Eines der größenwahnsinnigsten Filmprojekte, die jemals scheiterten: Alejandro (!!!) Jodorowskys geplante "Dune"-Verfilmung in den 1970er-Jahren. Es blieben nur zehn dicke Skizzenbücher übrig, siehe Foto.

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Dass der Mensch Sehnsucht nach Perfektion empfindet, darf als wesentlicher Motor dafür angesehen werden, dass überhaupt etwas weitergeht auf dem Planeten. Die Fertigkeit des Feuermachens, der Getreideanbau, die Dampflokomotive, das Penicillin, Onlineshopping mit 14 Tage Rückgaberecht, Tiktok: Irgendjemand hat das einmal auf- und uns dorthin gebracht, wo wir heute sind. Wir sitzen im Lockdown. Heutzutage geht es also nicht mehr um eine Verbesserung der Welt. Heute geht es darum, die Welt rückzubauen, damit sie uns nicht um die Ohren fliegt.

Mit Versuch, Irrtum und der Ausreizung der Frustrationstoleranz beschäftigt sich Thomas von Steinaecker in seinem Sachbuch Ende offen. Im Buch der gescheiterten Kunstwerke findet man etliche Versuche dokumentiert, angesichts des nahenden Endes der Welt ein letztes Mal nach Vollkommenheit zu streben. Höher, schneller, weiter!

Ölfarbe und Marmorstaub

Die Entdeckung des Individuums und Universalkünstler wie Michelangelo oder Leonardo da Vinci führten in der Renaissance dazu, dass neben den Meisterwerken zwischen Ölfarbe und Marmorstaub auch jede Menge Skizzen und Entwürfe liegengeblieben sind. Immerhin kosteten Großwerke den Financiers eine Menge Geld, sie mussten gestalterisch zufriedengestellt werden. Dazwischen konnte man sich dann mit dem Traum vom Fliegen beschäftigen und Flugmaschinen andenken.

Dank dieser Skizzen und Entwürfe allerdings, das ist eine Kernaussage in Steinaeckers exzellentem Buch, dringt man zum Kern des Pudels vor: "Unbeabsichtigte Fragmente bergen ein Versprechen in sich. Ihre Qualität ist dabei nebensächlich. Allein ihr unfertiger, vorläufiger Charakter sagt: Hier hat der Künstler noch nicht den Schleier der Perfektion über seine Arbeit geworfen. Hier war er einmal ganz bei sich und fühlte sich unbeobachtet. Hier bekommen wir ihn endlich in seinem innersten Wesen zu fassen."

Multitasking, große Kunst

Die Postmoderne hat es einst fast geschafft, den Geniebegriff, also die "Göttlichkeit" des Künstlers, zumindest infrage zu stellen. Das ist vorbei. Heute diagnostiziert Steinaecker in all unserer fragmentierten Multitasking-Wahrnehmung zwischen unfallfrei die Straße überqueren, während man chattet und gleichzeitig über Freisprech einen Anruf beantwortet, eines: Wir sind deswegen offenbar geradezu süchtig nach dem alles zusammenführenden Gesamtkunstwerk.

Große Künstlerschauen in Museen werden gestürmt. Neben den Hauptwerken will man auch das Unvollendete, Skizzen, Tagebücher sehen. Kunstbücher wiegen mehrere Kilo,edel gestaltete CD-Boxen bringen uns Musiker auch mit unfertigen Demoversionen näher. Es handelt sich um eine Sehnsucht, die Welt zumindest in der Kunst noch einmal vor ihrem Untergang gesamtheitlich zu erfassen.

Scheitern als Weg

Die Künstler scheiterten an dieser Vorgabe oft aus Angst vor dem Nichts, das nach der Perfektion kommt, ganz banal aber auch wegen finanzieller Probleme. Die Filmgeschichte kann etwa mit Alejandro Jodorowsky und dessen Versuch aufwarten, in den 1970er-Jahren Frank Herberts Science-Fiction-Klassiker Dune "psychedelisch" zu verfilmen. Er wollte mit Dune als "Prophet" mindestens "die Welt verändern". Allerdings verdankt die Welt diesem Scheitern eine der besten Filmdokus über das Danebengehen, Jodorowsky’s Dune.

Auch der Tod kommt dazwischen. Beethovens zehnte Symphonie wurde durch ihn ebenso verhindert wie Gaudís 1882 begonnene Basilika Sagrada Família in Barcelona. Als Großbaustelle soll sie 2026, rechtzeitig zum 100. Todestag des Architekten, fertiggestellt werden.

Meisterwerke, Größenwahn, Wahnsinn. Als ein Beispiel sei Ludwig II. und seine unvollendeten Schlösser genannt. Steinaeckers Resümee: "Wo ein Werk und die Wirklichkeit enden, beginnen unsere Phantasien und der Mythos. Der Möglichkeitstraum gehört dem Unfertigen. Das Träumen lassen wir uns nicht nehmen. Wir lassen uns unsere Träumer nicht nehmen!" (Christian Schachinger, 29.11.2021)