"Da interessiert man sich mehr für die Fische als für das Überleben der kleinen Fischer." Die indische Ökonomin Ranja Sengupta kann dem, was gerade für Tierschutz und Artenvielfalt in den Meeren geplant wird, wenig abgewinnen. Sie ist Mitglied des Third World Network zu Wirtschaftsthemen und sammelt in ihrem Büro in Delhi Fakten und Zahlen zu den Lebensbedingungen von mehreren Millionen Menschen in Indien und vergleichbaren Ländern. Unter dem Surren des Ventilators erklärt sie, was am gutgemeinten globalen Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) zur Fischerei falsch laufen wird – so es keine wesentlichen Veränderungen gibt.

60 Prozent der weltweiten Fischbestände in den Meeren sind bedroht, 33 Prozent sind schon überfischt, das heißt sie schrumpfen und werden verschwinden. Daher will man zum ersten Mal in der Geschichte das Fischen weltweiten Regeln unterwerfen. 20 Jahre lang wurde verhandelt, jetzt soll eine Vereinbarung getroffen werden. Anfang Dezember wollte sich die WTO in Genf erneut mit dem Thema beschäftigen. Das Ministertreffen wurde allerdings corona-bedingt vertagt.

Das globale Fischereiwesen hat vielfach verheerende Folgen für die Umwelt, aber auch für kleine Fischer.
Foto: imago/Olaf Döring

Man plant – wenig überraschend in der WTO – Verbote staatlicher Subventionen. Künftig sollen keine öffentlichen Gelder mehr gezahlt werden dürfen, um etwa Fischerboote erschwinglicher zu machen oder das Management großer Fangflotten zu unterstützen.

Hier beginnen die Differenzen der 128 WTO-Mitgliedsstaaten, die am Fischen beteiligt sind: 35 Milliarden Dollar werden weltweit zur Unterstützung des Fischens ausgegeben, zwei Drittel davon für kommerzielle Fangflotten. Insgesamt werden in den hochentwickelten Staaten 87 Prozent der Subventionen bezahlt. Umgekehrt sind 90 Prozent der weltweit 120 Millionen Menschen, die in der Fischindustrie arbeiten, kleine Fischer – 90 Prozent in Entwicklungsländern. Mit Subventionsverboten wird der Job für zahllose ärmere Fischer unrentabel. Und das angesichts übermäßiger Konkurrenz durch riesige Fischfangflotten, die in den vergangenen 20 Jahren bereits Meeresgebiete vor den Küsten Argentiniens, Westafrikas, Koreas und Indiens leergefischt haben.

Klein gegen Groß

Immer öfter kommen Fischer in Gambia oder Ghana mit halbleeren Netzen heim, während einige Seemeilen weiter draußen die großen Trawler aus der EU, Russland oder China abcashen. In Ghana behelfen sich kleine Fischer jetzt schon oft mit illegalem Fischaufkauf von den großen chinesischen Schiffen.

Die Fähigkeit der EU, Russlands und vor allem Chinas, Fischfangflotten in weit entfernten Meeresgebieten einzusetzen, werde in Zukunft Ungleichheit verstärken, wenn die Subventionsverbote mitsamt Ausnahmen für Staaten mit ebendiesen Fischfangflotten eingeführt werden, ist die Ökonomin Ranja Sengupta überzeugt. Der Hintergrund ihrer Befürchtungen: Ausnahmen für das geplante Subventionsverbot der WTO soll es laut Vorbereitungspapier dann geben, wenn ein Staat in Umweltschutzprogramme zum Erhalt der Fischbestände investiert. Die großen, gut dokumentierten Programme dazu gebe es aber in den großen Staaten, argumentiert die Ökonomin in Delhi, diese würden daher übermäßig von den Ausnahmen profitieren und ihre Fangflotten weiter unterstützen können.

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Riesige Fangflotten sind auf den Weltmeeren unterwegs – auch staatlich subventioniert.
Foto: REUTERS/George Thande

10.000 Tonnen Thunfisch durfte die EU zum Beispiel bisher jährlich legal vor dem Senegal fischen – zum Billigstpreis. Die ärmeren Entwicklungsländer aber verfügen noch nicht über die Infrastruktur für das Monitoring von Umweltschutzprogrammen, sie würden die Kriterien für Ausnahmen vom geplanten Subventionsverbot also nicht schaffen und dürften den Erwerb von Booten, Technologien für die Kühlung der Fische, Lagerhallen etc. nicht mehr öffentlich unterstützen.

Die zahllosen kleinen Fischer werden nach den Berechnungen des Third World Network auch übermäßig von geplanten weiteren Regelungen eingeengt werden. So seien die zwölf Seemeilen, innerhalb derer laut Verhandlungspapier künftig mit Subvention für Netze und anderes gefischt werden darf, eine zu scharfe Grenze. Sie kann von kleinen Fischern, die den Schwärmen folgen, nicht immer eingehalten werden. Und vor allem erzeuge die Genehmigung von Ausnahmen für jeweils nur zwei Jahre hohe bürokratische Hürden und Unplanbarkeit. "Die Fischer in Indien werden noch länger arm bleiben", sagt Ranja Sengupta. Die Vorschläge dazu wurden zwar etwas verbessert in den vergangenen Monaten, das sei aber noch lange nicht genug.

Gegen Hunger und Armut

Im September hat der Präsident Kenyas, Uhuru Kenyatta, eine Rede zur Fischereidebatte gehalten und erklärt, die kleinen Fischer seien der Schlüssel, um weltweit gegen Hunger und Armut anzugehen, und die Bedürfnisse kleiner Fischer müssten das Herz künftiger "blue food policies" werden.

Interessant wird der Umgang mit dem WTO-Mitglied China. Im Land, das sich in der WTO als Entwicklungsland einstuft, gibt es de facto keine Wirtschaftsbereiche, die wirklich unabhängig vom Staat funktionieren. Aber ob es zu hintergründigen Wirtschaftsdebatten kommt, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist der übliche Schlagabtausch der Nationen: So haben die USA auch einen Passus zur Beobachtung von Zwangsarbeit auf den Schiffen vorgeschlagen, China und Russland haben ihn schon zurückgewiesen. (Maria Reininger, 29.11.2021)