Manches Mal muss man Gedichte verfertigen, einfach weil es töricht wäre, es nicht zu tun: "Ich hab’s für die Kinder gemacht. Ich hab’s fürs Geld gemacht", schreibt der US-Poet Ben Lerner in einem seiner Sonette, die er, als offenbar physikalischer Beobachter seiner selbst, "Lichtenbergfiguren" nennt.

Doch eigentlich handelt es sich bei diesen Gebilden um gar keine waschechten Sonette. Es sei denn, man versteht bereits unter der Einhaltung der 14-Zeilen-Regel eine Hommage an Urvater Petrarca.

Ben Lerner, "No Art. Gedichte/Poems". 35,– Euro / 512 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2021
Cover: Suhrkamp

Lerners poetische Selbstauskunft ähnelt eher einer Art Meta-Gedicht. Entnommen ist sie dem Band No Art. In diesem tastet Lerner alle möglichen Felder der Dafürhaltung ab: "Ich hab’s für die Schwächung des Geistes gemacht und das Beenden der Hoffnung." Die Conclusio der ersten Strophe lautet: "Ich hab’s gemacht, weil es machbar war, weil es da war." Und, zur Sicherheit und als zusätzliches Lockmittel für alle Britney-Spears-Fans: "Ich würde es wieder machen. Oops, I did it again."

Sorgfältig beschrieben

Nachzulesen sind diese Gedicht-Gedichte eben in dem zweisprachigen Lyrikwälzer No Art. Er enthält die drei Gedichtsammlungen Ben Lerners, die physikalisch anmutende Titel tragen wie Scherwinkel (2006) oder Mittlerer freier Weg (2010).

Lerner-Gedichte weisen eine geradezu unverschämte "Body-Positivity" auf. Dafür packt ihr Schöpfer in jede Zeile mindestens eine Sensation, ein Kryptozitat "zu viel" hinein. In einem Essay erklärte er ausgerechnet "Hass" auf die Betulichkeit von Dichtung zur Voraussetzung seines Tuns: Das Warten auf das endlich gelungene Gedicht bildet die Grundlage, um in der Zwischenzeit andere, noch waghalsigere Gedichte schreiben zu können.

Lichtenbergfiguren, nach Georg Christoph Lichtenberg benannt, bezeichnen in No Art übrigens die farnförmigen Muster, die nach der Entladung von Spannungsenergie entstehen, etwa auf der Haut von Blitzschlagopfern.

So kann es der Welt ergehen: vom Leben mitgenommen, von der Mühsal gezeichnet zu sein, und schließlich von einem Dichter wie Ben Lerner auf das Sorgfältigste beschrieben. Steffen Popp und Monika Rinck ist für die kongenialen Übersetzungsversuche zu danken. Oops, he did it again. And again! (Ronald Pohl, ALBUM, 19.12.2021)