betongold und mit Blick auf die Schwächen des – dringend reformbedürftigen – Mietrechtsgesetzes lukrativ erscheinen. Aber nur, wenn man kurzfristig denkt und aufs Stadtbild vergisst. Denn durch Parifizierungen gibt es in Häusern plötzlich viele Eigentümer, die sich bei Erhaltungsmaßnahmen an Fassade und Haus maximal auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen werden.

Alles, was die Stadt ausmacht, könnte so irgendwann verloren gehen. (Franziska Zoidl, 30.11.2021)